Experten warnen Sabotage bei der Bahn könnte "Testdurchlauf" gewesen sein
Nach der Sabotage-Aktion bei der Deutschen Bahn warnen Experten vor weiteren Angriffen. Das Vorgehen lasse auf ein hohes Maß an krimineller Energie schließen.
Die Ermittlungen nach der folgenreichen Sabotage des deutschen Bahnverkehrs gehen weiter. In Berlin hat sie inzwischen der Staatsschutz beim Landeskriminalamt (LKA) übernommen. Ein politischer Hintergrund ist zwar einer Sprecherin der Berliner Polizei zufolge nicht auszuschließen. Allerdings werde in alle Richtungen ermittelt. Zu den möglichen Tätern und ihren Motiven gibt es von offizieller Seite bisher keine Informationen.
IT-Sicherheitsexperten zufolge könnte es sich bei der gezielten Sabotage am Kabelnetzwerk der Deutschen Bahn um einen Testlauf gehandelt haben. "Es könnte nur ein Testdurchlauf gewesen sein, um die Auswirkungen einer solchen Sabotage zu sehen", sagte Michael Wiesner, Sprecher des Expertengremiums Arbeitsgruppe Kritische Infrastrukturen (AG Kritis) den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Die zwei in Berlin und Herne durchtrennten Kabel zeigten, "dass es sich um koordiniertes Vorgehen handelt", so der AG-Kritis-Sprecher und IT-Sicherheitsberater. Die Täter hätten Informationen über die Trassenführung, das GSM-R-System sowie die Folgen eines Ausfalls gehabt. "Dies lässt auf jeden Fall auf ein hohes Maß an krimineller Energie und umfangreiche Vorbereitung schließen", sagte Wiesner weiter.
Die gezielte Sabotage bei der Deutschen Bahn hatte am Samstagmorgen den Zugverkehr in weiten Teilen Norddeutschlands lahmgelegt. Die Bahn stellte nahezu den gesamten Zugverkehr in Niedersachsen, Bremen, Hamburg und Schleswig-Holstein für rund drei Stunden ein. Hier lesen Sie mehr.
Zusammenhang mit Pipeline-Lecks?
Neben einem möglichen Testlauf sei auch ein Zusammenhang mit der mutmaßlichen Sabotage an den Gaspipelines Nord Stream 1 und 2 oder mit der Zerstörung der Krim-Brücke denkbar, sagte Wiesner. Ebenso könnte der Zeitpunkt explizit gewählt worden sein, etwa aufgrund von Großveranstaltungen wie der AfD-Demonstration in Berlin oder den Bundesliga-Fußballspielen am Wochenende.
In diesem Jahr registrierte die AG Kritis vermehrt Cyberangriffe, etwa auf den Energiesektor. "Seit dem Ukraine-Krieg wird zudem immer deutlicher, dass bei kriegerischen Auseinandersetzungen vermehrt auf eine "hybride Kriegsführung", also traditionelle Operationen, die durch Cyberangriffe begleitet und unterstützt werden, gesetzt wird", sagte Wiesner.
Der Sicherheitsexperte Peter Neumann hält einen Angriff Russlands auf die kritische Infrastruktur in Deutschland für möglich. "Russland hat schon ein Interesse daran, in Europa Panik zu verursachen und zu signalisieren, dass es ganz heftig das Leben lahmlegen kann", sagte der Wissenschaftler dem Sender RTL. Es benötige erhebliches Wissen, um diese Knotenpunkte anzugreifen. Allerdings gebe es natürlich keine eindeutigen Beweise. "Momentan ist es noch eine Theorie."
Jeweils ein Tatort in Berlin und NRW
Vieles deutet auf einen gezielten Angriff hin. Nach Angaben eines Sprechers der Bundespolizeidirektion Berlin gab es einen Tatort in der Bundeshauptstadt und einen weiteren in Nordrhein-Westfalen. Aus Sicherheitskreisen hieß es, es seien in beiden Fällen vorsätzlich sogenannte Lichtwellenleiterkabel beschädigt worden. Auch das Backup-System sei damit ausgefallen.
Dass bislang kein Bekennerschreiben bekannt wurde, spricht gegen Täter aus der linksextremistischen Szene, denen in der Vergangenheit Anschläge gegen die Bahn zugeschrieben wurden. Die "Bild"-Zeitung berichtete am Sonntag, das Bundeskriminalamt (BKA) halte in einer internen Einschätzung auch staatliche Sabotage für denkbar. BKA und Bundesinnenministerium kommentierten den Bericht auf Nachfrage nicht.
In der SPD gibt es einem Bericht zufolge Überlegungen, der Bundespolizei mehr Befugnisse zu verschaffen. "Die Bedrohungslage ist hoch. Dies haben die Sabotageakte auf unsere Infrastruktur nochmal sehr deutlich gemacht", sagte Fraktionsvize Dirk Wiese der "Rheinischen Post". Wichtig sei daher, "dass unsere Sicherheitsbehörden die erforderlichen Ermittlungsbefugnisse zur Verfügung haben. Insbesondere müssen wir jetzt sehr schnell ein modernes Bundespolizeigesetz im Bundestag auf den Weg bringen." Die letzte Reform sei aus dem Jahre 1994, seitdem habe sich viel geändert. 2021 scheiterte eine Reform des Bundespolizeigesetzes im Bundesrat.
- Nachrichtenagenturen dpa und afp