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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Hier hasst jeder jeden" Schattenwelt des Vatikans – hier tobt längst ein erbitterter Krieg

Die Schattenwelt des Vatikans hat den Blick auf das nächste Konklave bereits lange vor dem Tod von Franziskus gerichtet. Das Ringen um die Zukunft hat begonnen, bevor sein Pontifikat beendet ist.
Im Vatikan tobt ein erbitterter Machtkampf – und das seit Jahren. Papst Franziskus hat die Kirche verändert, doch sein Erbe ist alles andere als gesichert. "Zum ersten Mal seit Jahrzehnten erleben wir organisierte Gruppen in der Weltkirche, die gegen den Papst arbeiten", sagt Vatikanexperte Marco Politi im Gespräch mit t-online. Ein innerkirchlicher "Bürgerkrieg", wie er ihn nennt, spaltet die katholische Welt – geografisch, theologisch und ideologisch.
Und in diesem Krieg war Papst Franziskus der Mann im Fadenkreuz – ein Papst unter Wölfen. Seine Feinde saßen in der Kurie, im Kardinalskollegium, in mächtigen Netzwerken rund um den Globus.
Ultrakonservative bilden Front gegen den Papst Franziskus
Franziskus selbst wusste früh, worauf er sich einlässt. Der Widerstand gegen ihn begann bereits 2014 – genauer: bei der Familiensynode. Damals stellte der Papst eine jahrzehntealte Kirchenlehre infrage: Dürfen wiederverheiratete Geschiedene die Kommunion empfangen? Franziskus sagte Ja – und entfachte damit einen Sturm.
"Als die Ultrakonservativen merkten, dass Franziskus hier eine Neuerung anstoßen könnte – und dies dann auch tat –, organisierten sie sich", erinnert sich Politi. Was folgte, war eine konzertierte Gegenoffensive: "Sie machten den Papst zum Feindbild, weil er angeblich von der 'wahren Lehre' abweicht", erklärt er.
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Schwergewichte der katholischen Welt sind die Strippenzieher
Franziskus war plötzlich nicht mehr nur spirituelles Oberhaupt – sondern Zielscheibe. "Man hat versucht, ihn moralisch zu demontieren", so der Buchautor. "Und das geschah nicht irgendwo in dunklen Ecken, sondern aus den höchsten Etagen der Kirche."
Die Strippenzieher des Widerstands waren keine Randfiguren – sie waren Schwergewichte der katholischen Welt. Unter ihnen: Raymond Leo Burke: ein amerikanischer Kardinal mit direktem Draht zu konservativen US-Medien und wohlhabenden Sponsoren; Joachim Meisner, der inzwischen verstorbene Kölner Kardinal, der sich offen gegen Franziskus stellte; Walter Brandmüller, deutscher Kirchenhistoriker und Verfechter der alten Ordnung; Gerhard Ludwig Müller, Ex-Chef der Glaubenskongregation, der vom Papst persönlich entlassen wurde.
Die Liste ließe sich fortsetzen. Was diese Männer vereint: Sie sahen in Franziskus eine Gefahr – für die Dogmen, für die Disziplin, für die Machtstruktur, die ihnen jahrzehntelang vertraut war.

Zur Person
Marco Politi wurde 1947 in Rom geboren und gilt als einer der renommiertesten Vatikanexperten. Über 50 Jahre hinweg begleitete er die Pontifikate von Paul VI. bis Franziskus. Politi schrieb unter anderem 20 Jahre für die italienische Tageszeitung "La Repubblica", später wechselte er zum "Fatto Quotidiano". Gemeinsam mit dem amerikanischen Starjournalisten Carl Bernstein verfasste er eine politische Biografie des polnischen Papstes Johannes Paul II. 2012 veröffentlichte er die Monografie "Benedikt. Krise eines Pontifikats". Es folgte "Franziskus unter Wölfen" und 2020 "Das Franziskus-Komplott". In dem Buch beschrieb Politi, welche konservativen Netzwerke, Kardinäle und Bischöfe im Vatikan und im Ausland Papst Franziskus bekämpfen.
Ein globaler Kampf um Deutungshoheit
Die katholische Kirche ist längst nicht mehr Rom-zentriert. Der Bürgerkrieg tobt heute auf mehreren Kontinenten – gleichzeitig, mit unterschiedlichen Frontlinien. In Nordamerika ist das Bischofskollegium gespalten: Ein Teil trägt den Reformkurs mit, der andere macht offen Stimmung gegen den Papst. In Afrika sind sich die Episkopate fast einig – aber gegen Franziskus. Besonders beim Thema Homosexualität verweigern sie jede Öffnung. In Osteuropa herrscht eiserner Konservatismus. In Westeuropa gibt es progressive Kräfte – doch sie sind leise, zurückhaltend, oft zögerlich.
Das hat dazu geführt, dass die Gegner von Franziskus ihn in entscheidenden Momenten ausbremsen konnten – etwa bei der Amazonas-Synode, als er verheirateten Priestern in entlegenen Regionen eine Perspektive eröffnen wollte. "Die konservativen Kräfte, darunter auch Benedikt XVI., intervenierten, und am Ende musste Franziskus zurückweichen", schildert Politi die Entwicklung.
Ratzinger schloss sich den Erzkonservativen an
Die gleichzeitige Präsenz von zwei Päpsten – der eine im Ruhestand, der andere im Amt – hatte die ersten zehn Jahre des Pontifikats von Franziskus ohnehin erschwert. Franziskus hatte zunächst die Kardinäle, die er nicht selbst ernannt hatte und die nicht auf seiner Linie waren, auf ihren Kurienposten belassen – im Versuch, eine gute Beziehung zu Ratzinger aufrechtzuerhalten.
Als er vom Papstthron herabgestiegen war, hatte Ratzinger seinem Nachfolger "bedingungslose Ehrerbietung und Gehorsam" versprochen. Doch er hielt sich nicht daran und schloss sich dem Lager der Erzkonservativen an. Erst nach dem Tod von Ratzinger 2023 konnte Franziskus zu einem Gegenschlag ausholen. Er entließ den Ex-Sekretär und Testamentsvollstrecker seines Vorgängers. "Es ist eine Demütigung vor aller Welt", sagte damals der Entlassene.
Kardinal Burke ereilte die Strafe wenig später. Nach dem Ende seiner Amtszeit als Kardinalpatron des Malteserordens wurden ihm Gehalt und Dienstwohnung gestrichen. Burke arbeite "gegen die Kirche und gegen das Papsttum", um die Gemeinschaft zu spalten, hatte Franziskus im Vorfeld erklärt.
"Hier hasst jeder jeden"
Der Bürgerkrieg in der katholischen Kirche verhärtete sich. "Hier hasst jeder jeden", verriet ein Insider dem Vatikanexperten Politi. Ein zynischer, aber bezeichnender Kommentar zur aktuellen Atmosphäre im Vatikan. In den letzten Zügen seines Pontifikats wollte Franziskus das Erbe einer hierarchisch und traditionell erstarrten Kirche aufbrechen. Doch die klassische Top-down-Struktur verlor an Zugkraft – Reformen ohne Reformierte scheinen heute unmöglich.
Am Ende des Pontifikats von Franziskus herrscht im Vatikan Misstrauen, Resignation und strategisches Schweigen. Der Machtapparat beginnt sich noch vor seinem Tod neu zu ordnen. "Auf den Versammlungen der Kardinäle mit dem Papst nicken sie alle mit dem Kopf […]. Dann gehen sie hinaus und zerreißen sich die Mäuler", zitiert Politi ein ehemaliges Mitglied des päpstlichen Rates.
Die Kurie gleicht einem schwer steuerbaren Apparat. Ein langjähriger Vatikanpriester berichtet: "Hier wird ein Flicken aufgenäht, dann da der nächste." Kardinäle und Bischöfe zeigen sich zunehmend distanziert. In offiziellen Versammlungen herrscht Einmütigkeit – doch privat überwiegen Spott und Missmut: "Sie glauben, dass das Pontifikat am Ende ist, und wollen sich nicht zu weit aus dem Fenster lehnen", so das ehemalige Mitglied des päpstlichen Rates.
Der Deep Vatican wird nicht verschwinden
"Die anonymen Kommentare hinter vorgehaltener Hand sind kein leeres Geschwätz. Es sind Bewertungen und Einschätzungen von Personen, die ihr Leben in der Kurie verbracht haben", schreibt Politi. Sie geben die Stimmung des Deep Vatican wieder.
Was Politologen als "Deep State" bezeichnen, gibt es auch im Vatikan – ein verborgenes Netzwerk aus Funktionären, Klerikern und Laien, die die innerkirchliche Maschinerie am Laufen halten und allen Reformversuchen trotzen. Es ist ein Apparat, der sich nicht offen gegen Franziskus stellt, aber dessen Vision einer synodalen, dezentralisierten Kirche passiv untergräbt – durch Inaktivität, gezielte Verzögerung, stille Opposition.
Viele Kirchenleute haben ihren Blick auf das nächste Konklave bereits lange vor dem Tod von Franziskus gerichtet. Das Ringen um die Zukunft hat begonnen, bevor sein Pontifikat beendet ist.
Hinter der sichtbaren Kurie, den ernannten Präfekten und Synoden steht ein Netzwerk aus alten Seilschaften, erfahrenen Verwaltungsbeamten, loyalen Klerikern und Laien, das nicht mit der Person des Papstes steht oder fällt. Der Vatikan ist ein stilles Schlachtfeld. Der Deep Vatican wird nicht verschwinden – auch nicht mit einem neuen Papst. Die Frage ist: Wird es einem zukünftigen Pontifex gelingen, dieses Schattennetzwerk nicht nur zu umschiffen, sondern zu durchbrechen?
Die Machtverhältnisse werden neu ausgehandelt
Der weltweite Machtkampf um die Nachfolge von Papst Franziskus ist bereits voll entbrannt. Zwar hat Franziskus die Mehrheit der Kardinäle selbst ernannt, doch das heißt nicht, dass sie seine Linie weitertragen. "Es könnten sich unerwartete Koalitionen bilden", warnt Politi. "Kardinäle und Bischöfe weltweit ringen darum, welche Richtung die Kirche einschlagen soll. Der innerkirchliche Bürgerkrieg zeigt, dass das Zentrum nicht mehr unangefochten dominiert – die Kirche befindet sich mitten in einem Strukturwandel, in dem die Machtverhältnisse neu ausgehandelt werden."
Franziskus habe die Kirche geöffnet und Reformen angestoßen, die nicht mehr zurückgenommen werden könnten. "Aber er hinterlässt eine zerrissene Kirche. Sein Nachfolger wird die Aufgabe haben, diese Spaltungen zu überbrücken – eine schwierige, aber notwendige Mission", betont der Vatikanexperte. "Eine gewaltige Herausforderung, denn die Kirche ist heute tief gespalten. Die Situation erinnert fast an die Balkankriege – verschiedene Strömungen stehen sich unversöhnlich gegenüber."
- Interview mit dem Vatikanexperten Marco Politi
- Marco Politi: "Der Unvollendete. Franziskus' Erbe und der Kampf um seine Nachfolge"
- Andreas Englisch: "Das Vermächtnis von Papst Franziskus: Wie der Kämpfer im Vatikan die katholische Kirche verändert hat"