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Berlin-Tegel: Brand in Flüchtlingsunterkunft – das sagen Experten


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Brand in Berliner Massenunterkunft
"Politiker haben nichts daraus gelernt"


14.03.2024Lesedauer: 4 Min.
Die Feuerwehr löscht die Brandstelle bei Flüchtlingsunterkunft am ehemaligen Flughafen Tegel: Ein Zelt stand hier im Brand.Vergrößern des Bildes
Die Feuerwehr bei Nachlöscharbeiten in der Flüchtlingsunterkunft am ehemaligen Flughafen Tegel: Ein Zelt war hier in Brand geraten. (Quelle: Carsten Koall/dpa)
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Eine Massenunterkunft in Berlin brennt in Teilen ab. Experten kritisieren erneut die Größe der Aufnahmeeinrichtung. Einfache Lösungen gibt es aber nicht.

Über 4.500 Menschen auf engstem Raum: Das ist für Geflüchtete in der Massenunterkunft am ehemaligen Berliner Flughafen Tegel tägliche Realität. Ein Feuer erregte diese Woche Aufsehen. Eine Bauhalle brannte dabei komplett ab. Verletzt wurde niemand. Dennoch wird nicht zum ersten Mal Kritik an dieser Beherbergungsart laut. Wie sinnvoll sind solche Massenunterkünfte? Und warum werden sie eingerichtet?

Wissenschaftlerin Birgit Glorius von der Technischen Universität Chemnitz erklärt: "In den ersten Wochen nach der Ankunft ist eine Gruppenunterbringung von Geflüchteten durchaus sinnvoll, um Fragen im Zusammenhang mit dem Asylantrag zu klären und gesundheitliche oder soziale Bedarfslagen abzufragen." Massenunterkünfte wie in Berlin-Tegel seien jedoch "Ausdruck behördlicher Not".

Das lässt Tareq Alaows, flüchtlingspolitischer Sprecher der Nichtregierungsorganisation Pro Asyl, nicht gelten: "Für mich gibt es keine rationale Begründung, warum diese Unterkunft existiert." Zwar habe es bei Errichtung der Einrichtung eine Notsituation gegeben, als viele Menschen nach dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine nach Deutschland kamen. "Aber diese Situation ist nun schon zwei Jahre her." Im Idealfall sollten ohnehin nicht mehr als 100 Menschen in Gruppenunterkünften untergebracht werden, so Glorius.

Dem stimmt das Deutsche Rote Kreuz (DRK) zu, das viele Unterkünfte betreut. Außerdem sollte es eine Verpflichtung geben, dass Geflüchtete nur wenige Wochen in Gemeinschaftsunterkünften beherbergt werden. So sollen Umzüge gefördert werden, heißt es auf Anfrage von t-online. Nur wenige Wochen in Gruppenunterkünften seien akzeptabel, sagt auch Glorius. Denn so verzögere sich die Integration dort lebender Menschen.

"Viele Traumatisierungen treten erst nach der Flucht ein"

Außerdem kann die Situation negative Effekte auf das psychische Wohlbefinden haben. "Konkret heißt das, dass viele Traumatisierungen bei Flüchtlingen nicht während, sondern nach der Flucht eintreten." Das habe verheerende Folgen für die Menschen und verursache hohe Folgekosten, etwa für das Gesundheitssystem.

Für Alaows war deshalb ein solches Ereignis zu erwarten: "Für mich war es nicht überraschend, dass es zu so einer Katastrophe in einer Massenunterkunft kommt." Das könne passieren, "wenn auf einem sehr engen Raum Tausende von Menschen untergebracht werden", so Alaows. Er fühlte sich an das griechische Flüchtlingslager Moria auf der Mittelmeerinsel Lesbos erinnert. Solche Massenunterkünfte ließen sich generell nicht menschenwürdig gestalten. "Anscheinend haben deutsche Politiker nichts daraus gelernt."

Laut dem DRK ist die fehlende systematische Identifizierung von Schutzbedarf, wie etwa Behinderungen und Traumatisierungen, eines der größten Probleme. "Ob eine bedarfsgerechte Versorgung in den Aufnahmeeinrichtungen überhaupt gewährleistet werden kann", bleibe so unklar.

Besonders belastend für Familien

Zudem fehle es in solchen Unterkünften an jeglicher Privatsphäre: "Es gibt keine absperrbaren Zimmer, teils nicht einmal feste Wände", sagt Glorius. Besonders belastend sei dies für Familien mit Kindern und für Frauen. Diese hätten ein ständiges Gefühl der Unsicherheit. Das kann auch Alaows bestätigen, der die Massenunterkunft in Tegel besuchte. Privatsphäre sei dort nicht vorhanden. "In einem Zelt schlafen 300 Personen. Zwar gibt es Trennwände, aber kein Dach zwischen den Gruppen. Wenn ein Kind in der Nacht schreit, dann hören das alle und wachen auf." Dazu komme nun der Brand, der einigen Menschen ihr letztes Hab und Gut genommen habe. Das Zelt sei nur noch Asche.

Für das DRK müsse die Unterbringung in eigenen, privaten Wohnungen oder kleineren Einrichtungen deshalb schnellstmöglich umgesetzt werden. Rückzugsräume und Privatsphären seien integrationsfördernd. Die Menschen hätten dann Zugang zum Gemeinwesen. "Die Einbindung in das öffentliche Leben, zum Beispiel durch den Kita- und Schulbesuch oder das Kennenlernen auf Spiel- und Sportplätzen, kann Menschen näher zusammenbringen", erklärt das DRK. Die Bundesregierung müsse deshalb Integration von Anfang an denken. Leben Geflüchtete zu lang in Aufnahmeeinrichtungen, bremse das die Integration "sehr deutlich", so das DRK.

Erhöhtes Aggressionspotenzial

In den Unterkünften sei es nicht überraschend, dass es zu Konflikten kommt: "Die fehlenden Rückzugsmöglichkeiten, das Aufeinandertreffen von Menschen aus verschiedenen Weltregionen, die sich alle in schwierigen Lebenslagen und unter hoher Anspannung befinden, das untätige Warten auf eine Entscheidung, die fehlenden Möglichkeiten, sein Leben eigenständig zu gestalten, das alles erhöht das Aggressionspotenzial in den Massenunterkünften", sagt Glorius.

Eine Flüchtlingshelferin habe Glorius berichtet, dass es sich um "typische Knastprobleme" handele. So würden Befürchtungen der Bevölkerung in der Umgebung von Massenunterkünften bestätigt. Die Folgen trage das ganze Land, denn auch die Errichtung von Gruppenunterkünften würde so Ängste schüren. Deswegen sei eine etappenweise Unterbringungsstrategie sinnvoll. Das heißt: Nach der Erstaufnahme eine kurze Verweildauer in Gruppenunterkünften, bevor Menschen dezentral und bestenfalls in eigenen Wohnungen untergebracht werden.

In Berlin ist die Wohnungssuche auch für Geflüchtete schwierig

Der extrem angespannte Wohnungsmarkt in Berlin mache eine angemessene Unterbringung jedoch schwierig, so Glorius. Die Lösung wäre es, Menschen noch weiter als bisher zu verteilen, zum Beispiel in Regionen mit weniger angespanntem Wohnungsmarkt. Denn das sei das große Problem bei der Unterbringung: Weil Geflüchtete, trotz Statusanerkennung, keine Wohnung finden, verbleiben sie in den Gruppenunterkünften. So fehlt der Platz für Nachzügler. Das liege aber auch an Vermietern, die Flüchtlinge nicht beherbergen wollen, erklärt Glorius.

"Je schneller Geflüchtete in die eigene Wohnung umziehen können, desto schneller werden auch Kapazitäten in den kleineren Gruppenunterkünften wieder frei, sodass man nicht auf Formen der Massenunterbringung zurückgreifen muss", sagt Glorius. Das sei aber bisher nicht so einfach, berichtet Alaows. "Asylsuchende unterliegen bis zu 18 Monaten der Wohnverpflichtung in einer Erstaufnahmeeinrichtung, auch wenn sie zum Beispiel bei Verwandten oder Freunden wohnen könnten."

Geld fehle nicht so sehr wie politischer Wille

Deswegen sei ein "Kassensturz" der Politik nötig, um die Situation bei den Wohnungen, beim Erlernen der Sprache sowie bei den Kitas, Schulen und auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Tareq Alaows von Pro Asyl erklärt, dass die Berliner Massenunterkunft jährlich etwa eine halbe Milliarde Euro kostet. "Mit diesem Geld könnte die Politik viel gestalten und eine andere Unterbringungspolitik machen." Außerdem würde es schlicht Geld sparen. Es fehle jedoch am politischen Willen.

Wenig hilfreich seien gegenseitige Schuldzuweisungen in der politischen Debatte, denn diese sowie die Schärfe im Ton würden wenig helfen. "Der öffentliche Diskurs prägt die Stimmung im Land, die Ressentiments gegen Geflüchtete nehmen zu, das kann rasch in direkte Gewalt umschlagen", so Glorius.

Verwendete Quellen
  • Telefoninterview mit Tareq Alaows, Pro Asyl
  • E-Mail-Interview Deutsches Rotes Kreuz
  • E-Mail-Interview Prof. Dr. Birgit Glorius, TU Chemnitz
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