Mit Deichkind für Demokratie Knapp 100.000 Menschen demonstrieren gegen Rechtsextremismus
Bundesweit protestierten an diesem Wochenende wieder rund 100.000 Menschen gegen Rechtsextremismus. Bei einer Gedenkveranstaltung in Rostock wurde eines Opfers des NSU gedacht – und vor den Gefahren gewarnt.
Viele tausend Menschen haben am Wochenende in Hamburg, Stuttgart und anderen deutschen Städten gegen Rechtsextremismus demonstriert. Bei der dritten Großdemonstration in der Hansestadt seit Januar sprachen die Organisatoren um die Klimabewegung Fridays for Future zunächst von mehr als 50.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern. Die Polizei wollte erst nach Abschluss eine konkrete Zahl nennen. Musikalischer Höhepunkt war ein Auftritt der Hamburger Band Deichkind, die skandierte: "Wir wollen keine Nazis und keine AfD."
Rund 20.000 Menschen demonstrieren in Dresden
Mehrere Tausend Menschen haben sich am Sonntag in Dresden zu einer weiteren Großkundgebung für Demokratie und gegen rechtsextreme Umtriebe versammelt. Wie der Veranstalter, das Bündnis "Wir sind die Brandmauer", am Sonntagnachmittag auf Anfrage mitteilte, versammelten sich rund 20.000 Menschen auf dem Dresdner Neumarkt. Die Polizei nannte zunächst keine Teilnehmerzahl.
Als Rednerin sprach unter anderem die Klima-Aktivistin Luisa Neubauer von Fridays for Future Deutschland. Ihre Botschaft: "Demokratie hat man nicht. Demokratie lebt man." Deshalb sei es wichtig, dass so viele Menschen wie möglich Haltung gegen Rechtsextreme zeigten. "Das hier, was genau in diesem Augenblick passiert, das macht den Faschisten Angst", sagte Neubauer.
Zuvor hatte der Organisator der rechtspopulistischen Dresdner Querdenken-Demonstrationen, Marcus Fuchs, zu Beginn der Demonstration versucht, diese mit etwa zehn Anhängern zu stören. Die Polizei habe den Gegenprotest jedoch relativ schnell aufgelöst. Auch in anderen sächsischen Städte gingen am Sonntag Menschen auf die Straße – etwa in Zwickau, Bautzen, Görlitz oder Meißen.
Bis zu 3.500 Teilnehmer bei Menschenkette in Kiel
Auslöser für die jüngsten bundesweiten Proteste waren Enthüllungen des Medienhauses Correctiv über ein Treffen radikaler Rechter in Potsdam, an dem auch AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der sehr konservativen Werteunion teilgenommen hatten. In Stuttgart demonstrierten am Samstag nach Schätzungen der Polizei rund 8.000 und 9.000 Menschen unter dem Motto "Rechte Welle brechen".
Auch in Schleswig-Holstein gab es am Sonntag wieder Aktionen gegen rechts. In Kiel war für den Nachmittag eine Menschenkette rund um das Gewässer Kleiner Kiel geplant, in Lübeck setzten nach Polizeiangaben 3.000 bis 3.500 Menschen ein Zeichen gegen Rechtsextremismus.
Tausende in weiteren Bundesländern auf den Straßen
Mehrere Tausend Menschen zogen auch in verschiedenen Städten in Rheinland-Pfalz und dem Saarland gegen Rechtsextremismus auf die Straße. Bis zu 4.500 Menschen liefen nach Polizeiangaben am Sonntag unter dem Motto "Nie wieder ist Jetzt" durch Trier.
Rund 1.800 Menschen haben am Sonntag nach Polizeiangaben im mittelhessischen Weilburg gegen Rechtsextremismus demonstriert.
In Niedersachsen gingen nach Angaben der Polizei rund 6.000 Menschen gegen demokratiefeindliche und rechtsextremistische Kräfte auf die Straße. Weitere 600 Menschen demonstrieren vor dem Schloss in Celle.
Rostock gedenkt des NSU-Mordopfers Mehmet Turgut
Die Stadt Rostock gedachte am Sonntag des vor 20 Jahren ermordeten Mehmet Turgut gedacht. Der damals 24-jährige Türke war am 25. Februar 2004 im Stadtteil Toitenwinkel Opfer der rechtsextremistischen Terrorgruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) geworden. "Niemals dürfen die grausamen Untaten des NSU und die Ermordung Mehmet Turguts in Vergessenheit geraten", sagte Oberbürgermeisterin Eva-Maria Kröger (Linke) bei einer Gedenkveranstaltung. Rechtsextremismus bedrohe auch heute die Demokratie und die von ihr geschützte Menschenwürde.
Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister Christian Pegel (SPD) nannte die Mordserie eine Mahnung vor allem für die Sicherheitsbehörden. "Dass eine rechtsterroristische Gruppe jahrelang unbeobachtet morden konnte, macht uns allen bewusst, dass Rechtsterrorismus die größte Gefahr für unser gesellschaftliches Leben ist."
Turgut war kaltblütig erschossen worden, kurz nachdem er den Imbissstand eines Freundes geöffnet hatte. Er war das fünfte von zehn Opfern einer Anschlagsserie, die sich vor allem gegen Kleinunternehmer richtete, deren Familien aus der Türkei und in einem Fall aus Griechenland stammten. Lange Zeit hatten die Ermittler die Täter unter den Landsleuten der Opfer gesucht. Erst 2011, als in Eisenach in einem ausgebrannten Wohnwagen die Leichen zweier NSU-Mitglieder gefunden wurden, erkannten die Behörden, dass die dreiköpfige Terrorgruppe für die Mordserie verantwortlich war.
- Nachrichtenagentur dpa
- Eigene Recherche