Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Wahlkampf-Langweiler Merz Das kann sich noch rächen
Der Wahlkampf von Friedrich Merz ist eine dröge Angelegenheit: kein Spirit, keine Leichtigkeit, keine Überraschung. Das kann sich bald rächen.
CDU und CSU werden diesen Wahlkampf nicht mehr verlieren. Merz wird Bundeskanzler. Scholz kann ihn nicht mehr schlagen, Weidel kann ihn noch nicht schlagen. Aber es ist die Schwäche seiner Konkurrenten aus der gescheiterten Ampelkoalition, die ihm den Weg ins Amt ebnet. Nicht eigene Stärke. Oder hören Sie etwa, dass ein Ruf durchs Land schallt: Friedrich Merz muss Kanzler werden! Da flüstert es nicht einmal.
Obwohl die Christdemokraten vieles richtig gemacht haben. Die CDU hat sich rechtzeitig ein neues Grundsatzprogramm gegeben und damit Abschied von Angela Merkel genommen, so wollte es die Partei. Sie hat gemeinsam mit der CSU ein Wahlprogramm geschrieben, die Kernthemen sind definiert: Wirtschaft und Migration. Merz und Söder treten als Partner auf. Der Kanzler in spe hat seine Agenda 2030 vorgelegt.
Merz redet zum Geburtstag von Konrad Adenauer. Merz spricht in der Bochumer Jahrhunderthalle vor christdemokratischen Betriebsräten. Merz lädt Partei- und Regierungschefs der europäischen Partner in seine Parteizentrale ein. Merz im Fernsehen, Merz bei t-online, Merz auf dem Marktplatz. Alles okay. Aber: Es zündet nicht.
Problem erkannt – aber passiert ist nichts
Warum nicht? Bevor er zum Kanzlerkandidaten nominiert wurde, stellte Friedrich Merz selbstkritische Fragen: Erreiche ich die Mehrheit der Menschen? Nicht nur die Politik-Junkies, die keine Talkshow im TV verpassen, sondern auch die vielen, die sich für die Reform der Unternehmenssteuer eher am Rande interessieren. Oder gar nicht. Wählen mich auch Frauen zum Kanzler, obwohl ich nicht Robert Habeck bin? Komme ich, der klassische Vertreter der Boomer-Generation, mit den jungen Leuten ins Gespräch?
Eigentlich gilt: Problem erkannt, Gefahr gebannt. Aber dann ist einfach nichts passiert. Beispiel Frauen: Wissen Sie, welche Frauen aus der Union demnächst in der Regierung eine Rolle spielen? Julia Klöckner, sie war schon bei Merkel Ministerin. Und sonst? In Berlin raunt man weitere Namen: Karin Prien, Silvia Breher, Ines Claus. Kennen Sie die Damen? Eben. Merz könnte sie bekannt machen, als Mitglieder seines Teams. Tut er aber nicht.
Mehr als ein Viertel der Vorstände in Dax-Konzernen sind inzwischen weiblich, vier der 40 Unternehmen haben Frauen an der Spitze. Der Bundesverband der Deutschen Industrie und der Verband der Automobilindustrie werden von Frauen geführt, beide (Tanja Gönner und Hildegard Müller) sind CDU-Mitglieder. Merz scheint das nur mäßig zu interessieren. Frauen wählen nicht unbedingt Frauen. Aber sie wollen, dass ihr Geschlecht in Politik und Gesellschaft angemessen repräsentiert wird. In der Merz-CDU ist das nicht der Fall.
Bei Söder ist es etwas Wurst
Wo erreichen Politiker im Wahlkampf die Jugend? Klar, in Social Media. Falls Sie einen Instagram-Account haben, schauen Sie mal die Beiträge von "@merzcdu" an. Sie erfahren, dass Friedrich Merz die deutschen Waldbauern empfangen hat. Er versichert, unser Land sei einzigartig. Er legt aber auch Wert auf die Feststellung, Deutschland brauche einen grundlegenden Wandel. Es geht um die kapitalgeckte Altersversorgung. Informationswert: geht so. Unterhaltungswert: null. Merz hat 155.000 Follower auf Insta.
Zur Person
Uwe Vorkötter gehört zu den erfahrensten Journalisten der Republik. Seit vier Jahrzehnten analysiert er Politik, Wirtschaft und Gesellschaft, er hat schon die Bundeskanzler Schmidt und Kohl aus der Nähe beobachtet. Als Chefredakteur leitete er die "Stuttgarter Zeitung", die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau". Er ist Herausgeber von "Horizont", einem Fachmedium für die Kommunikationsbranche. Nach Stationen in Brüssel, Berlin und Frankfurt lebt Vorkötter wieder in Stuttgart. Aufgewachsen ist er im Ruhrgebiet, wo man das offene Wort schätzt und die Politik nicht einfach den Politikern überlässt. Bei t-online erscheint jeden Dienstag seine Kolumne "Elder Statesman".
Ein bisschen Abwechslung bringt bei ihm Markus Söder rein, der schon manchmal spöttisch Foodblogger genannt wird, weil es ihn so oft beim Essen gibt. Merz hat Eindrücke an der Currywurst-Bude mit Söder geteilt. Vergleicht man, wie "markus.soeder" auf dieser Plattform präsent ist, dann zeigt sich. Manchmal geht es auch bei ihm um Politik. Aber Söder tritt auch mit Uschi Glas auf. Oder mit Nürnberger Rostbratwürstchen. Söder über Cannabis. Söder über seinen Bart. Söder als Marvel-Held. Der CSU-Chef hat viermal so viele Follower wie Merz. Mehr als Alice Weidel.
Höre ich da ein leises Grummeln? Lauten Protest? Der Elder Statesman will aus dem Wahlkampf wohl ein Tralala-Event machen, oder? Nein! Ich weise darauf hin, dass Politik auch außerhalb des politischen Raums wirken muss. Menschen wählen Menschen, nicht Funktionäre. "Sie kennen mich", sagte Angela Merkel im Wahlkampf 2013 im Duell mit Peer Steinbrück. Drei Worte, alles klar. Friedrich Merz kann bestenfalls sagen: Sie haben ein Bild von mir. Wir sehen einen langen Kerl, Mitte sechzig, gut erhalten, er hat Ahnung von Wirtschaft, kann reden, ist konservativ. Das reicht nicht.
Wo ist das Foto vom Mopedfahrer-Merz mit langem Haar?
Politik ist Vertrauenssache. Auch eine Frage der Sympathie. Humor kann helfen, um bei den Menschen anzukommen, erst recht in ernsten Zeiten.
Friedrich Merz umweht ein Hauch der sozialen Kälte. Die politische Konkurrenz versucht, daraus einen Sturm zu entfachen. Aber Merz ist auch Mitglied der Kolpingfamilie. Das ist ein katholischer Sozialverband. Das Kolpingwerk hat eine lange Tradition, es unterhält zum Beispiel Wohnheime für Jugendliche, die ihre Ausbildung fernab der Heimat absolvieren. Ein Besuch würde sich lohnen. Merz könnte zeigen, dass der Finanzkapitalismus von Blackrock nicht sein ganzes Leben ist. Dass auch die christliche Tradition der Lebenshilfe dazu gehört.
Überhaupt, die Biografie. Gerade hat Pinar Atalay ihn bei RTL über seine Jugend ausgefragt. Merz war mit dem Motorrad, vielleicht war’s auch ein Moped, in Arnsberg und Brilon unterwegs, die Haare schulterlang. Sein Team könnte ein Bild davon auf Instagram posten, junge Leute finden das gut: Schau mal, der Merz, genau wie mein Papa. Väter gelten gemeinhin als sympathisch. Aber es gibt das Bild auf Instagram nicht.
Im vergangenen Jahr, im Europawahlkampf, hat seine Frau Charlotte Merz gesagt, der Friedrich sei ein guter Ehemann. Frauen mögen gute Ehemänner, sind ja auch seltene Exemplare. Das ist eine einfache Botschaft, die auch Menschen jenseits des CDU- Ortsverbands und der Mittelstandsvereinigung erreicht. "Bild" hat diese Homestory inszeniert. Die CDU inszeniert Merz als Technokraten.
Den "Fritze" nahm Merz ohne Humor
Als Olaf Scholz im Fernsehen über "Fritze Merz" sprach, entgegnete Joachim-Friedrich Martin Josef Merz, das sei unverschämt. Er heißt tatsächlich so. Hatte Scholz sich so schlimm daneben benommen? Gab es auf diesen Spruch keine andere Antwort als Empörung? Etwas Leichtes, eine Prise Humor? Joe Biden nannte die Fans von Donald Trump "Müll", das war wirklich eine verbale Entgleisung. Wissen Sie noch, wie Trump reagierte? Er zog sich eine orangefarbene Weste über und fuhr als Beifahrer im Müllwagen vor: Ich bin einer von euch. So geht Wahlkampf!
Merz ist von Leuten umgeben, die ihr Handwerk verstehen: Carsten Linnemann vor allem, der Generalsekretär der CDU, und Torsten Frei, der Fraktionsmanager. Linnemann und Frei sind ebenso wie Merz selbst Profis der Politik. Aber nicht Profis der Kommunikation. Jenseits von Kundgebungen und TV-Debatten entwickeln sie wenig Energie, keine Fantasie.
Die CDU hat sich die Brüder Andreas und Bernhard Fischer-Appelt, Inhaber der gleichnamigen Agenturgruppe, an ihre Seite geholt. Die verstehen etwas von Werbung und PR, auch von politischer Kommunikation. Eigentlich wissen sie, wie Merz-Marketing geht.
Aber so doch nicht: Friedrich Merz, dunkelblauer Anzug, hellblaue Krawatte, türkisgrüner Hintergrund. "Für ein Deutschland, auf das wir wieder stolz sein können" – dieses Großplakat sehen Sie jetzt an jeder zweiten Straßenkreuzung. Seriöser geht es nicht. Langweiliger auch nicht. Vielleicht soll Merz authentisch wirken. Authentisch dröge?
Friedrich Merz macht Wahlkampf auf der sicheren Seite. Bloß kein Risiko! Er wird ja Bundeskanzler, so oder so. Aber es ist doch nicht egal, ob am Wahlabend der schwarze Balken bei 28 Prozent stehen bleibt oder bei 38. Es läuft gerade eher auf die 28 hinaus.
- Eigene Überlegungen