Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Asylplan der Union Zu ältlich, zu flapsig, von gestern
Friedrich Merz rückt nach rechts, um enttäuschte CDU-Wähler zurückzugewinnen. Nach aller Erfahrung gehen solche Manöver schief, weil das Original belohnt wird. Und diesmal?
Natürlich gibt es gute Gründe für Friedrich Merz, in der Migrationsfrage alles auf eine Karte zu setzen – "all-in" zu gehen, wie er angelsächselt. In den Umfragen steckt die Union bei 30 Prozent fest, das ist der erste Grund. Vier Wochen vor der Wahl liegt darin ein bedrohlicher Befund. Denn wie die Dinge liegen, müsste Merz dann mit zwei Parteien koalieren: Union plus SPD plus Grüne. Will irgendjemand eine Variante der Ampel?
Der zweite Grund für eine Verschärfung der Migration ist der Anschlag in Aschaffenburg. Wenn in einer Serie von Attentaten auch noch Kinder umgebracht werden, ist es so gut wie unmöglich, zur Tagesordnung überzugehen. Übrigens liegt Aschaffenburg in Bayern, dessen Ministerpräsident immer überlebensgroß auftritt, wenn anderswo, zum Beispiel in Mannheim oder Solingen, Menschen umgebracht werden.
Der dritte Grund heißt Donald Trump. Die Machttechnik, wüste Maximalforderungen zu stellen, welche die Dinge auf den Kopf stellen, ist nicht nur für die AfD ein Vorbild. Man muss nur Jens Spahn in irgendeiner Talkshow zuhören, um zu wissen, wen er nachahmt: Steht das Recht im Wege, wird es beseitigt, basta! Disruption nennt sich der Vorgang – hau weg, was dir nicht passt.
Union hätte auch andere Möglichkeiten
Wenn sich der Union eine Chance bieten soll, mit nur einer Partei zu regieren, muss sie auf 35 Prozent kommen. Diese Marge zu erreichen, wäre auch anders möglich, als eine Brandmauer niederzureißen. Aber Friedrich Merz hat ein persönliches Problem mit der Wählerschaft, nämlich vorzugsweise mit der weiblichen: zu ältlich, zu flapsig, von gestern. Wegen dieses Kanzlerkandidaten bleiben viele Frauen, die eigentlich mit dem Gedanken spielen, die CDU zu wählen, auf Distanz.
Indem Merz die Union jetzt als Asyl-Paragrafen-Veränderungs-Partei definiert, korrigiert er einen Fehler. Nicht die Grünen, wie er lange meinte, sind der Hauptgegner, sondern die AfD. Bei ihr will er wildern. Von der Union enttäuschte Wähler, hofft er, durch sein Ausgreifen nach rechts zurückzugewinnen. Dort liegt das Potenzial, ein paar entscheidende Prozentpunkte hinzuzugewinnen.
Zur Person
Gerhard Spörl interessiert sich seit jeher für weltpolitische Ereignisse und Veränderungen, die natürlich auch Deutschlands Rolle im internationalen Gefüge berühren. Er arbeitete in leitenden Positionen in der "Zeit" und im "Spiegel", war zwischendurch Korrespondent in den USA und schreibt heute Bücher, am liebsten über historische Themen.
Nach Souveränität sieht der Schwenk allerdings nicht aus, eher nach Verzweiflung. Friedrich Merz geht ein Experiment ein, an dessen Ende er entweder als der Dumme dastehen wird oder als der Gewiefte, den Mut zu hohem Risiko auszeichnet.
AfD lebt von der Migrationsdebatte
Aber was wäre die Alternative gewesen? Niemand kann ja ernsthaft bestreiten, dass Migration die Deutschen stärker umtreibt als andere Probleme wie Klimaschutz oder steigende Preise oder der Ukraine-Krieg. Im Umgang mit den Geflüchteten bündelt sich nicht nur symbolisch die Unzufriedenheit der Deutschen mit ihrer Regierung und den Institutionen, die sie trägt.
Davon lebt die AfD. An diesem Tropf hängt sie. Ohne 2015 ("Wir schaffen das") keine AfD. Damit mobilisiert und polarisiert sie. Zugleich ist sie aber darauf erpicht, den Paria-Status zu verlieren. Wäre Alice Weidel weniger darauf bedacht, in Talkshows einen guten Eindruck zu hinterlassen, um ihre Bürgerlichkeit zu beweisen, hätte sie erheblich stärker versucht, Kapital aus Aschaffenburg zu schlagen.
In diese Lücke ist Friedrich Merz gestoßen. Er hat die explosive Kraft, die von dem Mord an einem Kindergarten-Kind ausgeht, nicht besonders schnell, aber rechtzeitig erkannt. Am 23. Februar wird sich zeigen, ob er mit seiner Rechts-Drift richtig handelt oder das Original belohnt wird.
Nicht rechts, nicht links, sondern geradeaus
Lange Zeit war die Union groß darin, Brandmauern zu errichten. Zuerst traf es die Linke, als sie noch eine passable Partei von passabler Größe war. Der Auszug Sahra Wagenknechts und ihrer Groupies schwächte sie und schwächt sie noch. Völlig unverständlich bleibt aber, dass das BSW für die Union respektabel sein soll und die Linke nicht.
Die AfD ist aus Merz' Sicht immer noch des Teufels, aber wenn sie den Migrationsgesetzen, so sie überhaupt noch zustande kommen sollten, ihre Zustimmung geben sollte, ist ihm das egal. Nicht rechts, nicht links, sondern geradeaus – das ist jetzt die Botschaft.
Damit bestimmt Merz fortan den Wahlkampf. Selbstverständlich weiß er, dass weder Grüne noch die SPD dabei mitmachen werden, das Grundrecht auf Asyl auszuhöhlen. Die Union macht sich zunutze, dass Deutschland mitten in Europa liegt und Geflüchtete, die an seinen Grenzen ankommen, zwangsläufig zuerst durch ein anderes Land gezogen sein müssen. Geht es nach der Union, dann genügt es ab jetzt nicht mehr, Asyl zu sagen, um ins Land kommen zu dürfen. Damit reiht sich Deutschland in die Phalanx von Staaten wie Österreich oder Ungarn ein, die Geflüchtete unter allen Umständen fernhalten wollen.
AfD kann nun kühl kalkulieren
Einen Grundfehler hat der Politikwechsel, den Merz auslöst. Es liegt nun an der AfD, ob sie die Mehrheit beschafft, die Grüne und SPD nicht bieten. Also kann sie kühl kalkulieren, was ihr wohl mehr nutzt, das Mitmachen oder das Nichtmitmachen. Alice Weidel könnte die Union im Bundestag auflaufen lassen – mit uns nicht, wenn ihr uns diffamiert. Oder sie stimmt zu – ihr macht ja nur, was wir schon ewig fordern. Oder die AfD stellt ein paar Forderungen, welche die Union nicht erfüllen kann.
Friedrich Merz wird Kanzler, kein Zweifel. Er hat ein Hochrisikospiel gestartet, von dem abhängt, ob er am 23. Februar gestärkt oder geschwächt dastehen wird.
- Eigene Beobachtungen