Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Endspurt im Wahlkampf Das könnte die Wahl entscheiden
Kamala Harris bricht alle Rekorde im Spendensammeln, Trump setzt auf Krawall. Doch womöglich bestimmt ein altes Gesetz, wer als Nächstes ins Weiße Haus einzieht.
Wenn die USA wählen, schaut die ganze Welt gebannt zu. Dieses Land ist eben nach wie vor eine Weltmacht sondergleichen, an der das Schicksal der Ukraine genauso hängt wie das Israels und natürlich möchte auch Europa seinen Schutzherren nicht verlieren.
Kulturell besitzen die Vereinigten Staaten ohnehin hegemonialen Einfluss. Rund 100.000 Chinesen studieren an den Elite-Universitäten der Ost- und Westküste. Naturwissenschaftliche Nobelpreise sind praktisch US-amerikanisches Monopol. Die digitalen Riesenkonzerne sind das Symbol technischer Überlegenheit, die dieses Land seit dem Zweiten Weltkrieg innehat.
Noch in den entlegensten nepalesischen Dörfern finden Touristen Coca Cola vor. Die Sportschuhe von Nike sind noch immer Kult und die Basketballspiele der NBA übertragen asiatische Fernsehanstalten ebenso selbstverständlich wie die Footballspiele der NFL. Diese Aufzählung könnte beliebig fortgesetzt werden.
Zur Person
Gerhard Spörl interessiert sich seit jeher für weltpolitische Ereignisse und Veränderungen, die natürlich auch Deutschlands Rolle im internationalen Gefüge berühren. Er arbeitete in leitenden Positionen in der "Zeit" und im "Spiegel", war zwischendurch Korrespondent in den USA und schreibt heute Bücher, am liebsten über historische Themen.
Trump und das Problem mit seinem Ex-Stabschef
240 Millionen US-Amerikaner dürfen am 5. November ihren 60. Präsidenten wählen. Aus europäischer Sicht eine Riesendemokratie, aus chinesischer Sicht eine Puppenstube. Ihre Funktion als Vorbild für wirtschaftlich und politisch aufstrebende Staaten haben die USA allerdings eingebüßt. Da war bei der Projektion der Macht in diversen Weltgegenden zu viel Doppelmoral im Spiel und – schlimmer noch – waren zu viele Fehleinschätzungen zu besichtigen, zum Beispiel seit dem 11. September 2001 im Irak, in Afghanistan, in Syrien, in Libyen, in Ägypten.
Worauf es dieses Mal ankommt, liegt auf der Hand. Da ist Donald Trump, der Diktatoren liebt und selbst gerne ein Diktator wäre. Wer ernsthaft das Militär gegen seine inneren Feinde einsetzen will und ebenso ernsthaft in Aussicht stellt, dass seine Anhänger nur noch einmal zur Wahl gehen müssten, denn dann werde er das System "in Ordnung bringen", muss sich auch Faschist nennen lassen. Dieser ultimative Vorwurf stammt von einem General, John Kelly, der Trumps Stabschef in der ersten Amtszeit gewesen war. Der Chef hatte ihm in seiner Wut an den Kopf geworfen, er wünsche sich Generale, wie sie Hitler umgeben hätten.
Natürlich wehrte sich Donald Trump nicht gegen die Stigmatisierung als Faschist, sondern erklärte General Kelly für degeneriert und einen Schwachkopf. Das ist sein Prinzip: Nie ins Sachliche ausweichen, immer volle Kanne Offensive mit Beleidigungen und Beschimpfungen – Stärke zeigen. Dafür liebt ihn ungefähr die Hälfte der USA. Erstaunlich, aber wahr.
Harris' Argument, sie zu wählen, ist Trump
Kamala Harris griff Kellys Charakterisierung dankbar auf. Sie hatte ihre beste Phase, als sie Trump eher verwundert als schräg, als seltsam bezeichnete. Nebenbei bricht sie alle Rekorde im Spendensammeln – eine Milliarde Dollar in kurzer Zeit. In den letzten Wahlkampfwochen beschränkt sie sich auf den Alarmismus vom Ende der Demokratie, der mit Trump heraufziehen würde. Es ist gekommen, wie es kommen musste: Ihr Argument, sie zu wählen, ist Trump.
Somit steht der Mann im Zentrum, der es gar nicht aushält, nicht im Zentrum zu stehen. Ich oder der Untergang der USA, das ist seine Botschaft. Ich oder der Untergang USA, das ist auch ihre Botschaft.
Wer entscheidet die Wahl?
Die Demoskopen rätseln jetzt, was oder wer die Wahl entscheiden wird. Die illegale Einwanderung über die mexikanische Grenze – vielleicht. Abtreibung – möglich. Die Ukraine? Israel und die Palästinenser? Oder alles irgendwie zusammen?
Auf wen es womöglich ankommt: auf die Frauen. Auf die Afroamerikaner. Auf die Latinos. Auf die ultrareichen Vereinigten Staaten in Gestalt von Elon Musk und Wall Street. Oder auf alle zusammen.
Die Logik der Präsidentenwechsel
Aus der Vogelperspektive betrachtet fällt ein anderes Gesetz der Serie auf. In der Abfolge der Präsidenten ergibt sich über die Jahrzehnte ein Muster. Nicht besonders elaboriert, aber gerade deshalb überzeugend.
Das Gesetz lautet so: Der nächste Präsident muss sich diametral vom Amtsinhaber unterscheiden. Auf den ältlichen General Dwight D. Eisenhower folgte 1961 der jugendliche John F. Kennedy. Auf den diabolischen Richard Nixon folgte 1977 der fromme Jimmy Carter. Auf ihn folgte 1981 der charismatisch-lässige Ronald Reagan mit dem untrüglichen Gespür für Paradigmenwechsel.
Nach Vater Bush zog 1993 Bill Clinton ins Weiße Haus ein, virtuos in der Machtausübung und mit freihändiger Moral. Nach George W. Bush, schlicht und umgeben von Zynikern der Macht, kam 2007 Barack Obama – charismatisch, skandalfrei und übervorsichtig. Er wiederum machte den Weg 2016 frei für Donald Trump, das nun wirklich absolute weiße Antidot zum ersten schwarzen Präsidenten.
Harris müsste das Gesetz außer Kraft setzen
Weil mir dieses Gesetz aufgefallen war, schrieb ich im Mai 2016 auf "Spiegel Online" einen Artikel, in dem ich Trump zum Sieger ausrief, ein halbes Jahr vor der Wahl. Und diesmal?
Ja, Trump ist der maximale Kontrast zu Joe Biden, dem erfahrenen, arglosen Präsidenten. Und Kamala Harris wäre wie Hillary Clinton vor acht Jahren die Verlängerung des Amtsinhabers mit filigranen Veränderungen, die nicht ins Gewicht fallen.
Trifft das Gesetz der Serie noch zu, dann bekommt Donald Trump eine zweite Gelegenheit, die Vereinigten Staaten nach seinem Willen und seinen Vorstellungen zu verändern – als Diktator, als Faschist.
Das Gesetz müsste schon außer Kraft gesetzt werden, damit Kamala Harris ins Weiße Haus einziehen kann – als erste Frau.
- Eigene Beobachtungen