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HomePolitikGerhard Spörl: Der Welterklärer

Israel gegen die Hisbollah: Auf dem schnellsten Weg ins Chaos


Krieg in Nahost
Dann wäre auch der Iron Dome machtlos

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 23.09.2024 - 15:56 UhrLesedauer: 4 Min.
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Nahostkonflikt - Nasrallah sprichtVergrößern des Bildes
Hisbollah-Chef Nasrallah kündigte nach Israels Pager-Angriff Vergeltung an: Wer kann – und wer will – in dem Konflikt noch mäßigen? (Quelle: Uncredited/AP/dpa/dpa-bilder)

Israel tritt in einen hochriskanten Zweifrontenkrieg ein. Die Hisbollah ist zwar geschwächt, aber schaut der Iran tatenlos zu, wie der Libanon verloren geht?

Anwohner in Beirut und anderen libanesischen Städten erhielten am Montagmorgen Textbotschaften auf ihren Handys, in denen sie aufgefordert wurden, ihre Häuser zu verlassen. Im Büro des libanesischen Informationsministers ging ein Anruf ein, das Gebäude solle sofort geräumt werden. Auf diese Weise warnte die israelische Luftwaffe vor neuen massiven Angriffen, die sie seit Tagen auf ausgesuchte Ziele fliegt.

Die Regierung Netanjahu weitet den Krieg auf eine zweite Front aus. Denn die Einsätze in Gaza und auch im Westjordanland gegen die Hamas gehen ja weiter. Was seit dem 7. Oktober 2023 zu befürchten war, tritt jetzt ein – die Ausweitung eines Konfliktes, der die ganze Region ins Chaos stürzen kann.

Gerhad Spörl

Zur Person

Gerhard Spörl interessiert sich seit jeher für weltpolitische Ereignisse und Veränderungen, die natürlich auch Deutschlands Rolle im internationalen Gefüge berühren. Er arbeitete in leitenden Positionen in der "Zeit" und im "Spiegel", war zwischendurch Korrespondent in den USA und schreibt heute Bücher, am liebsten über historische Themen.

Die Hisbollah hat 100.000 Raketen im Arsenal

Allerdings entwickelt sich die Ausdehnung des Krieges anders, als die Experten in Europa und Amerika angenommen hatten. Die Initiative liegt nicht bei der schiitischen Hisbollah, sondern bei Israel. Netanjahu geht damit ein enormes Risiko ein. Denn Zweifrontenkriege gehen selten gut aus. Die Überdehnung der Armee mit entsprechenden Rückschlägen ist fast immer die zwangsläufige Folge. Israel besitzt zwar eine starke Armee, ist aber dennoch ein kleines Land.

Die Hisbollah, geschwächt durch die Eliminierung fast ihrer gesamten Führung, verfügt schätzungsweise über 100.000 Raketen unterschiedlicher Reichweite. Mehrere davon schlugen am Sonntag in Haifa ein, der Hafenstadt, die nur 50 Kilometer hinter der Grenze zum Libanon liegt. Fliegen zu viele Raketen zur selben Zeit über die Grenze, ist auch der viel gepriesene Iron Dome machtlos.

Wird der Iran direkt in den Konflikt eingreifen?

Die große Frage ist nun, wie sich der Iran verhalten wird. Es sind schon einige Wochen vergangen, seit mitten in Teheran Ismail Haniyeh, der politische Führer der Hamas, getötet wurde. Niemand bezweifelte, dass der israelische Geheimdienst für den Mordanschlag verantwortlich war. Die Führung um den greisen Ali Chamenei kündigte sofort martialisch wie immer härteste Vergeltung an, die jedoch bislang ausgeblieben ist. Um Mäßigung könnte der amerikanische Präsident Joe Biden angehalten haben.

Und nun? Wer könnte noch mäßigen? Wer will es überhaupt?

Eine Ordnungsmacht entfällt, seitdem Netanjahu es gefiel, den amerikanischen Präsidenten hinzuhalten, um ihn schließlich ganz zu ignorieren. Xi Jinping versuchte anfangs sehr vorsichtig, als Vermittler ins Spiel zu kommen. Unter den neuen Umständen wird sich China aber fürs Erste zurückziehen. Und europäische Länder wie Deutschland oder Frankreich bemühen sich redlich um Einfluss, der jedoch keinem von beiden Ländern zugestanden wird, weder in Israel noch im Iran.

Überschreitet Israel eine rote Linie des Iran?

Wenn es kommt, wie es im Nahen Osten immer kommt, dann wird die Hisbollah mit neuer Führung in nächster Zeit Stärke demonstrieren. Hochgerüstet ist sie. Der Iran kann sie ohne Probleme mit weiterreichenden Waffen versorgen, die nicht nur im Norden Israels einschlagen, sondern in Haifa oder sogar in Tel Aviv.

Der Iran sah bisher davon ab, aus dem Hintergrund in den Vordergrund zu treten. Die Hamas gaben die Mullahs dran, jedenfalls schien ihnen der Gazastreifen eher ein unvermeidliches Opfer zu sein. Anders liegt der Fall bei der Hisbollah, die ein verlängerter Arm der Revolutionsgarden ist und auch im Bürgerkrieg in Syrien eine wichtige Rolle einnahm. Die Enthauptung der Hisbollah und der Verlust des Libanons könnte die rote Linie sein, die den Iran zur Verteidigung seiner regionalen Hegemonie in den Krieg hineinzieht.

Die Logik im Nahen Osten lautet ja: Hass gebiert noch mehr Hass. Rache ruft noch mehr Rache hervor. Massaker folgt auf noch größere Massaker. Tod folgt auf Tod.

Die Verlierer dieser Strategie

Zwei große traurige Verlierer gibt es jetzt schon kraft der Ausweitung des Krieges. So gut wie verloren sind die israelischen Geiseln in den Labyrinthen von Gaza. An ihnen, es sind wohl noch 120, kann sich die Hamas rächen und damit Israel demütigen. Dass sie zum Töten der Geiseln ohne Weiteres imstande ist, hat sie schon unter Beweis gestellt.

Der zweite Verlierer ist Amerika. Joe Biden scheiterte mit seiner Doppelstrategie, einerseits Israels Existenz zu garantieren und andererseits enormen Druck auf Netanjahu aufzubauen. Sein Plan sah einen Waffenstillstand vor, dem die Freilassung der Geiseln folgen sollte, woraufhin der Krieg geendet hätte, damit der Wiederaufbau beginnen konnte. Das ausgefeilte Vorhaben starb mit der Explosion der Pager.

Frieden ist so fern wie der Mond

Interessant wird sein, wie Benjamin Netanjahu in die Geschichte Eingang findet. Als unerschrockener, eigensinniger Held, der zwei Feinde Israels entscheidend schwächte und deren Mentor in die Schranken wies? Oder als Mann mit größtmöglicher Hybris, der aus Eigennutz Kriege ausweitete, die Israel an den Abgrund führten?

Momentan steht Israel wieder als der Tausendsassa da, der vieles vermag, was Araber wie Palästinenser wie auch der Rest der Welt ihm nicht zugetraut hätten. Die Explosion von Pagern und Walkie-Talkies ist die eigentliche Rache für das Massaker am 7. Oktober. Die Führung der Hisbollah steht nun so dilettantisch da wie Armee und Geheimdienst Israels damals. Dazu kommt dann noch ein zerstörtes Gebäude in Beirut, in dessen Trümmern mehrere Kommandeure der Hisbollah umkamen.

Heute erscheint Israel stark und entschlossen. Und morgen? Frieden ist so fern wie der Mond. Der Ausweitung des Krieges könnte die neuerliche Ausweitung des Krieges folgen. Es geht weiter, immer weiter. Wer kein Herz aus Stein hat, möchte daran verzweifeln.

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen
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