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Wahlwiederholung in Berlin: Wie viel Veränderung will sich die Hauptstadt zumuten?


Meinung
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Hauptstadt muss nochmal wählen
Wie viel Veränderung will sich Berlin zumuten?

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 12.02.2023Lesedauer: 4 Min.
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Morgenstimmung in Berlin (Archivbild): Wird nun alles anders? Die CDU darf hoffen, stärkste Partei zu werden. (Quelle: IMAGO/Dirk Sattler)
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Vielleicht tut sich ja was in der Stadt, die politischen Wandel scheut. Am Ende ersteht die CDU wirklich neu, steigt Hertha ab und Union spielt Champions League. Wär doch was.

Berlin ist wild, bunt, anarchisch auch. Zugleich ist Berlin in manchen Kiezen genauso bürgerlich wie Hamburg und ähnlich ordentlich wie München, manchmal sogar langweilig wie Stuttgart, wenn man Stuttgart 21 mit dem BER aufrechnet. Aber die Stimmung, ja, die ist einzigartig in dieser großen Stadt.

Wurschtig. Übellaunig. Zynisch amüsiert über all das, was nicht klappt, und das ist ja bekanntlich ziemlich viel. Wenn es so etwas wie autoaggressiven Stadt-Patriotismus gibt, dann findet der sich hier.

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Deshalb lieben sie die Hertha, weil es dem Verein gelingt, Hunderte Millionen Euro zu verpulvern, mit dem erstaunlichen Ergebnis, dass er immer noch weiter hinten in der Tabelle herumkrebst, als sich dunkel erahnen ließ. Hertha versucht es nun ja mit einer Berliner Lösung, was immer die Vereinsführung darunter verstehen mag, vielleicht, dass Bescheidenheit ziert und Investoren böse sind. Stimmt ja beides, oder?

Der Big City Club aber liegt weit drüben im Osten, in der Alten Försterei, nix Olympiastadion. Der 1. FC Union ausgerechnet steigt und steigt, in der Tabelle und finanziell, wer hätte das gedacht. Ist doch eine herrliche Überraschung, mit der sich endlich mal renommieren ließe. Das lässt sich aber nur bedingt, weil Erfolgsgeschichten in Berlin gegen den Komment verstoßen, nicht wahr?

Multitasking ist nicht so Berlins Sache

Berlin wählt neuerdings gerne, zum zweiten Mal schon innerhalb von anderthalb Jahren, während eine Legislaturperiode eigentlich fünf Jahre dauert. Multitasking ist nicht so die Sache der Stadt. War ja auch viel, an jenem Sonntag im September 2021: Marathon und Bundestagswahl, Bezirkswahl und Volksentscheid. Nach dem Gesetz, wonach alles schiefgeht, was schiefgehen kann, ging eben einfach alles schief.

Das Schöne an Wahlkämpfen ist allerdings, dass wir vom Spitzenpersonal der Parteien erfahren, welches Berlin sie meinen, wenn sie über Berlin sprechen.

Jarasch ergeht es wie Baerbock

Fangen wir mit Bettina Jarasch an, der es gerade wie Annalena Baerbock ergeht – sie springt weit und dürfte zu kurz landen. Regierende Bürgermeisterin will sie werden, und zwar als Patronin aller Radfahrer, für die sie Raum gegenüber den Automobilen schaffen will, ein redliches Unterfangen, das schon. Nun zeichnet es allerdings viele Radfahrer aus, dass sie die Farbe Rot für eine Empfehlung halten, die sie großmütig ausschlagen, wodurch sie sich wenig von vielen Autofahrern unterscheiden, die in aller Gemütsruhe bei Dunkelgelb über die Kreuzung trudeln.

Selbstverständlich hat Bettina Jarasch nur die regelkonformen Radfahrer im Sinn, wie sie in vielen Interviews sagt. In diesem Zusammenhang fiel aber ein Satz, es war bei t-online zufällig, der Beachtung verdient. Er lautet so: "Mein Maßstab für das Gemeinwohl sind immer die Schwächsten. Im Straßenverkehr sind die Schwächsten die Fußgänger und Radfahrer." Das ganze Interview lesen Sie hier.

Gemeinwohl ist ein hehres Wort, ein staatstragender Begriff, leicht angestaubt in einer Zeit, die bis zum Abwinken Authentizität und Nahe-bei-den-Menschen bei allzeit politischer Korrektheit einklagt. Beim Gemeinwohl geht es um das Gesamtinteresse einer Gesellschaft, das ist geradezu der Gegenbegriff zu Einzel- oder Gruppeninteressen wie den Radfahrern.

Was die CDU damit bezweckte, bleibt ihr Geheimnis

Damit sind wir beim Grundproblem des politischen Berlin angelangt. Jede Partei beschränkt sich auf Gruppeninteressen – die Grünen, die Linken sowieso, die FDP aus Prinzip. Ergänzt wird dieser Tatbestand durch ein Ungleichgewicht zwischen den Spitzen und ihren Parteien. Bettina Jaraschs Spielraum engen Hardcore-Grüne in Kreuzberg und Friedrichshain ein. Franziska Giffey wollte schon 2021 mit der CDU regieren, was ihr die SPD jedoch verwehrte.

Die noch und vielleicht auch wieder Regierende Bürgermeisterin erweckt noch am ehesten den Anschein, dass sie an das ganze Berlin denkt – eben an das Gemeinwohl. Zu den Silvester-Angriffen auf Polizei und Feuerwehr fand sie allein, die mal Bürgermeister in Neukölln war, angemessene Worte. Die CDU hingegen wollte unbedingt die Vornamen der Täter in Erfahrung bringen. Was sie damit bezweckte, bleibt ihr Geheimnis. Auf die Provokation kam es ihr an, da sie doch wissen musste, dass im Zweifelsfall Feuerwehrleute oder Polizisten die gleichen türkischen oder arabischen Vornamen tragen wie die Angreifer, welche die CDU stigmatisieren wollte.

Darf man Berlin so viel Veränderung zumuten?

Dennoch darf sich die CDU, ihr Vorsitzender heißt Kai Wegner und versteht sich als Schutzpatron der Verdrängung erleidenden Autofahrer, in der Hoffnung wiegen, die stärkste Partei zu werden. Seit ihrem Untergang mit der Bankengesellschaft vor 22 Jahren wäre das eine Wiederauferstehung. Nicht dass der Spitzenkandidat ein Ausbund an Popularität wäre, aber wer nicht länger Rot-Rot-Grün wie ein Perpetuum mobile bekommen will, bedient sich eben der CDU.

Vielleicht tut sich ja was in Berlin, politisch gesehen. Aber kann man sich die Stadt ohne den Kultursenator Klaus Lederer vorstellen? Und die Bundesliga ohne Hertha, während der 1. FC Union Champions League spielt? Und darf man Berlin, das sich wohlig in seiner Dysfunktionalität eingerichtet hat, so viel Veränderung überhaupt zumuten?

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
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