Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Partei in Spendierlaune Lohnt sich Arbeit da überhaupt?
Die SPD ist von einer Partei der arbeitenden Bevölkerung zur Sozialstation der Republik geworden. Das tut ihr nicht gut. Und dem Leistungsvermögen des Landes auch nicht.
In der von Anfang bis Ende urkomischen Heavy-Metal-Persiflage "This Is Spinal Tap" von 1984 gibt es eine Szene, die aus allem Witz noch herausragt – wenn ich nur an sie denke, muss ich schon lachen. Der Gitarrist der Band, von der die vermeintliche Doku handelt, erklärt dem Reporter flüsternd seinen Marshall-Verstärker und zeigt ihm die Regler an der Messingfront. Statt einer 10 ist dort überall eine 11 am Anschlag zu sehen. "These go to eleven" triumphiert der Kaugummi-kauende und grenzdebil dreinblickende Musiker. Als der Reporter entgeistert aus der Wäsche schaut, setzt er erklärend und verschwörerisch hinzu: "It‘s one louder!"
One louder – immer noch eins lauter. Das ist nicht nur das Geheimnis des Gitarristen von "Spinal Tap". Es ist auch das Sozialstaatsverständnis der SPD. Und ihr Rezept im Wahlkampf. Immer noch eins obendrauf auf das, was ist, oder was die Konkurrenz verspricht (die Linke ausgenommen, aber die gibt es faktisch nicht mehr). Was derzeit aufscheint als Wahlprogramm für die Neuwahlen im Februar, beherzigt das Spinal-Tap-Prinzip aufs Gründlichste. Zwei Monate Elterngeld obendrauf, ein Familienstartgeld bei vollem Lohnausgleich, mehr Kindergeld. Das Wahlprogramm der SPD ist wie ein Weihnachtskalender: hinter jedem Türchen noch ein Stück Schokolade.
Zur Person
Christoph Schwennicke ist Politikchef und Mitglied der Chefredaktion von t-online. Seit fast 30 Jahren begleitet, beobachtet und analysiert er das politische Geschehen in Berlin, zuvor in Bonn. Für die "Süddeutsche Zeitung", den "Spiegel" und das Politmagazin "Cicero", dessen Chefredakteur und Verleger er über viele Jahre war. Bei t-online erscheint jeden Donnerstag seine Kolumne "Einspruch!".
Noch-Kanzler und Gerne-wieder-Kanzler Olaf Scholz verkündet, dass mit ihm die Butter wieder billiger wird, weil er die Mehrwertsteuer darauf von sieben auf fünf Prozent senken möchte. Und Arbeitsminister Hubertus Heil fällt angesichts des Einsturzes von VW und der ganzen deutschen Autobranche als Erstes ein, das Kurzarbeitergeld zu verlängern.
Es gab einmal eine SPD, die ich sehr mochte. Sie hörte auf Namen wie Helmut Schmidt, Gerhard Schröder, Wolfgang Clement, Peer Steinbrück, Sigmar Gabriel und ja: Franz Müntefering. Diese Sozialdemokratie wusste und beherzigte, dass ein Sozialstaat erwirtschaftet werden muss. Dass das Soziale aus einer starken Wirtschaft heraus finanziert wird. Dass Umverteilung nur möglich ist, wenn es etwas zu verteilen gibt. Ein Mann, den der liebe Gott als Prototypen des Sozialdemokraten geschaffen hat und dessen Herz ganz sicher links schlägt, selbst der hat seinen Sozialdemokraten immer eingetrichtert, dass sie sich nicht bloß als Lazarettwagen, als Reparaturbetrieb der Gesellschaft verstehen dürfen. Franz Müntefering hat das immer gesagt.
Wann ist diese SPD gestorben?
Wo ist diese Sozialdemokratie? Wann und wie ist sie gestorben? Bei ihr war das Land immer in guten Händen. Das wussten im Innersten auch die schwärzesten Schwarzen. Die Sozialdemokratie von heute aber tut so, als stände irgendwo noch ein Geldspeicher wie der von Dagobert Duck. Sie verkünden eine Zeitenwende, aber werfen die Bonbons weiter vom Wagen. Auch dann noch, als das Bundesverfassungsgericht ihrem Bundeskanzler das Füllhorn der Schattenhaushalte aus der Hand geschlagen hatte, was der eigentliche Endpunkt der Ampel und damit auch dieser Politik war. Und sie machen zunehmend keine Politik mehr im Sinn der arbeitenden Bevölkerung, sondern für jene, die nicht arbeiten können oder wollen. Sie sind die Tafel der Republik. Wobei an der Stelle eiligst eingeschoben sei: Die Tafeln sind eine tolle Sache, und ich bewundere Frank Zander seit Jahr und Tag für sein Engagement beim Berliner Weihnachtsessen für Obdachlose. Das ist grandios. Aber nicht das richtige Rollenverständnis für eine Regierungspartei.
CSU-Stier Markus Söder ist dieser Tage mit gesenkten Hörnern wieder auf sein grünes Tuch losgestürmt. Ein "Standortrisiko" hat er den bündnisgrünen Wirtschaftsminister und Kanzlerkandidaten Robert Habeck genannt. In allem Respekt und bei aller Kritik an verschiedenen politischen Projekten und fatalen Entscheidungen Habecks (die Abschaltung der letzten Atommeiler zur Unzeit): Das überschätzt einen deutschen Wirtschaftsminister. Das Wirtschaftsministerium verfügt über einen Etat von 11 Milliarden Euro, das Arbeits- und Sozialministerium jedoch über einen von 176 Milliarden Euro, mehr als ein Drittel des gesamten Bundeshaushalts. Strukturell ist daher der Arbeitsminister ein Standortrisiko. Und Hubertus Heil von der SPD ist das fleischgewordene Standortrisiko auf diesem Posten.
Lohnt sich Arbeit da überhaupt?
Ein Mann, ein Problem, eine Lösung: Geld, Geld und noch mehr Geld. Seit nunmehr ewig und drei Tagen treibt der Mann sein Unwesen auf diesem Posten. Mit seinem immer noch recht barrierefreien Bürgergeld sichert er ein anstrengungsloses auskömmliches Dasein in diesem Land. Bei kleineren Jobs muss sich jeder ernsthaft fragen, ob es sich da überhaupt lohnt, den anzunehmen.
Wie immer daher diese Wahl auch ausgeht, ein Stoßgebet sei hier zum Himmel geschickt: Sie möge bitte die Amtszeit des Hubertus Heil beenden. Am besten wäre obendrein, man legte das Wirtschafts- und das Arbeitsministerium zusammen. Dem Vernehmen nach soll es zwischen Wirtschaft und Arbeit ja einen zarten Zusammenhang geben.
Und die SPD? Diese SPD? Mein inniger Wunsch zu Weihnachten und darüber hinaus wäre, dass die Leute sich nicht für blöd verkaufen lassen. Dass sie in der großen Mehrheit sehen, dass das nicht gehen kann, was diese Partei verspricht. Dass sie bei den Wahlen die Quittung bekommt. Und dann, vielleicht bis Ostern, eine SPD aufersteht, die ich so vermisse. Und die dieses Land so dringend braucht.
- Eigene Überlegungen