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HomePolitikChristoph Schwennicke: Einspruch!

AfD-Höhenflug stoppen? Merz verteufelt Grüne – Das braucht die CDU wirklich


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Ratlosigkeit in der Politik
Allein eine Partei kann die AfD in die Schranken weisen


02.07.2023Lesedauer: 4 Min.
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Alice Weidel: Wer kennt das Rezept gegen die AfD? (Quelle: IMAGO/Bernd Elmenthaler)
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Die demokratischen Parteien suchen nach Wegen, den Höhenflug der AfD zu stoppen. Der Vorstoß von Friedrich Merz, die Grünen zu verteufeln, geht in die richtige Richtung – aber nicht weit genug.

Wenn es Nacht wird in Deutschland, tun Menschen mitunter Dinge, die man bei Trost und bei Tag nicht tun würde. Manche schreiben dann Postings in sozialen Netzwerken, die umso mehr daneben sind, je später der Abend wird. Ich muss gestehen, dass ich zur blauen Stunde beim Zappen gerne bei einem Trash-Sender hängen bleibe, der vom Leben und Wetter gegerbte Männer zeigt, die an einem unwirtlichen Ende der Welt verzweifelt mit riesigen Maschinen gegen die Erkenntnis anbaggern, dass sie sich die Schürfrechte an einem Ort gesichert haben, an dem längst kein Gold mehr ist.

So wie den Goldsuchern bei DMAX geht es aktuell vielen Ursachenforschern des andauernden Steigflugs der AfD und ihren davon abgeleiteten Schlussfolgerungen. In den abgegrasten Claims, die da aufgesucht werden, wird sich das Gegenmittel gegen die AfD nicht finden lassen.

Kolumnist Christoph Schwennicke
Kolumnist Christoph Schwennicke (Quelle: Antje Berghäuser)

Christoph Schwennicke arbeitet seit mehr als 25 Jahren als politischer Journalist, unter anderem für die "Süddeutsche Zeitung" und den "Spiegel". Zuletzt war er Chefredakteur und Verleger des Politmagazins "Cicero".

Die erste intellektuelle Fehlinvestition geht in die Frage: Treibt die CDU der AfD die Wählerinnen und Wähler in die Arme, weil sie zu wenig oder zu viel konservativ ist? Weder für die eine These (zu sehr nach links gerückt, deshalb wird rechts Platz frei) noch die andere (Ausschläge in die andere Richtung wie die "kleinen Paschas" von Friedrich Merz lenken Teile der Wählerschaft zum "Original") gibt es handfeste Belege. Im Reflex in die eine wie die andere Richtung spiegeln sich vor allem Position und Wunschdenken der jeweiligen Quelle der Behauptung. Erkenntnisgewinn ist nicht groß zu erhoffen.

Wie das Fuchteln schlechter Verlierer

Regelrecht Dünger auf das Wurzelwerk der AfD sind zweitens Gelüste, sie nach der Wahl eines Landrats aus ihren Reihen nun endlich verbieten zu lassen. Wer sie nicht bei Wahlen schlägt oder klein hält, geht den Weg des Verbots (nebenbei: Die Überwachung durch den Verfassungsschutz findet permanent statt) und bekundet damit weniger seine ordentliche freiheitlich-demokratische Gesinnung als vielmehr seine Hilflosigkeit. Das Vorhaben, den gewählten Landrat nach der Wahl auf seine Verfassungstreue zu überprüfen, geht in genau diese Richtung und ist noch verheerender. Das hätte man vorher machen und Herrn Sesselmann dann gegebenenfalls von der Wahl ausschließen müssen. Im Nachhinein sieht es so aus wie das Fuchteln schlechter Verlierer.

Und dann ist da drittens die Brandmauer. Sie wird gebaut aus dem festen Versprechen vor allem der CDU, niemals mit der AfD zusammenzuarbeiten, also auch nie im Leben eine Koalition einzugehen. Das ist eine klare Aussage und unterm Strich verständlich und richtig, wenngleich die Geschichte der Rechtsaußen-Parteien im Nachkriegsdeutschland gezeigt hat, dass sich diese Gebilde in der Opposition prächtig entwickeln und in Verantwortung schnell zerlegen: so wie Ronald Schill in seiner Zeit als Hamburger Innensenator von 2001 bis 2003.

Die Brandmauer verhindert, dass die AfD in Regierungsverantwortung kommt. Im Kampf gegen diese Partei hilft sie aber nichts. Vermutlich schadet sie eher, weil sie das "Wir alle gegen die" festschreibt und dann diejenigen, die nicht das "Wir" wollen, das Kreuz bei der AfD machen lassen. Die wirksamere Brandmauer müsste woanders stehen. Sie steht gewissermaßen im Rücken derjenigen, die vor sich die Steine gegen die AfD stapeln.

Gefühl linksgrüner Hegemonie

Gedankenspiel: Gehen wir einmal versuchshalber davon aus, dass bei den 20 Prozent für die AfD jenseits dessen, was ein Verfassungsschützer jetzt braunen Bodensatz genannt hat, ein erklecklicher Anteil von unzufriedenen Wählerinnen und Wähler des bürgerlichen Lagers sind. Jüngste Erhebungen belegen, dass konkret aus diesem Lager, also von CDU und FDP, die Leute zur AfD überlaufen. Nehmen wir weiterhin an, diese Leute sind unzufrieden, weil sie das Gefühl einer grünen (manche sagen "linksgrünen") Hegemonie haben, der die gesamte Politik und die damit verbundenen Parteien nachgeben.

Diese Wählerschaft hadert mit unkontrollierter Zuwanderung, sie hat das Gefühl, dass den Hiesigen weniger Beachtung und Zuwendung geschenkt wird als den Neubürgern. Sie haben (oder hatten) beim Heizungsgesetz das Gefühl, dass Klimaschutz um jeden Preis, vor allem aber auf Kosten der sozial Schwachen betrieben wird. Und sie haben den Eindruck, dass Gendern und Wokeness, also die Wachsamkeit für Diskriminierungen, mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird, als es in der Abwägung von Wichtigkeiten angemessen wäre. Für all das macht diese Klientel die Grünen als politische Quelle ausfindig.

Deshalb stellt sie sich möglicherweise in der Wahlkabine folgende Frage: Was kann ich wählen, ohne meine Stimme am Ende einer Regierung gegeben zu haben, in der die Grünen mitregieren und ihr den Stempel aufdrücken?

Stolz und selbstverliebt

Insofern hatte CDU-Chef Friedrich Merz den richtigen Riecher, als er nach Sonneberg einen härteren Kurs gegen die Grünen ankündigte. Das reicht aber nicht. Für die Anziehung vorläufig an die AfD verlorener Klientel müsste Merz weitergehen: eine Zusammenarbeit mit den Grünen ausschließen. Das geht aber aus zwei Gründen nicht so einfach. Erstens regiert die CDU bereits in einigen Bundesländern mit den Grünen zusammen. Und zweitens ist auch in der Union grünes Gedankengut heimisch geworden.

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Nur einen Tag nach Merz’ Ansage an die Grünen twitterte der bayrische Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder stolz und auch ein bisschen selbstverliebt, dass er zum Christopher Street Day die Regenbogenfahne vor der Staatskanzlei gehisst und einen Queer-Aktionsplan auf den Weg gebracht habe. Das ist nicht per se falsch. Aber es in den aufgeheizten Netzwerken so euphorisch zu verkünden, ist abermals Intensivdünger auf die Wurzeln der AfD. Man möge sich dazu einmal anschauen, wer vor allem den Tweet von Söder im Netz geboostet hat. Merz ist nicht zu beneiden.

Die FDP und ihre Fantasien

Die einzige Partei, die ihr Glück einigermaßen glaubhaft in einer Brandmauer gegenüber den Grünen suchen und so Wählerinnen und Wähler von der AfD zurückholen könnte, wären die Liberalen. FDP-Chef Christian Lindner hatte bekanntlich vor der Bundestagswahl gesagt, dass ihm für ein Bündnis mit den Grünen auf Bundesebene die "Fantasie" fehlte. Dann ist er dennoch in die Ampel eingetreten.

Es wäre erklärbar zu sagen: Versucht, gescheitert. Wir passen einfach überhaupt nicht zusammen. Es gibt keinen gemeinsamen Nenner, nicht mal einen kleinsten. Das wäre glaubhaft. Denn genau das haben die zwei Jahre dieser Bundesregierung nun Tag für Tag aufs Neue erwiesen. Und zur selbst ernannten Alternative gäbe es dann eine wirkliche, die nicht wieder ins Grüne mündet.

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