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Freiwillig Entwicklungsland: Wie China Industrieländer in die Ecke drängt


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Freiwillig Entwicklungsland
Wie China die Industrieländer in die Ecke drängt


Aktualisiert am 28.12.2022Lesedauer: 6 Min.
Xi Jinping: Der chinesische Staatspräsident will sich von der Kohle nicht gänzlich lossagen.Vergrößern des Bildes
Xi Jinping: Der chinesische Staatspräsident will sich von der Kohle nicht gänzlich lossagen. (Quelle: Daderot, Wikipedia; stock&people, Imago; Thaer Ganaim, Imago / Montage: Aßmann)
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China ist der größte CO2-Produzent der Welt – und weist doch die finanzielle Verantwortung dafür von sich. Der Widerstand der Industrieländer wächst.

Auf den ersten Blick ist es ganz einfach – und im Englischen klingt es auch noch schön: "Polluters pay" lautet die eingängige Formel der Klima- und Umweltpolitik. Wer verschmutzt, muss zahlen.

Auf den zweiten aber entpuppt sich dieser Grundsatz immer wieder als schwierig umzusetzen. Das hat sich auch in diesem Jahr wieder gezeigt, und zwar ausgerechnet am Beispiel des größten Klimaverschmutzers der Erde: China. Und auch im kommenden Jahr wird das Dilemma mit der Volksrepublik wohl eines der bestimmenden Themen der internationalen Klimapolitik bleiben.

Denn das bevölkerungsreichste Land der Welt verursacht fast ein Drittel der weltweiten CO2-Emissionen. Bezahlen aber will die Regierung um Staatschef Xi Jinping dafür nicht, im Gegenteil. Geht es nach Xi, soll der Westen allein für die Klimaschäden aufkommen – schließlich waren es die Industrieländer, die Jahrzehnte vor China die Luft verschmutzt haben.

Das Problem: Beide Seiten haben auf ihre Art recht. Während China sich aufseiten der klimageschädigten Entwicklungsländer verortet, sehen insbesondere die USA und die EU die Volksrepublik eindeutig als Mitverursacher eben jener Klimaschäden. Ein Dilemma, das sich nur schwer lösen lässt, aber von zentraler Bedeutung ist, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen.

Entschädigungszahlungen seit Jahren gefordert

Besonders deutlich wurde der Streit bei der diesjährigen Klimakonferenz im ägyptischen Scharm-el-Scheich. Dort war das wichtigste Thema die Frage nach sogenannten Reparationszahlungen für Länder, die besonders unter der Klimakrise leiden. Zu Beginn schienen sich noch alle einig zu sein. Der chinesische Klimabeauftragte, Xie Zhenhua, betonte, Solidarität, Kooperation und Multilateralismus, also die Zusammenarbeit mehrerer Staaten, seien der einzige Weg heraus aus der Klimakrise.

Und so zählte China auch zu den Ländern, die am stärksten darauf drängten, einen Finanztopf für "Schäden und Verluste" einzurichten. Gemeint sind damit alle Folgen von Katastrophen wie Dürren oder Überschwemmungen, die von der Klimakrise verursacht oder verstärkt werden. Betroffen sind vor allem die Entwicklungsländer, die historisch durch ihren geringen Emissionsausstoß jedoch kaum zur Entstehung der Klimakrise beigetragen haben.

Die Verursacher sind vor allem die Industrieländer. Und gemäß dem "Polluters pay"-Prinzip sollen sie deshalb in den Topf einzahlen, fordern die Entwicklungsländer bereits seit Jahrzehnten. Dass sich die USA und die EU in Ägypten nun darauf einließen, einen solchen Fonds zu gründen, gilt als größter Erfolg der Konferenz.

Aber: Obwohl China der größte CO2-Produzent der Welt ist, will Peking nicht einzahlen – sondern womöglich in Zukunft sogar zu den Empfängerländern gehören, auch wenn Xie zum Ende der Konferenz einschränkte, er hoffe, dass die verletzlichsten Staaten zuerst Geld aus dem Fonds erhielten.

Zu Letzteren zählt China sich selbst zwar nicht – wohl aber zu den Entwicklungsländern, die langfristig von den Zahlungen profitieren sollen. Denn in den Neunziger Jahren wurde diesen die Unterstützung der Industrieländer zugesagt, welche ihrerseits weniger Emissionen versprachen.

Das Problem: "Entwicklungsland" ist keine klar definierte Kategorie. Unter anderem vom Bundesentwicklungsministerium herangezogen wird die Liste der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) über jene Staaten, die Finanzmittel aus der öffentlichen Entwicklungszusammenarbeit erhalten. Darin taucht China tatsächlich noch auf, wenn auch in der höchsten der vier Unterkategorien als Land im oberen Mittelfeld – umgangssprachlich also als Schwellenland.

"Über das Jahr 2022 reden, nicht über 1992"

Doch die Klimaabkommen aus den Neunzigerjahren kennen die Kategorie "Schwellenland" nicht – und China ist nach den USA die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Der Grünen-Europa-Abgeordnete Michael Bloss forderte daher: "China muss anerkennen, dass es kein Entwicklungsland ist wie zum Beispiel Ghana und die Marshall-Inseln."

Doch Handlungsbedarf sieht Peking nicht bei sich selbst, sondern vor allem bei den USA und der EU. Dort jedoch stößt die chinesische Haltung auf heftige Kritik. Kurzzeitig sah es sogar danach aus, dass die Errichtung des Fonds an der China-Frage scheitern könnte – denn dass China einzahlt, machte die EU zunächst zur Bedingung. EU-Klimakommissar Frans Timmermanns sagte: "Wenn wir über Geld reden, müssen wir über das Jahr 2022 reden, nicht über 1992". Das sei eine Frage der Fairness.

Welcher Maßstab bei den Emissionen?

Das Argument – China müsse als aktuell größter Verursacher von Treibhausgasen die Verantwortung tragen – ist bei genauerem Hinsehen allerdings noch aus anderem Grund nur bedingt schlagend. Denn bei den Schäden und Verlusten geht es vor allem um historische Verantwortung.

Betrachtet man die Emissionen seit dem ersten internationalen Klimaabkommen 1992, ist jedoch der Anteil der USA mit Abstand am größten. Es folgen die EU und Russland, erst auf Platz vier landet China. Und auch bei den Emissionen pro Einwohner liegen die USA weit vor dem 1,4-Milliarden-Land.

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Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) formulierte ihre Forderungen wohl auch deswegen anders: "Alle großen Emittenten von heute tragen die Verantwortung für die Klimaschäden der Zukunft", erklärte sie in Ägypten. Den Sendern RTL und n-tv sagte sie, auch China müsse Verantwortung übernehmen, wenn das Land nicht bereit sei, die eigenen Emissionen "radikal herunterzubringen".

Energiewende in China: Potenzial riesig, Umsetzung ausbaufähig

Das verspricht Peking zwar: China werde entschlossen seine eigenen Ziele umsetzen, kündigte der Klimabeauftragte Xie Zhenhua an. Ab 2030 will das Land weniger Treibhausgase verursachen, spätestens 2060 CO2-neutral sein. Doch Experten wie die Forschergruppe des "Climate Action Tracker" halten das für "höchst unzureichend", um die internationalen Klimaziele zu erreichen.

Kernproblem ist die Energieversorgung: Mehr als die Hälfte des chinesischen Stroms wird noch immer aus Kohle gewonnen, obwohl das Regime massiv in erneuerbare Energie investiert. Das Potenzial ist riesig – die Nutzung allerdings ausbaufähig.

Der Elektrizitätsmarkt Chinas ist nicht zentral, sondern regional organisiert. Beispielsweise die Wüste Gobi oder das Qaidam-Becken könnten im großen Stil erneuerbare Energie erzeugen. Von dort müsste der Strom allerdings in die Industriezentren des Landes geleitet werden – und genau daran scheitert es derzeit noch.

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Hinzu kommt eine weitere Krux, wie in diesem Sommer deutlich wurde: Die Region Sichuan gewinnt normalerweise 80 Prozent ihrer Energie aus Wasserkraft, hauptsächlich mittels Kraftwerken am Fluss Jangtse. Durch die diesjährige Dürre trocknete dieser jedoch aus – Stromknappheit und teils stillstehende Fabriken waren die Folge.

Wann kommt der Kohleausstieg?

Probleme wie diese, die durch die Folgen der Klimakrise in Zukunft noch häufiger auftreten könnten, nährten die Sorge, China könnte doch weiter die Kohleverbrennung ausbauen. Eigentlich hatte Xi Jingping verkündet, ab 2026 solle der Kohleverbrauch sinken. Im Oktober sagte der Staatspräsident allerdings, dass China den "sauberen und effizienten Gebrauch von Kohle" auch weiterhin unterstützen werde.

Trotzdem gehen Experten davon aus, dass die Ziele nicht zu erreichen sein werden – denn Chinas Energiehunger ist riesig, und es ist nicht abzusehen, dass er in den nächsten Jahren schrumpft.

China soll zahlen – während die Industriestaaten selbst Versprechen brechen

Wer genau in den neuen Finanztopf für die Entwicklungsländer einzahlen soll, ist unterdessen noch immer nicht geklärt. In Deutschland hofft man weiterhin, dass sich China beteiligt. Unterhändler Xie Zhenhua sagte zum Ende der Klimakonferenz, Entwicklungsländer könnten auf "freiwilliger Basis" einzahlen. Eine Ankündigung? Fraglich, zumal China seinerseits darauf verweist, dass die Industrieländer zwar schon in der Vergangenheit versprochen hätten zu zahlen, es aber bis heute nicht getan haben.

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Tatsächlich hatten die Industrieländer bereits 2009 zugesichert, den Entwicklungsländern bis 2020 jährlich 100 Milliarden US-Dollar für die Klimafinanzierung bereitzustellen. 2015 wurde diese Zusage in Paris erneuert und bis 2025 verlängert. Erfüllt wird sie nach Angaben der OECD vermutlich jedoch erst im kommenden Jahr zum ersten Mal.

Martin Kaiser, geschäftsführender Vorstand von Greenpeace Deutschland, sagte daher: "Hätten insbesondere die USA ihre Rechnung bezahlt, wären die G7 in einer besseren Verhandlungsposition gewesen." Denn so hätte die chinesische Seite ein Argument weniger gehabt.

Wichtiger Zwischenerfolg in Ägypten

Auch aufgrund dieser konträren Position von China auf der einen und den USA und der EU auf der anderen Seite war ein anderer, wenn auch kleiner Erfolg der Klimakonferenz so wichtig: China und die USA haben ihren Klimadialog wiederaufgenommen, der im August über den Taiwan-Konflikt eingestellt worden war.

Dass die Top-Klimaverschmutzer Nummer eins und zwei trotz aller Differenzen kooperieren, ist angesichts der zunehmenden Dramatik der Klimakrise essenziell – sowohl mit Blick auf die Entschädigungszahlungen als auch auf die Emissions-Einsparungen. Denn das China-Dilemma der internationalen Klimapolitik wird sich in den kommenden Jahren wohl kaum auflösen. Der nächste Streit scheint vorprogrammiert zu sein – spätestens bei der nächsten UN-Klimakonferenz in Dubai im Dezember 2023.

Verwendete Quellen
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