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"Anne Will" zur Europawahl: Grüner Triumph, Niederlagen für Union und SPD


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TV-Kritik "Anne Will"
"Wir erleben live, warum ihr Wahlkampf nicht funktioniert hat"

MeinungEine TV-Kritik von Nina Jersey

Aktualisiert am 27.05.2019Lesedauer: 4 Min.
Talkrunde bei "Anne Will": Bei der Europawahl sind die großen Volksparteien die Verlierer.Vergrößern des Bildes
Talkrunde bei "Anne Will": Bei der Europawahl sind die großen Volksparteien die Verlierer. (Quelle: ARD)
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Grüner Triumph, historische Niederlagen für Union und SPD: Die Europawahl verschiebt auch in Deutschland das Bild, wer politisch relevant ist. Annalena Baerbock will Probleme endlich anpacken. Und Sigmar Gabriel verkündet seinen Rückzug.

Die Gäste

  • Annalena Baerbock, Parteivorsitzende Bündnis 90/Die Grünen
  • Armin Laschet (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen
  • Sigmar Gabriel, ehemaliger SPD-Parteivorsitzender
  • Melanie Amann, Leiterin des "Spiegel"-Hauptstadtbüros
  • Christoph Schwennicke, "Cicero"-Chefredakteur

Die Positionen

Armin Laschet war aufrichtig verwirrt: "Aus irgendeinem Grund ist das Klimathema plötzlich ein weltweites Thema geworden." Dabei gebe es doch so viele andere wichtige Themen, die verantwortungsvolle Politik thematisieren müsse – selbst wenn sie "nicht hip" seien oder "bei YouTubern nicht die Rolle gespielt" hätten. Laschet führte recht umständlich den Binnenmarkt oder eine europäische Außenpolitik ins Feld. "Wir erleben gerade live, warum ihr Wahlkampf nicht funktioniert hat", attestierte ihm "Spiegel"-Journalistin Melanie Amann unter dem Applaus des Publikums. "Wieso denn?", fragte Laschet verwundert.

Für Sigmar Gabriel liegt gerade in dieser "Ausgewogenheit" das aktuelle Problem der (einstigen) Volksparteien. "Wir sind Konsensparteien, die versuchen, alle möglichen Fragen mitzudenken. Und wir leben in einer Zeit, in der Menschen eindeutige Antworten wollen", sagte der einstige SPD-Chef. "Die Grünen haben ein klares Profil. Das hat ihnen hierbei geholfen." Für seine Partei sprach er von einem bitteren Tag und einem schlimmen Wahlergebnis.

Nach Ansicht von Amann haben SPD und CDU vielmehr zu wenige Fragen aufgegriffen. Gerade für junge Menschen wichtige Themen wie Urheberrechtsreform oder Fridays for Future seien in den Wahlkämpfen dieser Parteien kaum vorgekommen. "Die Reden hätten so auch vor drei Monaten stattfinden können", meinte sie zum Wahlkampfabschluss der EVP in München. "Man hat das Ding einfach stumpf durchgezogen. Das haben die Wählerinnen und Wähler gespürt." Die Folge: Ein Weg in die "Verzwergung und Vergreisung".

CDU und SPD waren vorgewarnt, meinte Christoph Schwennicke. "Das ist das dritte Mal, dass dieses Große Koalition in Berlin abgewählt worden ist", sagte er mit Blick auf die vergangenen Wahlen im Bund und in Hessen. Der "Cicero"-Chefredakteur sah den Trend zu den Grünen aber nicht unkritisch. Er verglich das Kreuz für die Umweltpartei mit einer Art klimapolitischem Ablasshandel: "Ich wähle die Grünen und kann dann danach mit meinem SUV wieder vom Wahllokal wegfahren. Das fühlt sich gut an, ich habe alles richtig gemacht und muss mein Leben überhaupt nicht verändern."

Der Aufreger des Abends

"In Berlin müssen jetzt diejenigen Verantwortung übernehmen, die den heutigen personellen und politischen Zustand in der SPD bewusst herbeigeführt haben." Und: "Alles und alle gehören auf den Prüfstand." Mit diesen markigen Zitaten im "Tagesspiegel" hatte Gabriel am Sonntag als einer der ersten scheinbar personelle Folgen aus der Europawahl gefordert. Müsse Parteichefin Andrea Nahles nun also Konsequenzen ziehen?, wollte Anne Will wissen. "Nicht alleine", antwortete Gabriel und wollte es nicht gewesen sein. "Das finde ich zum Beispiel auch falsch, dass jetzt immer gesagt wird: Frau Nahles ist die Schuldige. Da gibt es eine ganze Reihe von Menschen, die das mitgetragen haben." Es gehe auch gar nicht so sehr um personelle Konsequenzen als um das Eingeständnis: "Das haben wir falsch gemacht."

Eindeutig wurde Gabriel bei Wills Frage, ob er tatsächlich nicht mehr für den Bundestag kandidieren wird. "Ja", sagte der Ex-Außenminister. "Ich werde 2021 gewiss nicht noch mal antreten." Gabriel will seiner Partei aber erhalten bleiben. "Ich mache auch weiter Politik für die SPD", erklärte er. "Ich hab nur meiner Partei rechtzeitig sagen wollen: Achtung, jetzt müsst ihr euch nach 30 Jahren jemanden suchen."

Das Zitat des Abends

Laschet und Gabriel schienen an diesem Wahlabend den Eindruck erwecken zu wollen, als sei den Grünen der Sieg dank der Dominanz des Klimathemas quasi in den Schoß gefallen. Annalena Baerbock sah ihren Wahlerfolg hingegen in einem größeren demokratischen Zusammenhang. Die Stimmen für die Grünen seien auch Stimmen für Rechtsstaatlichkeit und Zusammenhalt in Europa gewesen. "Klimaschutz ist nicht mehr nur ein Ökothema. Klimaschutzpolitik ist Industriepolitik", unterstrich die Parteivorsitzende.

Für sie ist der Wahlerfolg Auftrag gegen Politikverdrossenheit. "Deshalb müssen wir jetzt Antworten liefern", sagte Baerbock. "Das Wichtige ist mir, dass wir die Probleme wirklich anpacken." Dazu gehört es ihrer Ansicht nicht, sich im Europäischen Parlament an den erstarkten Populisten abzuarbeiten. "Sich jetzt nur gegen die Rechtsnationalisten zu stellen, das wäre Wasser auf deren Mühlen und aus meiner Sicht absolut fatal." Lieber sollten die demokratischen Parteien klar die Unterschiede untereinander herausarbeiten und Lösungen finden.

Der Faktencheck

Eine gute Nachricht: Europa gewinnt für seine Bürger an Bedeutung. Die Wahlbeteiligung lag 2019 vorläufigen Angaben zufolge bei 61,5 Prozent. Beim Urnengang 2014 hatte nicht mal jeder zweite Wahlberechtigte (48,1 Prozent) votiert.

Laut Infratest Dimap gewannen die Grünen in Deutschland von der SPD rund 1,3 Millionen Wähler. Von der Union wanderten demnach im Vergleich zur vergangenen Bundestagswahl 1,1 Millionen Wähler zu den Grünen ab. Etwa zwei Millionen frühere SPD-Wähler gingen dieses Mal hingegen nicht wählen. Die Union verlor 2,5 Millionen Stimmen an das Lager der Nichtwähler.

Verwendete Quellen
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