Kleiner Parteitag der Grünen Nouripour: "Werden immer Friedenspartei bleiben"
Auf dem kleinen Parteitag wird die Gratwanderung der Grünen deutlich: Auf der einen Seite spricht sich die Partei für die Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine aus. Gleichzeitig werden andere Verteidigungspläne abgelehnt.
Die Grünen unterstützen deutsche Waffenlieferungen an die Ukraine zur Verteidigung gegen Russland, lehnen das 2-Prozent-Ziel der Nato aber ab. "Als Regierungspartei übernehmen wir Verantwortung und stehen in konsequenter Solidarität mit der Ukraine", heißt es in einem am Samstag beim kleinen Parteitag in Düsseldorf beschlossenen Antrag. "Wir warnen den Kreml vor dem Einsatz jeglicher Massenvernichtungswaffen und treten mit aller Entschlossenheit der Aggression des russischen Regimes entgegen."
Dies solle durch die Aufnahme schutzbedürftiger Menschen, Diplomatie, schnelle und konsequente Sanktionen, die "Unterstützung mit wirksamen, auch schweren und komplexen Waffen" und das Annehmen einer aktiven, verantwortlichen Rolle innerhalb der EU-Staaten, der Nato und der Weltgemeinschaft geschehen. "Es geht darum, die Folgen des Krieges einzudämmen und unseren Teil dazu beizutragen, diesen zu beenden."
2-Prozent-Ziel der Nato abgelehnt
Das Ziel der Nato, wonach die Bündnisstaaten jährlich zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung ausgeben sollten, lehnte der Parteitag hingegen ab. "Fixe Quoten abseits des Bedarfs der Bundeswehr, bei fehlenden effizienten Beschaffungsstrukturen und einem Zu-wenig an europäischer Zusammenarbeit bedeuten eben genau nicht mehr Sicherheit", heißt es in dem Antrag.
Das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr segneten die 99 Delegierten hingegen mehrheitlich ab. Die Grünen fordern auch eine zügige Reform des Beschaffungswesens der Truppe. Ein Änderungsantrag der Grünen Jugend, der forderte, vor einer Zustimmung zu den 100 Milliarden Euro zunächst das Beschaffungswesen zu reformieren, fand keine Mehrheit.
Nouripour: Bleiben Friedenspartei
Zuvor hatte Grünen-Chef Omid Nouripour die militärische Unterstützung der Ukraine gegen den russischen Angriff verteidigt, sich zugleich aber zum Einsatz für den Frieden bekannt. "Wir werden immer Friedenspartei bleiben", versprach Nouripour. Gerade die grüne Außenministerin Annalena Baerbock habe alles getan, um einen Krieg zu verhindern, der Kreml habe daran aber kein Interesse gehabt.
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Als Regierungspartei schauten die Grünen der Realität ins Gesicht, sagte Nouripour. Das bedeute keinen Abschied vom Bemühen um friedliche Konfliktlösungen. Der Einsatz von Militär dürfe nur "ein aller-, allerletztes Mittel" sein. Die Lage in der Ukraine zwinge die Grünen nun, Dinge zu tun, die sie vor einigen Wochen nicht getan hätten, darunter die Lieferung schwerer Waffen.
Putins "perfider Plan"
Nouripour warnte vor einer globalen Katastrophe, falls der "perfide Plan" des russischen Präsidenten Wladimir Putin Erfolg habe, die ukrainischen Häfen zu blockieren. Dann würden wichtige Getreideexporte aus der Ukraine verhindert, und der Hunger nähme zu auf der Welt. "Es ist an Skrupellosigkeit nicht zu überbieten." Es gehe nicht nur darum, den Menschen in der Ukraine zu helfen, sondern auch dies zu verhindern.
Fraktionschefin Britta Haßelmann betonte in ihrer Rede: "Es geht hier nicht um Kompromisse". Sondern: "Es geht darum, dass die Regierung, die russische Regierung alle Kampfhandlungen einstellen muss, und zwar sofort."
Kulturstaatsministerin Claudia Roth nannte Russland eine "lupenreine Diktatur". "Vernichtet werden sollen die Kultur und die kulturelle Identität der Ukraine." Die Ukraine müsse sich verteidigen können, auch mit schweren Waffen, dennoch warnte Roth vor einer einseitigen Debatte und einer Aufrüstungsspirale.
Nouripour gegen 2-Prozent-Ziel der Nato
"Es ist unser Job als Grüne, die historisch gewachsene berechtigte Kultur der militärischen Zurückhaltung nicht aufzugeben. Das ist und bleibt richtig", sagte Grünen-Chef Nouripour. Das Nato-Ziel, wonach jährlich zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Rüstung auszugeben wären, sei falsch. Der Verankerung im Grundgesetz stimmten die Grünen nicht zu, sagte Nouripour, der einen Antrag des Bundesvorstands zur Ukraine-Politik eingebracht hatte. Allerdings müsse die Bundeswehr sich massiv verändern, etwa bei der Beschaffung. Wichtig sei aber auch der Einsatz gegen Cyberattacken oder gegen Desinformationskampagnen.
Nicht persönlich anwesend waren die Vorgänger von Lang und Nouripour: Vizekanzler Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock wurden per Video zugeschaltet. Baerbock sollte parallel auf einer Wahlkampfveranstaltung in Lübeck auftreten. Dort hatten allerdings Unbekannte auf einer Freilichtbühne zuvor Buttersäure versprüht. Daraufhin wurde die Veranstaltung abgesagt.
Baerbock: Geht um "unser Friedensprojekt Europa"
In ihrem Videostatement hatte Baerbock an ihre Partei appelliert, den von der Bundesregierung eingeschlagenen Weg zur Unterstützung der Ukraine und der Ausrüstung der Bundeswehr mitzutragen. "In diesen Momenten, wo das Unvorstellbare doch bittere Realität geworden ist, tragen wir Verantwortung und müssen Dinge entscheiden, die wir uns bisher nicht vorstellen konnten", sagte die Außenministerin.
Denn es gehe "um unser Friedensprojekt Europa", sagte Baerbock. Sie sei dankbar dafür, dass die Grünen bereit seien, Verantwortung zu übernehmen und sich nicht wegduckten. Baerbock zeigte zugleich Grenzen auf und erteilte der Errichtung einer Flugverbotszone über der Ukraine eine klare Absage. "So sehr es einem das Herz zerreißt – wir müssen kühlen Kopf bewahren." Denn es gebe auch die Verantwortung dafür, "dass dieser Krieg nicht ein Krieg in ganz Europa wird".
Verwirrung um Habecks Corona-Status
Baerbock verteidigte nicht nur die geplante Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine, sondern auch das vorgesehene Sondervermögen für die bessere Ausstattung der Bundeswehr. So etwas hätten die Grünen bislang nicht diskutiert. "Aber wenn sich die Welt verändert, müssen sich auch unsere politischen Antworten verändern", sagte sie.
Habeck war aufgrund einer vermeintlichen Coronainfektion nicht auf dem Parteitag anwesend. Während seiner Videoansprache teilte er allerdings mit, ein PCR-Test sei negativ ausgefallen. Habeck war am Freitag zunächst positiv auf das Coronavirus getestet worden.
Drei Schnelltests verschiedener Hersteller seien positiv ausgefallen, sagte Habeck. "Ich hab also keine Ahnung, ob ich jetzt Corona hab oder nicht. Es steht drei zu eins." Er warte nun auf das Ergebnis eines weiteren Tests.
Grüne fordern Unabhängigkeit von Russland
In einem weiteren Antrag plädiert die Parteispitze für den "kompletten ökonomischen Bruch mit Putins Russland". Für die deutsche und europäische Industrie sei "die Überwindung der Abhängigkeit von Kohle und Öl, von Gas und Uran die entscheidende Zukunftsfrage". Drastisch verstärkt werden müssten bundesweit die Anstrengungen zum Energiesparen und zur Erhöhung der Energieeffizienz.
"Die Zeiten von billigem, pipeline-gebundenem russischem Gas sind unwiderruflich vorbei", heißt es in dem Antrag weiter. "Nichts, auch nicht grüner Wasserstoff, wird Kohle, Öl und insbesondere Gas eins zu eins ersetzen."
- Nachrichtenagenturen AFP und dpa