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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ricarda Lang Wie will sie das nur machen?
Die Grünen bekommen eine neue Parteispitze. Besonders auf Ricarda Lang lasten hohe Erwartungen, denn sie vertritt den linken Flügel der Partei. Dort rumort es bereits – und das hat vor allem mit Robert Habeck zu tun.
Ein wichtiger neuer Job kann ja schnell einschüchternd wirken. Deshalb gibt es für Ricarda Lang und Omid Nouripour, die künftig die Grünen anführen wollen, zum Start eine gute Nachricht: Eigentlich werden sie nur eine Aufgabe zu erledigen haben.
Diese Aufgabe wird gerade von allen Seiten an sie herangetragen, vom linken und vom rechten Flügel, von den Jungen und den Älteren in der Partei. Passenderweise haben sich die beiden die Aufgabe auch gleich selbst verordnet.
Sie wollen "das Profil der Grünen schärfen", sagt Ricarda Lang. Und das sagt eben auch Omid Nouripour. Wortgleich.
Das klingt ziemlich einfach, ist aber dummerweise unglaublich kompliziert. Und das ist leider die schlechte Nachricht dieses Wochenendes, an dem die Grünen auf ihrem Parteitag ihre neuen Vorsitzenden wählen.
Denn die große Frage lautet: Wie soll dieses Profil aussehen?
Die Bündnispartei
Der Streit darüber, was für eine Partei sie überhaupt sein wollen, beschäftigt die Grünen schon seit ihrer Gründung. Mal mehr, mal weniger. Zuletzt eher weniger. Zumindest hatten Annalena Baerbock und Robert Habeck es geschafft, die Konflikte in der Sache mit großen Kompromissen und großer Rhetorik zu befrieden.
Sie erfanden das Wort der "Bündnispartei", was nicht so verstaubt klingen sollte wie Volkspartei, aber zumindest im Anspruch an die Wahlergebnisse das Gleiche bedeutete. Nämlich ganz oben mitzuspielen, die Kanzlerin zu stellen.
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Bündnispartei sollte aber mehr heißen als das. Es brachte das viel zitierte "Ausgreifen" der Grünen in alle Teile der Gesellschaft auf eine Formel. Raus aus der Nische, nur etwas wohlklingender. Die Grünen wollten nicht mehr nur mit den Umweltschützern sprechen, sondern auch mit den Wirtschaftsbossen. Und erzählten das auch stolz.
Nicht mit allen gut Freund sein
Wirklich unumstritten war dieser Kurs in der Partei nie, aber der Erfolg in den Umfragen und der Wahlkampf disziplinierten. Mit dem enttäuschenden Ergebnis bei der Bundestagswahl und dem Umbruch an der Spitze gibt es aber inzwischen wieder mehr und auch bedeutende Grüne vom linken Flügel, die den Kurs recht grundsätzlich infrage stellen.
Wenn die Kassiererin mit ihrem Laden um mehr Geld und Urlaub kämpfe, helfe es eben nicht weiter, wenn die Grünen Verständnis für beide Seiten aufbrächten. Da müsse man öffentlich klar Position beziehen. Und zwar für die Kassiererin. So geht eines der Argumente.
Besonders in der Sozialpolitik finden linke Grüne ihre Partei zu zaghaft. Die Klimadebatte im Wahlkampf, die schnell zur Benzinpreisdebatte wurde und die Grünen ebenso schnell in die Defensive brachte, gilt ihnen als Negativbeispiel dafür.
Zumal die Beziehungen zu den Bossen aus Sicht dieser Grünen im Wahlkampf nicht viel gebracht haben. In der Tat schienen manche damals überrascht, als die Wirtschaft, mit der man sich doch gerade so nett unterhalten hatte, trotzdem gar nicht so nette Kampagnen gegen die Grünen schaltete.
Mit allen gut Freund sein, das funktioniert eben nicht, lautet diese Position in Kurzform. Die Sorge jedenfalls, nicht nur die eigenen Überzeugungen, sondern auch wichtige Bewegungen wie "Fridays for Future" zu verlieren, ist real.
Die Erwartungen an sie
Und an dieser Stelle kommen Omid Nouripour und vor allem Ricarda Lang ins Spiel. Besonders auf ihr lasten nämlich die Erwartungen des linken Flügels, wenn es um das neue Profil geht. Anders als der Realo Nouripour ist Lang eine Parteilinke, eine frühere Chefin der Grünen Jugend noch dazu und selbst erst 28 Jahre alt.
Der linke Flügel ist mit der Wahl wichtiger geworden. Viele Junge und Linke (was bei den neuen Grünen oft das Gleiche ist) sind in den Bundestag eingezogen. Allerdings bleibt das Realo-Lager mächtig. Das liegt zum einen am einzigen grünen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann und seinen Anhängern. Kretschmanns Erfolg in Baden-Württemberg gilt vielen als Beweis dafür, dass sein (Ultra-)Realo-Weg ein Vorbild sein müsse.
Und es liegt zum anderen an den Grünen in der Bundesregierung. Auch da sind die Realos nicht nur in der Überzahl, weil Annalena Baerbock, Robert Habeck und Cem Özdemir gegen Anne Spiegel und Steffi Lemke stehen. Habeck hat sich mit dem Klimaministerium auch das grüne Schlüsselressort gesichert, und zugleich als Vizekanzler schon rein formal die größte Macht.
Jede Kritik eine Kritik an sich selbst
Die Sache mit dem Profilschärfen ist deshalb aus mehreren Gründen kompliziert. Mit anderen Parteien zu regieren und sich zugleich von diesen anderen Parteien absetzen zu wollen, ist schon an sich ein schwieriges Unterfangen. Weil eben jede Kritik an der Regierungsleistung immer auch Kritik an der eigenen Leistung in der Regierung ist. Die SPD hat das viele Jahre erfolglos ausprobiert.
Mit Robert Habeck ist dann auch noch der Erfinder des Bündnispartei-Ansatzes der mächtigste grüne Regierungspolitiker. Genau wie Annalena Baerbock will er künftig im Parteirat sitzen, nach dem Bundesvorstand das wichtigste Entscheidungsgremium. Und er wird dort sicher nicht immer die gleiche Meinung vertreten wie die Parteilinken.
Wie sehr also wird Habeck weiterhin versuchen, den Grünen die Richtung vorzugeben? Zugespitzt: Werden die Grünen bald aus dem Klimaministerium geführt? Egal wer die neuen Parteichefs sind? Es gibt diese Sorgen im linken Flügel. Und zugleich gibt es die Hoffnung, dass Habeck zu schlau ist, es auf die Spitze zu treiben.
Eine Herausforderung aber wird die Konstellation für Ricarda Lang und Omid Nouripour in jedem Fall. Denn die öffentliche Aufmerksamkeit wird künftig vor allem den grünen Ministerinnen und Ministern gelten. Sie können regieren, während die Parteispitze nur reden kann.
Und dann wäre da ja auch noch die klitzekleine Frage, wie das Profil, das man schärfen will, denn am Ende überhaupt aussehen soll.
- Eigene Recherchen