Debatte über Umgang mit AfD Lang: "Merz spielt russisches Roulette"
Der CDU-Kanzlerkandidat will nach der Tat von Aschaffenburg hart durchgreifen – egal mit wem. Das sorgt vor der Bundestagswahl für Aufregung.
Kanzlerkandidat Friedrich Merz hat bei der "Bild" abermals betont, dass er nicht mit der AfD zusammenarbeiten möchte. An dieses Versprechen hat er auch seine politische Zukunft geknüpft. Nach dem tödlichen Angriff in Aschaffenburg plant Merz jedoch schärfere Maßnahmen in der Migrationspolitik und beabsichtigt, diese einzubringen, "unabhängig davon, wer ihnen zustimmt". Deshalb zweifeln SPD und Grüne an der Verlässlichkeit des Unionskandidaten, die Brandmauer zur AfD aufrechtzuerhalten.
Nun sucht Merz bei seinen Plänen eine Einigung mit SPD, Grünen und FDP. Die Union werde heute die Bundestagsanträge fertigstellen und vorab nur diesen drei Parteien zur Verfügung stellen, sagte er der "Heilbronner Stimme"-Mediengruppe. "Ich kann mir nicht vorstellen, dass SPD, Grüne und FDP jetzt nichts unternehmen wollen, um die Sicherheitslage in Deutschland zu verbessern", sagt Merz der "Bild".
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Die AfD würde die Anträge nicht bekommen, weil er weder mit der Rechtsaußen-Partei noch mit dem BSW verhandle, sagte Merz. "Es bekommen die ehemaligen Ampel-Fraktionen die Texte von uns, mit der ausdrücklichen Bitte, darüber über das Wochenende zu sprechen und den Versuch zu unternehmen, in der nächsten Woche hier eine gemeinsame Entscheidung zu treffen."
Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur aus Unionskreisen sind zunächst zwei Anträge in Vorbereitung: einer zu allgemeinen Positionen der Union in der Migrationspolitik und ein weiterer zu einem Fünf-Punkte-Plan von Merz.
Miersch: Merz ist Kanzleramt nicht gewachsen
Besonders deutliche Kritik an Merz kommt von SPD-Generalsekretär Matthias Miersch. Die Messerattacke von Aschaffenburg sei eine Tragödie und müsse aufgeklärt werden.
"Die impulsiven Reaktionen und Ankündigungen von Friedrich Merz werden diesem schrecklichen Ereignis nicht gerecht. Mit seiner Aussage, es sei ihm egal, mit wessen Hilfe – selbst der AfD – er seine Anträge durchbringt, verlässt er die demokratische Mitte des Parlaments", sagt Miersch t-online. Weiter noch: Merz stelle den Grundkonsens, im Bundestag nicht mit Rechtsextremen zusammenzuarbeiten, infrage.
- Jubel über Merz-Vorstoß: Bei der AfD knallen die Sektkorken
"Wer AfD-Stimmen bewusst in Kauf nimmt und die AfD jubeln lässt, zeigt, dass er weder politisch noch moralisch dem Amt des Bundeskanzlers gewachsen ist", so Miersch. Noch vor wenigen Wochen habe Merz versprochen, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD geben werde. "Jetzt ist er dabei, sein Wort zu brechen. Das darf nicht passieren", sagt Miersch.
Zuvor hatte bereits SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich Merz Niederlagen vor Gericht prophezeit. "Herr Merz scheint mit seiner vollmundigen und voreiligen Ankündigung zu viel Trump geschaut zu haben. Selbst die US-Justiz hat bereits den Präsidenten zurückgepfiffen", so Mützenich mit Verweis auf den neuen US-Präsidenten, Donald Trump.
Dieser musste jüngst für den Versuch, per Dekret das Recht auf US-Staatsangehörigkeit durch Geburt in dem Land für bestimmte Gruppen einzuschränken, eine juristische Schlappe einstecken.
Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zeigte sich besorgt. Er äußerte Zweifel daran, dass Merz die Brandmauer zur AfD wirklich aufrechterhalte. "Nun mache ich mir wirklich Sorgen, nachdem die CDU ihre Anträge im Bundestag mit Stimmen der AfD durchsetzen will", sagte Scholz mehreren Regionalzeitungen. Er forderte: "Die Brandmauer zur AfD darf nicht bröckeln."
Beim Besuch eines Kulturzentrums am Samstag fügte er hinzu: "Das führt dazu, dass das Grundrecht auf Asyl in Deutschland nicht mehr gelten würde. Das können wir niemals zulassen. So etwas darf man gar nicht vorschlagen, wenn man in diesem Land eine Führungsverantwortung haben will" Der Bundeskanzler will am Mittwoch mit einer Regierungserklärung auf die Unionsanträge reagieren.
Habeck warnt vor Zusammenbruch Europas
Auch die Grünen warnen Merz vor den Folgen seiner Pläne. Grünen-Kanzlerkandidat Robert Habeck sagte in Freiburg mit Blick auf die von Merz geforderte Zurückweisung aller Versuche einer illegalen Einreise, in der Praxis könnte dies sogar dazu führen, dass Europa auseinanderfalle. "In dieser Situation muss man, wenn man ein Land führen will, den kühlen Kopf bewahren und die Dinge zu Ende denken und nicht einfach nur einen raushauen", sagte Habeck.
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Grünen-Co-Parteichefin Franziska Brantner sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND): "Friedrich Merz weiß genau, dass seine Forderungen mit Europarecht und auch mit dem geltenden Verfassungsrecht nicht zu vereinbaren sind – und sie erwecken erhebliche Zweifel daran, wie standhaft die Brandmauer der Union zur AfD tatsächlich ist."
Ex-Parteichefin Ricarda Lang schrieb auf X: "Friedrich Merz spielt russisches Roulette mit der demokratischen Stabilität in Deutschland." Man könne nun nur an die Vernünftigen in der Union appellieren, diesen Wahnsinn zu stoppen.
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Union betont Abgrenzung zur AfD
In der Union gibt es nach Merz' Vorstoß Diskussion darüber, wie sich die Partei genau zur AfD verhalten sollte. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann sagte bei einem Wahlkampf-Auftritt zur AfD: "Das Nazi-Bashing gegen die AfD und das Brandmauergerede müssen aufhören. Diese Partei steht auf dem Wahlzettel. Ja, da sind auch Rassisten dabei, aber sie werden durch Nazi-Vergleiche und Brandmauergerede nur noch bedeutender."
Der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Thorsten Frei, betonte dagegen im Deutschlandfunk, dass es keine Zusammenarbeit mit der AfD gebe. "Die AfD ist eine gesichert in Teilen antisemitische und rechtsradikale Partei und deshalb gibt’s für uns da keine Zusammenarbeit", erklärte er. Gleichzeitig verteidigte er die Pläne der Union: Die Partei versuche, Mehrheiten in der politischen Mitte zu gewinnen, und setze sich bereits seit Monaten für eine Verschärfung der Migrationspolitik ein.
Frei verwies auf die jüngste tödliche Messerattacke in Aschaffenburg und erklärte, dass die Bürger nun Handeln statt "Worthülsen" erwarteten. Auch den Vorwurf, Merz' Vorschläge seien verfassungs- und europarechtswidrig, wies er zurück. Das Grundgesetz sehe vor, dass Asylsuchende keinen Anspruch auf Schutz in Deutschland hätten, wenn sie aus einem sicheren Drittstaat wie Österreich einreisten.
CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt stellte sich hinter Merz. Er erklärte in der "Rheinischen Post", dass tägliche Rückführungen und Abschiebungen umsetzbar seien, wenn Bund, Länder und Sicherheitsbehörden zusammenarbeiteten. Der Bund müsse mehr Kompetenzen in der Rückführungspolitik erhalten.
In der Union gibt es jedoch auch kritische Stimmen an dem Vorgehen. "Das ist politischer Selbstmord", sagte ein Bundesvorstandsmitglied dem "Redaktionsnetzwerk Deutschland". "Das wird die CDU noch vor der Wahl komplett zerreißen. Wir kriegen die Brandmauer-Debatte bis zur Wahl nicht mehr weg. Ohne Not hat das Konrad-Adenauer-Haus die Frontstellung im Wahlkampf verändert: Nun heißt es: alle gegen die CDU."
Zuspruch für Merz' Vorgehen kommt unterdessen aus Teilen der FDP. "Mir doch Latte, wer da sonst noch zustimmt", sagte etwa Parteivize Wolfgang Kubicki der "Bild" und fügte an: "Wir können doch unsere Zustimmung zu für das Land notwendige Maßnahmen nicht daran koppeln, wer mitstimmt."
Debatte nach tödlicher Messerattacke in Aschaffenburg
Auslöser für die erneuten Diskussionen zu Migration, aber auch zur Zusammenarbeit mit der AfD, ist der tödliche Angriff in Aschaffenburg. Ein 28-jähriger Afghane soll am Mittwoch ein zweijähriges Kind und einen 41 Jahre alten Mann erstochen haben. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) erklärte, der Tatverdächtige sei ausreisepflichtig gewesen und vor der Tat in psychiatrischer Behandlung gewesen. Er befindet sich derzeit in einer geschlossenen Einrichtung.
In Aschaffenburg finden am Wochenende mehrere Gedenkveranstaltungen für die Opfer statt. Für Samstag sind Demonstrationen und Kundgebungen angemeldet. Am Sonntag wird eine zentrale Trauerfeier abgehalten, an der Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) teilnehmen wollen.
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- bild.de: Merz erneuert Brandmauer-Garantie
- rnd.de: Union will neue Migrationsanträge einbringen – und nimmt im Bundestag AfD-Stimmen in Kauf
- tagesspiegel.de: "Dieses Manöver ist politischer Selbstmord"