Kriselnde Verteidigungsministerin Lambrecht steht in der Kritik – auch in den eigenen Reihen
Wie keine andere Ministerin sieht sich Lambrecht breiter Kritik ausgesetzt: in Medien, von internationalen Partnern, aber auch aus der eigenen Partei. Aber auch andere SPD-Minister schneiden laut Umfragen nicht gut ab.
Die Ampel-Koalition hat mit Familienministerin Anne Spiegel bereits nach wenigen Monaten eine grüne Ministerin durch Rücktritt verloren. Nun steht eine Amtsinhaberin der Kanzlerpartei SPD im Mittelpunkt von Debatten. Verteidigungsministerin Christine Lambrecht beteuert zwar, sich bei dem kritisierten Hubschrauber-Mitflug ihres Sohnes korrekt verhalten und den Flug abgerechnet zu haben.
Dennoch ist die SPD-Politikerin von der "Bild" bis zum "Spiegel" Thema. Letzterer schreibt von einer "Null-Bock-Ministerin". Laut einer Insa-Umfrage befürworten 55 Prozent der Befragten Lambrechts Rückzug.
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Der eigentliche Grund: Der Hubschrauberflug hat den Blick darauf gelenkt, dass es in den eigenen Reihen Grummeln über die Arbeit der Ex-Justizministerin gibt. Schlimmer noch für die SPD: Lambrecht steht derzeit stellvertretend für die Probleme, die gerade die SPD-Seite in dem Bündnis mit Grünen und FDP hat – zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung.
Grüne besetzen erste Plätze der Beliebtheitsskala
Denn in Umfragen glänzen derzeit übereinstimmend vor allem die Grünen. In einer Insa-Politikerbewertung besetzten am 3. Mai sogar erstmals drei Grüne aus dem Kabinett die ersten Plätze der Beliebtheitsskala – Wirtschaftsminister Robert Habeck vor Außenministerin Annalena Baerbock und Landwirtschaftsminister Cem Özdemir.
Auf SPD-Seite sank dagegen die Zustimmung auch für Kanzler Olaf Scholz und Gesundheitsminister Karl Lauterbach. Innenministerin Nancy Faeser hat geringe Zustimmungswerte, Bauministerin Klara Geywitz ist weitgehend unbekannt und Arbeitsminister Hubertus Heil steht mit seinen Themen derzeit nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit.
Stress-Symptome in der Ampel-Koalition
Nun betonen Kanzler-Vertraute und SPD-Strategen, dass die Umfragen nur Momentaufnahmen seien. Gerade Scholz bekomme auch deutliche Zustimmung für einen vorsichtigen Kurs im Ukraine-Krieg. "Habeck und Baerbock haben mit ihren Themen eben gerade Konjunktur", sagt Insa-Chef Hermann Binkert. Aber in der Ampel zeigen sich nach einem betont harmonischen Start seit einigen Wochen vor allem im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg erste ernsthafte Stress-Symptome. FDP-Politikerinnen und Politiker sowie der Europaausschuss-Vorsitzende Anton Hofreiter (Grüne) nähren offen den Eindruck eines entscheidungsschwachen Kanzlers.
Zwar stoppten Grüne- und FDP-Partei- und Fraktionsführungen den koalitionsinternen Unmut verspätet mit einigen Machtworten. Aber das Misstrauen zwischen den drei Koalitionspartnern wachse, heißt es in der Koalition.
Scholz stellt sich hinter Lambrecht
Gerade für Lambrecht ist dies eine unangenehme Lage, weil politische Spannungen in Koalitionen oft ein Ventil brauchen. Kanzler und SPD-Spitze stellen sich zwar zur Sicherheit demonstrativ hinter die 56-Jährige: Scholz gibt sich im Interview mit t-online (das lesen Sie hier) gelassen und SPD-Co-Chef Lars Klingbeil erklärt dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, Lambrecht sei und bleibe Verteidigungsministerin. Eine Regierungssprecherin sagt: "Der Bundeskanzler arbeitet mit der Verteidigungsministerin eng und vertrauensvoll zusammen." Mit fast identischer Wortwahl hatte sich die Regierung übrigens im April hinter die damalige Familienministerin Spiegel gestellt – die dann nur Stunden später zurücktrat.
Gleichwohl ändert die Rückendeckung nichts an Vorwürfen, dass die Juristin Lambrecht das Verteidigungsministerium nicht im Griff habe. Ausgerechnet in Kriegszeiten gibt es auch international Kritik. Aus dem Kreis ihrer EU-Partner wird nach Reuters-Informationen mangelndes Interesse an Abstimmungen kritisiert. "Der Eindruck ist sehr negativ", sagt ein europäischer Diplomat. Der "Spiegel" berichtete über einen verärgerten britischen Verteidigungsminister.
Kritik aus den eigenen Reihen
"Unglücklich" ist die derzeit die Vokabel, die unter Sozialdemokraten mit Blick auf Lambrecht am häufigsten genannt wird. Die "FAZ" fragt die Ministerin in einem am Samstag veröffentlichten Interview, ob sie inzwischen die Dienstgrade bei der Bundeswehr parat habe. Die Antwort: "Ich habe nicht den Eindruck, dass wir momentan in einer Zeit leben, in der es darauf ankommt, in einer Quizshow zu bestehen." Sie habe zumindest noch niemanden erlebt, "der sich da beschwert hätte" – woraufhin die "FAZ" resümiert, eine solche Beschwerde sei im Verteidigungsministerium auch nur schwer vorstellbar.
Forsa-Chef Manfred Güllner macht für die Probleme gerade der SPD ein zu starkes Proporzdenken bei der Auswahl der eigenen Kabinettsmitglieder verantwortlich. "Die von Scholz versprochene Geschlechter-Parität und regionale Auswahlkriterien statt fachlicher Kompetenz haben jedenfalls nicht geholfen", sagt Güllner Reuters. Jedenfalls haben Lambrecht und auch Faeser bei Forsa stabil schlechte Zustimmungswerte für ihre Arbeit von nur 28 beziehungsweise 26 Prozent. "Lambrecht hat die geringen Erwartungen offenbar aus Sicht der Wähler noch unterboten", erklärt Insa-Chef Blinkert die Werte.
Lauterbach büßt laut Umfragen an Glaubwürdigkeit ein
Dazu kommt nach Angaben aus Koalitionskreisen, dass Kanzler Scholz ständig auf den Koalitionsfrieden poche. Das führt dazu, dass MinisterInnen von Grünen oder FDP mit Projekten vorpreschen, während die Sozialdemokraten gebremst werden. Einer der Leidtragenden ist Gesundheitsminister Lauterbach. Ihm wird auch bei Grünen und in der SPD vorgeworfen, viel zu nachgiebig gegenüber der FDP und deren Corona-Kurs gewesen zu sein – was den Covid-Warner in Umfragen Glaubwürdigkeit kostete.
Ein Hinweis auf die tatsächliche Stimmung ist seine Reaktion auf einen Vorstoß von Verkehrsminister Volker Wissing (FDP), der die Maskenpflicht im Öffentlichen Nahverkehr infrage stellte. "Gute Frage" schrieb Lauterbach auf Twitter, als er einen Tweet teilte, in dem die Frage gestellt wurde, ob aus der FDP eigentlich auch einmal vernünftige Vorschläge kommen würden.
- Nachrichtenagentur Reuters