"Ziel nicht erreicht" Steinmeier zieht kritische Bilanz des Afghanistan-Einsatzes
Bei einem Festakt in Berlin hat Bundespräsident Steinmeier den Bundeswehreinsatz in Afghanistan gewürdigt. Er warnte, dass ein "Rückzug von der Welt" nicht die Antwort auf das Debakel sein dürfe.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat eine durchwachsene Bilanz des jahrzehntelangen Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr gezogen. "Zwanzig Jahre nach dem 11. September und zwei Monate nach dem Fall von Kabul stellen viele Menschen, die in Afghanistan gedient und gelitten haben, Fragen. Fragen nach dem Sinn dieses Einsatzes", sagte Steinmeier in einer Rede beim zentralen Abschlussappell am Mittwoch in Berlin. Er sprach von schwierigen und "bitteren Fragen" auch an Regierung und Parlament.
Steinmeier äußerte sich in der Ansprache überzeugt, dass es ursprünglich richtig gewesen sei, 2001 den Nato-Bündnisfall auszurufen und nach Afghanistan zu gehen. "Wir haben unser militärisches Ziel erreicht, diejenigen zu besiegen, die vor zwanzig Jahren aus Afghanistan heraus furchtbaren Terror über unsere Verbündeten gebracht haben", sagte der Bundespräsident laut Redetext.
Steinmeier gedenkt getöteter Soldaten
"Aber unser weiter gestecktes Ziel, in Afghanistan stabile staatliche Strukturen aufzubauen, haben wir nicht erreicht", sagte Steinmeier weiter. Der militärische Einsatz habe zwar über viele Jahre den Raum und die Zeit geschaffen für den angestrebten politischen Transformationsprozess. "Gelungen ist er uns und den Afghanen im Ergebnis nicht", gestand der Bundespräsident jedoch ein Scheitern ein.
Ausdrücklich würdigte Steinmeier die Leistungen der insgesamt mehr als 150.000 in Afghanistan eingesetzten Soldatinnen und Soldaten – und die von ihnen gebrachten Opfer. Besonders gedachte er der 59 deutschen Soldaten, die in Afghanistan getötet wurde. "Sie haben den höchsten Preis gezahlt, den ein Soldat im Auftrag seines Landes zahlen kann", sagte der Bundespräsident. "Wir stehen tief in ihrer Schuld."
"Einsatz wird uns noch lange in den Kleidern hängen"
"Wir ehren heute alle Einsatzgeschädigten, die verletzt und verwundet wurden, am Körper oder an der Seele", sagte Steinmeier weiter. Viele kämpften heute noch mit dem, was sie während ihres Einsatzes erlebt hätten. Der Afghanistan-Einsatz habe die Bundeswehr geprägt, er "wird dieser Armee und er wird uns Deutschen noch lange in den Kleidern hängen".
Steinmeier mahnte auch, die deutsche Schutzverpflichtung gegenüber den afghanischen Helferinnen und Helfern einzulösen, von denen die meisten bei dem eiligen Truppenrückzug zurückgelassen wurden. Viele von ihnen müssten wegen ihrer Arbeit für deutsche Stellen "in ihrer Heimat heute um ihr Leben fürchten".
Großer Zapfenstreich vor dem Reichstagsgebäude
Für die Zukunft müssten Lehren aus dem Afghanistan-Einsatz gezogen werden. "Wir müssen unsere außenpolitischen Ziele und Interessen realistisch definieren – das heißt, einerseits bescheidener, mit weniger Sendungsbewusstsein und missionarischem Eifer", forderte Steinmeier. "Wir müssen klüger sein, wenn wir darüber entscheiden, wo wir uns mit welchen Mitteln engagieren." Ein "Rückzug von der Welt" dürfe jedoch nicht die Antwort sein. Auch sei es weiterhin wichtig, für eine "starke Bundeswehr" zu sorgen.
Vor dem Appell nahmen Steinmeier, Bundesverteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) und weitere staatliche Repräsentanten an einer Kranzniederlegung am Ehrenmal der Bundeswehr auf dem Gelände des Verteidigungsministeriums teil. Zudem sprach der Bundespräsident mit Hinterbliebenen und Einsatzversehrten. Am Abend sollte ein sogenannter Großer Zapfenstreich vor dem Reichstagsgebäude stattfinden, um die Leistungen der Soldatinnen und Soldaten zu würdigen.
- Nachrichtenagentur AFP