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Linke über Fünfprozenthürde: Heidi Reichinnek als Social-Media-Star


Interview mit Linken-Spitzenkandidatin Reichinnek
"Die AfD hat das früh erkannt"

  • Carsten Janz
InterviewVon Carsten Janz

17.02.2025Lesedauer: 7 Min.
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Sie ist derzeit der Star der Linken in den sozialen Medien: Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek. (Quelle: IMAGO/ESDES.Pictures, Bernd Elmenthaler/imago)
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Die Linkspartei wurde schon totgesagt, nun liegt sie in Umfragen über der Fünfprozenthürde. Das liegt auch an der Spitzenkandidatin Heidi Reichinnek – die in den sozialen Medien eine große Rolle spielt.

Spätestens seit ihrer Rede in der Debatte um die Anträge der CDU zur Migrationsbegrenzung und deren gemeinsamer Abstimmung mit der AfD ist Heidi Reichinnek bekannt. "Auf die Barrikaden", sagte sie damals laut ins Plenum – manche sagen, es war sogar geschrien.

In den sozialen Medien ist die Spitzenkandidatin der Linkspartei längst eine Art Star, sie hat bei Instagram 340.000 Follower. Mehr als ihre Partei. Bei TikTok sind es gut 500.000, ungefähr doppelt so viele, wie die Linkspartei hat. Reichinnek sorgt dafür, dass die AfD bei TikTok nicht mehr die meisten Likes bekommt. t-online hat mit ihr über ihre Rolle bei Social Media gesprochen, über Migration, aber auch über ihre einst so zerrissene Partei, die derzeit ein überraschend geschlossenes Bild abgibt.

t-online: Frau Reichinnek, sehen Sie sich als letzte Hoffnung gegen die AfD?

Heidi Reichinnek: Nein, auf gar keinen Fall. Die große Hoffnung gegen die AfD ist die Gesellschaft. Das zeigt sich aktuell sehr deutlich durch die vielen Demonstrationen, die ein klares Zeichen senden, und durch die zivilgesellschaftlichen Appelle an alle demokratischen Parteien, keine gemeinsame Sache mit der AfD zu machen. Unsere wehrhafte Demokratie stützt sich vor allem auf die vielen Menschen, die jetzt aktiv werden, um sie zu verteidigen. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich konnte diesem Protest mit meiner Rede lediglich ein wenig Ausdruck verleihen.

Ihre Rede verbreitete sich viral. Überhaupt sieht es so aus, dass die Linke mit Ihnen der AfD Paroli in Social Media bieten kann. Woher kommt das?

Die AfD hat die sozialen Medien sehr früh als wichtigen Faktor erkannt, viel Geld reingesteckt, um Videos zu produzieren und diese gezielt zu verbreiten. Alle demokratischen Parteien, auch meine eigene, haben diese Entwicklung schlicht verschlafen. Das muss man selbstkritisch anmerken.

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Als ich 2021 in den Bundestag gekommen bin, wurde ich direkt bei TikTok aktiv und das hat sich gelohnt. Menschen haben damals dringend Stimmen gesucht, die Politik erklären – verständlich, gut und auch witzig. Warum ist Politik für die Menschen relevant? Welche Lösungen gibt es für die Mietenkrise, die steigenden Lebensmittelpreise oder Fragen zu Gesundheit, Rente und Löhnen?

Und das geht auf Social Media am besten?

Natürlich bleiben klassische Formate wie Infostände, Podiumsdiskussionen und Veranstaltungen unerlässlich. Aber die Leute sind eben auch auf Social Media. Allein auf TikTok gibt es über 20 Millionen deutsche Accounts. Drei Viertel der Menschen informieren sich über Kurzvideos. Da muss man präsent sein. Das erfordert Ressourcen, Ideen und Energie. Doch inzwischen läuft das bei allen demokratischen Parteien besser – und in meiner Partei funktioniert es erfreulicherweise sehr gut.

Wie groß ist Ihre Sorge, dass die Jugend zunehmend nach rechts driftet, insbesondere angesichts der Erfolge der AfD?

Die AfD erzielt leider bei Wahlen in fast allen Altersgruppen ähnliche Werte – mit Ausnahme der Menschen über 70. Das hängt vielleicht damit zusammen, dass diese Generation noch genau weiß, welche Gefahr droht und welche Folgen ein Rechtsruck haben kann. Oft wird der Fokus dann allein auf die Jugend gelegt, aber das greift zu kurz. Dieses Problem betrifft alle Altersgruppen.

Aber die Jugend hat man sonst schon progressiver und eher links erlebt.

Das Positive ist, dass bei den 18- bis 29-Jährigen die Linke und die Grünen jeweils bei etwa 19 Prozent liegen, während die AfD rund 17 Prozent erreicht. Das zeigt, dass es innerhalb dieser Altersgruppe noch viel Bewegung gibt. Allerdings gibt es "die Jugend" genauso wenig wie "die Alten" als homogene Gruppe.

Und wie wollen Sie die "Bewegung" in dieser Altersgruppe für sich nutzen?

Der Grund für die Stärke der AfD ist nicht, dass diese Partei in den letzten Jahren besonders klug oder erfolgreich gehandelt hätte. Studien zeigen, dass Menschen empfänglicher für rechte und rechtsextreme Argumente sind, wenn sie das Gefühl haben, ihren persönlichen Wohlstand zu verlieren. In solchen Situationen greifen Sündenbocklogiken leichter. Daher brauchen wir vor allem eine starke Sozialpolitik: faire Löhne und Renten, Investitionen in Bildung, Gesundheit, Klimaschutz und den ÖPNV. Die Menschen müssen wieder spüren, dass der Staat sich um sie kümmert, wenn sie es gerade selbst nicht können.

Das reicht dann schon?

Darüber hinaus brauchen wir mehr Demokratiebildung – nicht nur an Schulen, sondern auch in anderen Lebensbereichen, etwa durch Volkshochschulkurse oder durch die klassischen Medien, die Faktenchecks anbieten und die Mechanismen von Fake News aufzeigen. Hier geht es um Fragen wie: Aus welchen Quellen informiere ich mich? Wie vergleiche ich Informationen? Wie leicht ist Manipulation möglich? Diese Themen gehören in die Lehrpläne, statt Wissen nur für die nächsten Prüfungen zu vermitteln.

Ein weiteres Problem sind die sozialen Medien selbst, deren Algorithmen bestimmte Inhalte verstärken. Wer zwei- oder dreimal ein bestimmtes Video gesehen hat, bekommt oft nur noch ähnliche Inhalte angezeigt. Diese Logik von Echokammern muss hinterfragt werden.

Wie zum Beispiel?

Langfristig wäre ein eigenes europäisches soziales Netzwerk wünschenswert – eines, das nicht in den Händen einzelner Multimilliardäre liegt, die ihre Plattformen für ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen nutzen. Solange das fehlt, muss es Bildungsangebote geben, damit Menschen die bestehenden Netzwerke kompetent und kritisch nutzen können.

Sie betonen, Politik für die Mehrheit der Menschen zu machen. Umfragen sehen Sie aber nur bei 5 Prozent.

5 bis 6 Prozent, das ist mir wichtig. Aber ich verstehe Ihre Frage – das ist sicher nicht das Ergebnis, das wir uns wünschen. Als Linke haben wir es den Menschen in den letzten Jahren nicht leicht gemacht, uns zu vertrauen, weil wir zu viel mit uns selbst beschäftigt waren und viel gestritten haben. Das hat sich jedoch endlich geändert. Die Abspaltung des BSW und interne Konflikte sind überwunden, und wir konzentrieren uns wieder auf konkrete Hilfe im Alltag: mit Sozialberatung, Mietwucher-Rechner, Heizkosten-Rechner und dem Meldeportal für Mindestlohnverstöße.

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Wir schaffen Räume, in denen sich Menschen organisieren können, etwa bei Nachbarschaftskaffees oder Stammtischen. Gleichzeitig müssen wir auch für Menschen da sein, die nach 40 Stunden Arbeit und Sorgearbeit keine Kraft mehr haben.

Wir haben eine neue Basis gelegt, um die Linke zu werden, die die Menschen in diesem Land brauchen. Und deswegen bin ich jetzt auch froh, dass meine Partei und ich jetzt diesen Weg wieder gehen können.

Und welchen Weg geht Ihre Partei im Gaza-Krieg? Da fallen Linken-Politiker mit sehr israelkritischen Positionen auf.

Auf unserem vorletzten Parteitag haben wir eine klare Position zum Nahostkonflikt beschlossen. Wir bekennen uns zur historischen Verantwortung Deutschlands und zum Existenzrecht Israels. Wir haben auch den Anschlag der Hamas am 7. Oktober scharf verurteilt und die Freilassung der Geiseln gefordert. Gleichzeitig fordern wir einen Waffenstillstand, keine Waffenexporte nach Israel und eine Anerkennung Palästinas.

Die brutale Tötung von Zehntausenden Frauen und Kindern, die Zerstörung von Krankenhäusern und die Blockade humanitärer Hilfe müssen klar verurteilt werden und das tun wir deutlich. Auch Trumps Pläne für den Gazastreifen sind verabscheuenswürdig, weil sie nichts anderes als ethnische Säuberungen sind. Ich erwarte von der gesamten deutschen Politik, dass sie hier endlich mal laut und deutlich widerspricht.

Und zur großen Russland-Nähe Ihrer Partei?

Auch zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine haben wir eine klare Position: Wir verurteilen ihn aufs Schärfste, und die Schuld liegt eindeutig bei Wladimir Putin. Wir sehen aber auch viele ungenutzte Möglichkeiten jenseits von Waffenlieferungen. Unser Ziel ist, Putin an den Verhandlungstisch zu zwingen – durch Druck von innen, etwa durch Schutz für russische Deserteure oder die Unterstützung der Opposition.

Wir fordern zudem, Oligarchen zu sanktionieren, ihre Immobilien und Yachten zu konfiszieren und ihre Vermögen in Deutschland einzufrieren. Dafür braucht es ein Immobilienregister, das wir als Linke schon vor einiger Zeit gefordert haben – leider ohne Erfolg, weil es ausgerechnet dafür keine Mehrheiten mit anderen Parteien gibt. Auch Initiativen für Verhandlungen, wie die von China, müssen ernster genommen werden, da Putin stark von China abhängig ist.

Ihr Co-Spitzenkandidat Jan van Aken hat kürzlich mit Aussagen wie 'Jetzt halten Sie doch mal den Mund' für Aufsehen gesorgt. Ist das aus Ihrer Sicht ein angemessener Umgangston?

Ich habe Herrn Brandner von der AfD-Fraktion auch schon gesagt, er solle seinen rechten Rand halten, als er während meiner Rede – zur Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen – ständig dazwischengeredet hat. Der Typ hatte mehr Redeanteil als ich, und es war meine Rede. Da kann ich schon mal sagen, dass er seinen rechten Rand halten soll.

Das Gleiche gilt für Beatrix von Storch, die mich dreimal als Kindermörder bezeichnet hat. Da habe ich in einem Video auch gesagt: 'Einfach mal die Klappe halten.' Es gibt eine Grenze im Umgang miteinander. Wenn diese von rechts ständig überschritten wird, dann muss man auch mal klar sagen: 'Bis hierhin und nicht weiter.'

Wenn man unterbrochen wird und einem Sachen unterstellt werden, die nicht stimmen oder völlig verzerrt sind, dann kann man auch mal deutlich Stopp sagen.

Es braucht kein moderateres Auftreten, um für Kapitalismuskritik und Antifaschismus breiteren Rückhalt zu gewinnen?

Ich glaube, es braucht sogar mehr Deutlichkeit, um Missstände klar zu benennen und um die Unterschiede zwischen uns und anderen Parteien aufzuzeigen. Es geht um die zentrale Verteilungsfrage, und dafür brauchen wir andere Lösungen als die, die bisher angeboten werden.

Wichtig ist dabei, deutlich zu bleiben, ohne beleidigend oder aggressiv zu werden. Aber es gibt eine gerechte Wut – über soziale Ungerechtigkeit, die wachsende Schere zwischen Arm und Reich und die Art, wie bestimmte Menschen behandelt werden. Diese Wut darf und muss raus – alles andere wäre ungesund.

Die Grünen scheinen sich aber eher in Richtung Union und einer Koalition mit ihr zu bewegen ...

Realistisch betrachtet müssen wir derzeit über diese Konstellationen sprechen. Aber klar ist: Die SPD wird nur dann sozial, wenn sie mit uns regiert, und die Grünen werden nur dann wirklich ökologisch, wenn wir dabei sind.

Wenn wir in den nächsten Jahren wieder für eine progressive Mehrheit kämpfen und diese erreichen, ist das ein großer Schritt nach vorn.

Danke für das Gespräch, Frau Reichinnek.

Verwendete Quellen
  • Interview Heidi Reichinnek
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