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SPD-Oberbürgermeister: "In Teilen der SPD herrscht eine ideologische Verblendung"


SPD-Bürgermeister übt Kritik
"Ihr Auftreten ist schädlich für die Partei"

  • Daniel Mützel
InterviewVon Daniel Mützel

Aktualisiert am 04.10.2024 - 14:19 UhrLesedauer: 7 Min.
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Saskia Esken (Archivbild): Seit 2019 ist sie Co-Vorsitzende der SPD. (Quelle: Bernd Elmenthaler/imago-images-bilder)

Die SPD steckt im Umfragetief, ein Wahlsieg 2025 scheint derzeit unerreichbar. Der Fürther Oberbürgermeister Thomas Jung kritisiert die Parteispitze scharf – und sieht vor allem ein Problem.

Eines muss man Olaf Scholz lassen: Es gibt wohl nur wenige Politiker, die angesichts so miserabler Umfragewerte so ruhig blieben. Scholz’ unerschütterliche Selbstgewissheit mag die einen beeindrucken, die anderen verwundern: Sie ändert nichts an der schwierigen Lage der SPD. Die Partei ist unbeliebt wie selten zuvor, seit Ampelbeginn im Jahre 2021 schleppt sie sich von einer Wahlniederlage zur nächsten.

Der Oberbürgermeister von Fürth, Thomas Jung (SPD), sieht dafür mehrere Ursachen: Die SPD vertrete in der Migrationspolitik nicht mehr die Interessen der Mehrheit, in Teilen der Partei herrsche eine "ideologische Verblendung", so Jung im Interview mit t-online. Auch agiere Kanzler Scholz in der Regierung zu passiv, das Erscheinungsbild der Ampel sei "schauderhaft". Der Sozialdemokrat geht auch mit der SPD-Führung hart ins Gericht – und nennt so manchen Talkshowauftritt "verstörend".

t-online: Herr Jung, Sie sind seit 22 Jahren Oberbürgermeister in Fürth, seit 2008 fahren Sie regelmäßig Wahlergebnisse von über 70 Prozent ein. Haben Sie Ihren Wählern verschwiegen, dass Sie bei der SPD sind?

Thomas Jung: Nein. Aber ich stehe für eine klare, pragmatische Agenda. Das scheint bei den Leuten anzukommen. Dass ich bei der SPD bin, schadet nicht, es nützt aber auch nichts.

Wie erreicht ein SPD-Politiker solche Traumwerte, zumal im tiefschwarzen Bayern?

Die Leute unterscheiden bei Kommunalwahlen zwischen Person und Partei. Ich versuche zu leben, was ich als Politiker vertrete. Wenn ich mich etwa für Radwege oder erneuerbare Energien einsetze, sehen die Leute, dass ich selbst Rad fahre oder eine Solaranlage auf dem Dach habe. Das klingt vielleicht banal, aber Glaubwürdigkeit zahlt sich aus.

Im Bund pendelt die SPD hingegen seit Jahren bei um die 15 Prozent. Was macht die Sozialdemokratie falsch?

Wenn man an der Regierung ist, hat man viele Möglichkeiten, sich beim Wahlvolk positiv darzustellen. Doch die Ampel und damit auch der Bundeskanzler nutzen diese Chance überhaupt nicht. Sie wirken zerstritten, handlungsunfähig und abgehoben. Das ist sehr traurig.

Ist die Ampel gescheitert?

So weit würde ich nicht gehen. Man hat in einigen Bereichen durchaus ordentliche Ergebnisse vorzuweisen. Die Energiekrise infolge des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat die Bundesregierung verhältnismäßig gut bewältigt. Aber das Erscheinungsbild der Ampel ist wirklich schauderhaft. Dafür tragen alle drei Spitzenleute große Verantwortung.

Auch der Kanzler?

Selbstverständlich auch der Kanzler. Er ist der Chef der Ampel.

Nach dem Anschlag in Solingen hat die Scholz-Regierung im Schnellverfahren die Grenzkontrollen verstärkt und ein Sicherheitspaket geschnürt, das nun allerdings in den Seilen hängt. Hat die Ampel angemessen auf die Terrortat reagiert?

Immerhin hat sie reagiert. Das Problem: Die Ampel wurde zu diesen Entscheidungen erkennbar getrieben. Es musste erst etwas Schreckliches passieren, bevor die Regierung handelte. Man hätte schon viel früher einen anderen Kurs einschlagen müssen, aber vieles wurde in Berlin als nicht durchführbar abgetan. Die Menschen spüren, dass etwas falsch läuft.

Was läuft aus Ihrer Sicht falsch?

Wir müssen die Migration so ordnen, dass die Menschen das Gefühl haben, dass der Staat die Kontrolle behält. Gerade Wähler der SPD wünschen sich einen starken Staat, der sie schützt und für Sicherheit sorgt. Ich hoffe, dass man in Berlin endlich den Schalter umlegt.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hat sich lange gegen Grenzkontrollen gewehrt, viele Genossen verstanden sich als Bollwerk gegen schärfere Asylgesetze. Warum ging die SPD bei dem Thema nicht früher in die Offensive?

In Teilen der SPD herrscht eine ideologische Verblendung. Manche sozialdemokratische Funktionäre glauben, dass sich die Migrationsprobleme der Kommunen einfach mit Geld zuschütten lassen. Aber erstens ist das Geld überall knapp, und zweitens kann ich mir mit Geld kein Personal herbeizaubern. Die Aufnahmefähigkeit des Landes muss doch der Maßstab vernünftiger Migrationspolitik sein. Wo die liegt, kann ich nicht beurteilen. Aber wir brauchen in Deutschland einen Konsens, dass wir nur so viele Menschen hier aufnehmen, wie wir sie auch integrieren, sie in Arbeit bringen und ihnen Sprachkurse anbieten können. Menschen hereinzulassen und in Obdachlosenheimen jahrelang versauern zu lassen, hilft niemandem.


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Warum nimmt die Sozialdemokratie das nicht ernst?


fürther Oberbürgermeister Thomas jung


Wie steht es um die Aufnahmefähigkeit in Ihrer Stadt?

Wir sind in Fürth in einigen Bereichen an der Belastungsgrenze. Die Kitas und Schulen sind voll, auch mit ukrainischen Kindern. Wir haben Tausende von Menschen, die auf Wohnungswartelisten sitzen. Andere leben seit 2016 in Übergangswohnheimen unter fast unmenschlichen Bedingungen. Wenn ich das addiere, muss ich feststellen: Die Aufnahmefähigkeit ist nicht mehr gegeben. Trotzdem kommen Woche für Woche mehr Menschen.

Der Asylgipfel von Ampel, Opposition und Bundesländern Anfang September wurde mit großem Tamtam inszeniert, scheiterte aber am Ende. Die Ampelparteien verwiesen auf die Fesseln des Europarechts, die Union verließ das Treffen vorzeitig. Wie haben Sie darauf geblickt?

Die SPD hat es nicht geschafft, den Menschen eine zentrale Botschaft zu vermitteln: Wir haben das Problem an der Wurzel erkannt und wollen es lösen. Die Wurzel des Problems ist die Beschränkung der Zuwanderung. Die Mehrheit im Land wünscht sich das. Warum nimmt die Sozialdemokratie das nicht ernst? Leider sind viele SPD-Funktionäre in einer Position verhaftet, die nicht mehr haltbar ist. Der Asylgipfel war eine vertane Chance.

Was wäre Ihr Rat an die Bundes-SPD?

Macht ordentliche Politik für die Mehrheit der Bevölkerung und erklärt Politik so, dass Menschen sie verstehen.

Dringen Sie mit Ihren Appellen in Ihrer Partei durch?

Ich bin im regelmäßigen Austausch mit den bayerischen SPD-Bundesabgeordneten. Ab und an spreche ich auch mit dem SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil.

Hat Klingbeil ein offenes Ohr für Ihr Anliegen?

Klingbeil ist ein positiver Typ, ich freue mich immer, ihn im Fernsehen zu sehen. Aber er könnte mehr für die Art von Politik sorgen, die ich gerade beschrieben habe. Das ist noch ausbaufähig.

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Von Klingbeils Co-Chefin Saskia Esken sind Sie bekanntlich nicht so überzeugt. Warum nicht?

Früher habe ich mich immer aufgeregt, wenn ich Ralf Stegner in den Talkshows sah. Heute rege ich mich auf, wenn ich Frau Esken dort sehe. Ihr Auftreten ist schädlich für die Partei. Egal, was sie sagt, schon allein, wie sie es sagt, ist verstörend und für normale Menschen oft unsympathisch.

Esken gerät immer wieder auch innerhalb der SPD in die Kritik. Wenn aber der Frust so groß ist, warum wurde sie auf dem Parteitag vergangenen Dezember mit über 85 Prozent gewählt?

Ich habe sie noch nie gewählt. Wenn sie aber nur deswegen wiedergewählt wurde, weil sie eine amtierende Vorsitzende ist, nennt man das parteischädigendes Verhalten.

Als Kommunalpolitiker sind Sie im ständigen Austausch mit den Bürgern. Was sagen die Ihnen, warum ist die Ampel so unbeliebt?

Vor allem aus zwei Gründen: Der eine ist die offensichtliche Zerstrittenheit. Ich sehe nicht, wie man die lösen könnte. Der zweite ist das Heizungsgesetz, das für sehr viele Menschen ein Schockerlebnis war. Dass der Staat so übergriffig ist und ihnen die Heizung verbieten will, war eine Erfahrung, die nicht ohne Weiteres heilbar ist.

Unter der Ampel leiden auch ihre Protagonisten: Die FDP krebst bei Wahlen mittlerweile auf Niveau der Tierschutzpartei, die Grünen tauschen ihre komplette Führung aus. Schadet die Ampel auch der SPD?

Ja, sogar zu Recht, weil wir den Kanzler stellen. Da kann man nicht so tun, als hätten wir mit der Ampel wenig zu tun.

Wären Neuwahlen der richtige Weg?

Darüber sollte man objektiv nachdenken, vor allem nach den Ostwahlen. Man muss sogar. Ob Neuwahlen das Beste für die SPD und das Land wären, möchte ich allerdings nicht beurteilen. Das müssen die Verantwortlichen genau abwägen.

Mitte Oktober geht der Bundesvorstand der SPD in Klausur, um über die Schlachtordnung zur Bundestagswahl zu beraten. Was würden Sie den Parteioberen raten?

Einen sofortigen Kurswechsel in der Migrationspolitik nach dem Vorbild Dänemark. Und zwar nicht nur in Form von Beschlüssen, sondern auch in Taten. Die Sozialdemokratie sollte sich darüber hinaus nicht nur für Renten und Sozialausgaben einsetzen. Helmut Schmidt und Gerhard Schröder galten als Wirtschaftskanzler, Olaf Scholz muss das auch noch hinbekommen. Mein Rat: die offene Flanke bei der Sicherheit und Migration schließen und mit Wirtschaftskompetenz überzeugen. Alles andere kann man anderen überlassen.

Noch etwas?

Es muss deutlicher werden, dass Olaf Scholz als Kanzler über die Richtlinienkompetenz verfügt und sie auch wahrnehmbar einsetzt. Ein Basta im Sinne Gerhard Schröders könnte gelegentlich helfen.

Scholz prägte sein eigenes Bonmot "Wer bei mir Führung bestellt, bekommt sie auch". Merken Sie davon etwas?

Das ist nicht wahrnehmbar.

Ist der moderierende Stil von Olaf Scholz noch zeitgemäß?

Menschen, die SPD wählen, wollen in der Regel einen handlungsfähigen Staat und damit auch einen starken Kanzler.

SPD-Urgestein Franz Müntefering hält die Kanzlerkandidatur der SPD für offen. Seit Monaten schwelt die Debatte, ob nicht Verteidigungsminister Boris Pistorius der bessere Kandidat wäre. Was denken Sie?

Die Entscheidung über die Kanzlerkandidatur liegt aus meiner Sicht in den Händen des Kanzlers. Entweder kommt Scholz selbst zum Ergebnis, dass er es nicht packt, und überlässt Pistorius den Vortritt. Oder er sagt, er schafft das, dann wäre es selbstmörderisch von der SPD, das verhindern zu wollen.

Entscheidet am Ende nicht die Partei, wen sie als Kanzlerkandidaten aufstellt?

Das ist richtig, aber es wäre ein großes Risiko, einen amtierenden Kanzler zu stürzen. Ich glaube auch nicht, dass Pistorius da mitmachen würde.

Pistorius hat verkündet, im nächsten Jahr für den Bundestag zu kandidieren. Ein Hoffnungsschimmer?

Wenn der populärste Politiker Deutschlands und der SPD weitermacht, ist das eine freudige Nachricht.

Herr Jung, vielen Dank für das Gespräch.

Verwendete Quellen
  • Gespräch mit Thomas Jung
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