Abschiebedebatte Experte: Nicht alle Afghanen und Syrer benötigen Schutz
Das Messerattentat auf einen Polizisten in Mannheim hat die Debatte um Abschiebungen neu entfacht. Ein Experte hält aktuelle Regelungen für überholt.
In der Debatte über die Abschiebung von Schwerstkriminellen nach Afghanistan und Syrien hält der Migrationsexperte Daniel Thym die pauschale Gewährung des Bleiberechts für Menschen aus diesen Ländern nicht mehr für rechtlich geboten. "Kaum jemand bezweifelt hierzulande, dass praktisch alle Syrer und Afghanen einen Schutzstatus erhalten – mit der Folge, dass sie völlig legal in Deutschland leben und umfassend gleichbehandelt werden", sagte Thym der "Welt am Sonntag".
"Diese Großzügigkeit war früher richtig, überzeugt heute jedoch nicht mehr. Ob ein Asylantrag erfolgreich ist, richtet sich nach der Situation im Herkunftsland. Diese veränderte sich in Syrien, Afghanistan und im Übrigen auch in der Ukraine", sagte der Jurist.
Nach der tödlichen Messerattacke auf einen Polizisten in Mannheim hatte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) angekündigt, die Abschiebung von Schwerstkriminellen nach Afghanistan und Syrien wieder ermöglichen zu wollen. Innenministerin Nancy Faeser (SPD) prüft das derzeit. Seit der erneuten Machtübernahme der Taliban in Kabul im August 2021 gilt in Deutschland ein Abschiebestopp für Afghanen.
Experte: Asylbewerber profitieren von Abschiebeverbot
Thym sagte, afghanische Asylbewerber profitierten "von einem Abschiebungsverbot, weil die deutschen Gerichte der Meinung sind, dass die Lebensbedingungen in Afghanistan so schlecht sind, dass selbst alleinstehende und gesunde junge Männer in der Hauptstadt Kabul eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung erlitten". Ein solches Abschiebungsverbot münde in einen normalen Aufenthaltstitel. Afghanen erhielten diesen, weil deutsche Gerichte europäische Urteile großzügig handhabten. "Die deutsche Großzügigkeit entfernt sich meilenweit von der ursprünglichen Idee des Asylrechts."
Thym sagte, im vergangenen Jahr sei nur rund ein Prozent aller Anträge von Syrern abgelehnt worden. "Das überrascht, weil der Bürgerkrieg in Syrien inzwischen abgeflaut ist." Daher schlussfolgere die EU-Asylagentur in ihrem jüngsten Bericht, dass im Zentrum von Syrien und an der Mittelmeerküste das Gewaltniveau nicht mehr hoch genug sei, dass automatisch alle subsidiären Schutz bekommen. "So pauschal droht auch nicht allen Syrern eine Folter oder Entführung. Die deutsche Asylpraxis ignoriert dies", sagte Thym.
Söder: "Bislang ist nichts passiert"
In den Reihen von CDU und CSU wird bezweifelt, dass die Bundesregierung tatsächlich für Abschiebungen in beide Länder sorgen wird. "Ich hoffe wirklich, dass es passiert, glaube aber noch nicht daran", sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann am Samstag dem Sender NTV. Dazu, "wie es gehen soll", habe in der Erklärung aber der Hinweis gefehlt, betonte Linnemann. Er selbst sieht keine unüberwindbaren Hürden. "An Scholz' Stelle würde ich morgen ins Flugzeug steigen, nach Schweden fliegen und mich informieren, wie die das machen." Schweden habe im vergangenen Jahr mehrere Straftäter nach Afghanistan abgeschoben, führte der CDU-Politiker aus.
- Abschiebungen nach Afghanistan: Warum Schweden auf die Bremse tritt
Deutschland unterhält wie die meisten Länder keine diplomatischen Beziehungen zu den in Afghanistan herrschenden radikalislamischen Taliban. Abschiebungen in das Land sind deshalb seit deren Machtübernahme 2021 ausgesetzt. "Trotzdem gibt es Kanäle, über die man mit denen reden kann", sagte nun Linnemann. Es müsse nur politisch gewollt sein.
Auch CSU-Chef Markus Söder bezweifelt, dass Scholz seine Ankündigung umsetzen wird, die Abschiebung von Schwerstkriminellen nach Afghanistan und Syrien wieder zu ermöglichen. Er befürchte, die Worte des Kanzlers seien dem Wahlkampf geschuldet, sagte Bayerns Ministerpräsident dem Nachrichtensender Welt TV am Freitagabend mit Blick auf die Europawahl. "Bislang ist nichts passiert." Eine Regierungserklärung des Kanzlers helfe nicht weiter, solange sich die Grünen nicht bewegten. "Der Bund muss endlich diese Entscheidungen treffen. Das hakt bei den Grünen."
Söder forderte, den subsidiären Schutz für Flüchtlinge aus Afghanistan und Syrien abzuschaffen. "Das Problem ist, dass viele Menschen aus Afghanistan, aus Syrien kommen, gar kein individuelles Asylverfahren mehr bekommen, sondern es gibt eine Art Blankoscheck. Den sogenannten subsidiären Schutz", kritisierte Söder. "Das heißt, praktisch jeder, der dort kommt, wird als quasi verfolgt eingestuft. Das halte ich für einen Fehler." Man müsse in jedem Fall ein neues Verfahren machen, um zu sehen, ob jemand politisch verfolgt ist. Und es müsse auch geprüft werden, ob jemand zurückgeschickt werden könne.
Subsidiär schutzberechtigt sind Menschen, die stichhaltige Gründe dafür vorbringen, dass ihnen in ihrem Herkunftsland ein ernsthafter Schaden droht und sie den Schutz ihres Herkunftslandes nicht in Anspruch nehmen können oder wegen der Bedrohung nicht in Anspruch nehmen wollen.
CDU in Sachsen fordert striktere Abschieberegelungen
Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer forderte Abschiebungen mehrfach straffälliger Migranten mit Vollendung des 18. Lebensjahres auch ohne neuerliche Straftat. Bestehende Gesetze müssten angepasst werden, um das zu ermöglichen, sagte der CDU-Politiker am Freitagnachmittag in einem Interview des Sachsen Fernsehens. "Wir geben Menschen Schutz. Wenn diese unsere Solidarität missbrauchen, weil sie kriminell werden, und das nicht, weil sie mal falsch geparkt haben, sondern ständig und vor allem mit Gewalt, dann haben die doch keinen Anspruch darauf, hier zu sein." Der Flüchtlingsstatus müsse viel schneller entzogen werden, wenn jemand kriminell werde, sagte Kretschmer.
Sachsens Innenminister Armin Schuster (CDU) sprach sich für ein Sonder-Rückführungsprogramm für ausreisepflichtige ausländische Mehrfach- und Intensivtäter aus. "Würden wir deutschlandweit Turbo-Abschiebungen für Intensivtäter realisieren, hätten wir im nächsten Jahr eine völlig andere Kriminalitätsstatistik", sagte er der "Sächsischen Zeitung". Sachsen stehe dem Bund als Pilotland "gerne zur Verfügung".
- Nachrichtenagentur dpa