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AfD-Urteil in Münster: "Der Rauchmelder der Verfassung schrillt"


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Verfahren in Münster
"Der Rauchmelder der Verfassung schrillt"


13.05.2024Lesedauer: 6 Min.
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AfD-Vorsitzende Alice Weidel (Archivbild): Kommt das Verbotsverfahren für die Partei nun? (Quelle: Political-Moments/imago-images-bilder)
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Das Urteil ist gefallen, der Verfassungsschutz darf die AfD als "rechtsextremistischen Verdachtsfall" beobachten. Eine Klatsche für die Partei. Der AfD könnte nun auch ein Verbotsverfahren drohen.

Es ist ein anschauliches Beispiel, das der Vorsitzende Richter Gerald Buck am Montag in Sitzungssaal 2 des Oberverwaltungsgerichts in Münster verwendet: "Darf die Polizei eine Wohnung betreten, in der ein Rauchmelder vernehmbar Alarm gibt, man also einen Brand vermuten muss, und niemand die Tür öffnet?", fragt Buck. Obwohl die Wohnung hohen Schutz genieße, laute die Antwort: "Ja".

Die Polizei in diesem Beispiel ist der Verfassungsschutz. Die Wohnung ist die AfD. Buck versucht mit diesem Bild, ein Urteil von großer Tragweite auch für Nicht-Juristen verständlich zu machen. Ein Urteil in einem Mammutprozess: Seit Mitte März hat die AfD mit dem Verfassungsschutz in sieben teils langen Verhandlungstagen vor dem Oberverwaltungsgericht in Münster gestritten. Die Partei wollte ihre Einstufung durch den Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall anfechten und verhindern, dass sie weiter mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden darf.

Am Ende aber lehnt das Gericht die Berufungsanträge der AfD ab und entscheidet: Der Verfassungsschutz durfte und darf die AfD als Gesamtpartei sowie die Jugendorganisation "Junge Alternative" als Verdachtsfall führen, ebenso wie den inzwischen offiziell aufgelösten "Flügel" als gesichert rechtsextrem. Damit darf der Verfassungsschutz die Partei weiter mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachten.

Es ist eine Klatsche, die in der Partei erwartet wurde. Doch auf die Begründung des Gerichts wartet man nicht nur in der AfD gespannt. Schließlich wird in der Öffentlichkeit derzeit so laut wie nie ein mögliches Verbotsverfahren gegen die AfD diskutiert.

Ein solches Verbotsverfahren muss von Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung angestoßen werden. Das Urteil in Münster könnte der Startschuss für den äußerst komplexen Vorgang sein – die rechtliche Grundlage. Darauf zumindest hoffen die Kritiker der AfD.

Im Bundesamt für Verfassungsschutz sollen laut Medienberichten außerdem bereits Vorbereitungen laufen, die AfD bundesweit noch höher einzustufen – vom Verdachtsfall auf die höchste Stufe "gesichert rechtsextrem".

"Kein zahnloser Tiger"

"Der Senat war und ist sich der Reichweite seiner Entscheidungen bewusst", betont Richter Gerald Buck denn auch gleich zu Beginn seiner Urteilsbegründung. Und: "Die Richter handeln und entscheiden nicht politisch, mögen ihre Entscheidungen auch Auswirkungen auf Politik haben."

Das Grundgesetz mute "uns allen und sich selbst zu", eine Menge auszuhalten, sagt Buck. Und zwar auch, dass Teile der Gesellschaft Elemente der Verfassung kritisch hinterfragten. Öffentliche Äußerungen könnten gesellschaftlichen Protest oder Empörung beim politischen Gegner auslösen – sie seien aber nicht per se Anlass für eine verfassungsrechtliche Reaktion. Die wehrhafte Demokratie, das Grundgesetz, sei "kein zahnloser Tiger", sondern aufmerksam und durchsetzungsstark. "Aber sie beißt nur im nötigsten Fall zu und lässt sich auch nicht zu schnell provozieren."

Die AfD hat aber offensichtlich nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts zu sehr provoziert. Ähnlich wie 2022 bereits das Verwaltungsgericht Köln in erster Instanz kommen die drei vollberuflichen und zwei ehrenamtlichen Richter in Münster zu dem Schluss: Es gebe genügend "hinreichend tatsächliche" Anhaltspunkte dafür, dass die AfD Bestrebungen verfolge, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet seien.

Rechtliche Abwertung von Deutschen mit Migrationshintergrund

Die Erklärung des Senats für diese verfassungsfeindlichen Bestrebungen lässt sich in drei Punkten zusammenfassen. Erstens: Es bestehe der "begründete Verdacht", dass es den politischen Zielsetzungen "eines maßgeblichen Teils der AfD" entspreche, deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund nur einen "rechtlich abgewerteten Status zuzuerkennen", sagt Richter Buck. Das aber sei eine unzulässige Diskriminierung und mit der im Grundgesetz garantierten Menschenwürde nicht vereinbar.

Die AfD hatte im Verfahren immer wieder betont, sie wolle gar keine rechtlichen Unterschiede zwischen ethnisch Deutschen und Deutschen mit Migrationshintergrund machen. Sie betone lediglich, dass es diesen Unterschied überhaupt gebe, ethnisch und kulturell. Und das müsse erlaubt sein. Tagelang war über diesen Punkt gestritten worden, die AfD hatte Mitglieder der Partei und des Bundesvorstands als Zeugen aufgerufen.

Die Richter widersprechen einem Punkt der AfD-Argumentation nicht: Der "ethnisch-kulturelle Volksbegriff" dürfe verwendet werden, ja. Verknüpft werden aber dürfe er eben nicht mit der politischen Zielsetzung, die rechtliche Gleichheit aller Staatsangehörigen infrage zu stellen. Für solche "diskriminierende Zielsetzungen" aber gebe es in der AfD genügend Belege. Dem Senat läge eine "große Anzahl" von Äußerungen vor, die sich gegen Migranten richteten und sie unabhängig von ihrer Integration in die Gesellschaft systematisch ausgrenzten.

"Blech" und "Einzelmeinungen" seien solche Äußerungen, hatten die AfD-Vertreter im Verfahren immer wieder behauptet. Der Verfassungsschutz hielt dagegen: Es handele sich um höchste Funktionäre, um Menschen mit großem Einfluss in der Partei – und mit großer Strahlkraft nach außen. Die Richter sehen das offenbar ebenso, sie folgten der Auffassung des Verfassungsschutzes.

Richter Buck: "Der Rauchmelder der Verfassung schrillt"

Das zweite Argument des Senats: Es gebe auch hinreichend Anhaltspunkte für den Verdacht, dass die AfD Bestrebungen verfolge, die die Menschenwürde von Ausländern und Muslimen missachte. "In großem Umfang" würden herabwürdigende Begriffe für Flüchtlinge und Muslime verwendet. Zum Teil würden sie verbunden mit Forderungen, die sich gegen die gleichberechtigte Religionsausübung von Muslimen wendeten.

Drittens: Auch für demokratiefeindliche Bestrebungen lägen Anhaltspunkte vor – "wenn auch nicht in der Häufigkeit und Dichte wie vom Bundesamt angenommen". Diesen Punkt führt das Gericht nicht explizit näher aus, sondern verweist zunächst auf die in den vorangegangenen sieben Verhandlungstagen geführte Diskussion.

Noch einmal verwendet Buck das anschauliche Beispiel: "Der Rauchmelder der Verfassung schrillt – ist das ein Brand oder nur Rauch um Nichts?", fragt er. "Das zu erhellen und zu überwachen ist gerade der Ansatz des Verfassungsschutzgesetzes und Aufgabe des Verfassungsschutzes."

Explizit betont das Gericht, wohl auch wegen der außerhalb des Gerichtssaals geführten Diskussion über die Höherstufung der AfD und ein Verbotsverfahren: Im Prozess in Münster sei es lediglich um die Frage gegangen, ob die AfD als Verdachtsfall beobachtet werden dürfe. Das aber führe nicht automatisch zu einer Höherstufung, hin zu "gesichert rechtsextrem". Auch in der Pressemitteilung wird es schriftlich heißen: "Was für einen Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen ausreicht, führt aber auch nicht zwangsläufig zur Annahme einer erwiesen extremistischen Bestrebung."

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Nach 29 Minuten ist die Urteilsbegründung verlesen, Richter Buck schließt die Verhandlung. Die schriftliche Urteilsbegründung wird in den kommenden Wochen noch folgen und wesentlich umfangreicher ausfallen als die mündliche. Es ist mit Dutzenden von Seiten zu rechnen.

AfD-Politiker kritisieren "Unrechtsurteil"

Kurz darauf kritisieren die Vertreter des AfD-Bundesvorstands in der Vorhalle des Oberverwaltungsgerichts Münster das Urteil scharf. Sie verweisen auf rund 470 Beweisanträge, die im Laufe des Verfahrens vom Senat abgelehnt wurden.

Das Gericht habe sich einer umfangreichen Beweisaufnahme verweigert, sagt Roman Reusch, der früher Oberstaatsanwalt war. Sprich: Es habe der AfD nicht genügend Raum gegeben, sich zu verteidigen und tatsächlich auf die Vorwürfe des Verfassungsschutzes einzugehen.

Man habe zum Beispiel Führungskräfte mit Migrationshintergrund vorführen wollen, zahlreiche solcher Beispiele gebe es dafür in der Partei. Allein im Bundesvorstand der AfD säßen drei Mitglieder mit Migrationshintergrund, noch einmal drei seien mit Menschen mit Migrationshintergrund verpartnert. Man müsse das "Hirn an der Garderobe" abgegeben haben, wenn man glaube, dass diese Leute Migranten benachteiligen wollen würden.

Allerdings durften Zeugen mit Migrationshintergrund aus Reihen der AfD vor Gericht sprechen – und zwar an zwei Verhandlungstagen. Darunter einfache Mitglieder, aber auch Delegierte, Listenkandidaten und der hessische Landesvorsitzende Robert Lambrou.

Auch der AfD-Vizevorsitzende Peter Boehringer beklagt: "Es wurde zu kurzer Prozess gemacht." Und Reusch kündigt an: "Wir werden unser Heil in der nächsten Instanz suchen."

Außerhalb des Gerichtssaals fällt die Kritik von AfD-Politikern noch wesentlich harscher aus. "Ein Unrechtsurteil. Nichts weiter", schreibt die Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch auf der Plattform X, vormals Twitter. Von einem "politisch motivierten Urteil" spricht der bayerische Landeschef und Bundestagsabgeordnete Stephan Protschka. Und Martin Reichardt, stellvertretender Vorsitzender der AfD in Sachsen-Anhalt, kritisiert "dem Establishment hörige Richter".

Verbotsverfahren könnte noch vor der nächsten Instanz kommen

Es sind harte Vorwürfe, die das Rechtsstaatsprinzip infrage stellen und die Gewaltenteilung anzweifeln. Der Verfassungsschutz dürfte sie wohl notieren – für die mögliche nächste Runde gegen die AfD, dann vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig.

Bis dahin werden die jetzt schon beachtlichen Aktenberge weiter anwachsen. Mitarbeiter der AfD laden am Mittag vor dem Gerichtsgebäude die Akten zum Verfahren ein – es sind Dutzende Kartons. Schon jetzt: ein ganzer Lieferwagen voll.

Die Kritiker der AfD werden voraussichtlich nicht darauf warten, dass alle diese Akten noch einmal durchgearbeitet werden. Hinter den Kulissen diskutieren Mitglieder mehrerer Parteien im Bundestag bereits seit Wochen darüber, nach Münster ein mögliches Verbotsverfahren einzuleiten. Die Linken-Politikerin Martina Renner sagte t-online am Montag nach der Urteilsverkündung: "Es ist Zeit, jetzt zu handeln."

Verwendete Quellen
  • Eigene Beobachtungen und Recherchen am Oberverwaltungsgericht Münster
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