Die subjektive Sicht zweier Autoren auf ein Thema. Niemand muss diese Meinungen übernehmen, aber sie können zum Nachdenken anregen.
Neue Idee für Mindestlohn Ein Angriff auf das Grundgesetz
Der Mindestlohn schütze nicht vor Armut, sagen die Grünen. Deshalb wollen sie die Regeln für seine Festlegung ändern. Ihr Vorschlag ist umstritten.
Die Grünen wollen das Verfahren zur Festlegung des Mindestlohns reformieren. Derzeit läuft die Suche nach dem richtigen Mindestlohn noch so ab: Eine Kommission mit gleich vielen Vertretern von Gewerkschaften und Arbeitgebern, beraten von Wissenschaftlern, trifft sich alle zwei Jahre, um zu überprüfen, ob die Mindestlohnhöhe noch angemessen ist und gegebenenfalls angepasst werden muss. Das soll auch in Zukunft so bleiben. Doch bei der Festlegung der Höhe soll für die Kommission nach Vorstellung der Grünen künftig eine Untergrenze gelten, die bei 60 Prozent des Medianlohns liegt.
Der Medianlohn ist nicht mit dem Durchschnittslohn zu verwechseln. Beim Median handelt es sich um das mittlere Einkommen. Es bezeichnet also den Wert, der herauskommt, wenn man die Bevölkerung nach der Höhe ihres Einkommens sortiert, zwei gleich große Gruppen bildet und dann die Person herausnimmt, die genau in der Mitte dieser Verteilung steht. Nach dieser Berechnung müsste der Mindestlohn dann für 2024 deutlich über 14 Euro liegen, 2025 wären es knapp 15 Euro.
Ist der Reformvorschlag der Grünen sinnvoll?
Ja, aktuell haben wir keine faire Sozialpartnerschaft
Die Aufregung ist groß – und war erwartbar. Doch was die Grünen-Bundestagsfraktion da in einem Entwurf fordert, ist nichts anderes als das, was als erklärtes Ziel auch in der europäischen Mindestlohn-Richtlinie steht, die bis zu diesem Herbst umgesetzt sein muss. Diese besagt, dass ein internationales Niveau von 60 Prozent des mittleren Bruttolohns für den Mindestlohn anzustreben sei, also des Medianlohns.
Die Grünen haben recht: Wir brauchen ein besseres Kriterium, an das sich die Mindestlohnkommission in Zukunft halten sollte. Denn die bisherigen Vorgaben sind zu unkonkret und erreichen im Zweifelsfall nicht das vorgegebene Ziel der Mindestlohnkommission: den Schutz von Geringverdienern. Das liegt unter anderem an der schwachen Position, die ihre Vertreter in der Kommission aktuell haben. Von fairer Sozialpartnerschaft kann da keine Rede sein. Denn die minimale Erhöhung von 41 Cent, die die Kommission im vergangenen Jahr beschlossen hat, kam gegen den Willen und unter Protest der Arbeitnehmervertreter zustande – mit der Mehrheit der Arbeitgeber, die sie durch das Votum der Kommissionsvorsitzenden besaßen.
Was hätten die Arbeitnehmervertreter gegen die Minimalerhöhung um 3,4 Prozent tun können? Nichts. Denn anders als bei einer echten Tarifpartnerschaft haben die Arbeitnehmervertreter aktuell keine Möglichkeit, Druck auf Arbeitgeber in der Kommission auszuüben. Sie vertreten zwar sechs Millionen Niedriglöhner, diese verteilen sich aber über alle Branchen hinweg, ein Streik ist nicht möglich.
So müssen nun Mindestlohnempfänger, die vom Kaufkraftverlust aktuell am stärksten betroffen sind, mit der geringsten Erhöhung über alle Einkommensgruppen hinweg über die Runden kommen. Von Schutz kann da keine Rede mehr sein, von Kampf gegen Armut erst recht nicht.
Eine Orientierung am mittleren Lohneinkommen hätte dagegen den Vorteil, dass endlich auch sie von den Steigerungen derjenigen am oberen Einkommensrand profitierten – nur mal so zum Vergleich: Sogar die Beschäftigten mit geringen Löhnen im öffentlichen Dienst erhalten in diesem Jahr 16 Prozent mehr.
Aber auch die Wirtschaft würde davon profitieren: Denn jedes Plus im Portemonnaie von Niedriglöhnern fließt direkt in den Konsum.
Nein, diese Idee ist ein Angriff auf die Tarifautonomie
Der Mindestlohn ist den Grünen zu niedrig. Deshalb soll jetzt – Achtung, kein Wortwitz – ein Mindest-Mindestlohn her. So jedenfalls lässt sich die von der Ökopartei vorgeschlagene Einkommensuntergrenze für die Verhandlungen über den Mindestlohn verstehen.
Klingt nach einer guten Idee, vor allem für Menschen im Niedriglohnsektor? Wäre aber in Wahrheit nichts anderes als ein schwerer Eingriff in die Tarifautonomie und damit ein Angriff auf das Grundgesetz, in dem diese festgeschrieben ist.
Unsere Verfassung nämlich sieht vor, dass über die Höhe der Löhne in Deutschland die Sozialpartner bestimmen, also Gewerkschaften und Arbeitgeberverbände. Eine lang bewährte Praxis, für die es gute Gründe gibt:
Die Tarifautonomie sorgt dafür, dass sich Arbeitnehmer und Arbeitgeber selbstständig aushandeln, welcher Lohn am besten zu den jeweiligen Voraussetzungen der einzelnen Branche passt – Subsidiaritätsprinzip nennt sich das. Greift der Staat umgekehrt zu sehr lenkend in die Marktwirtschaft ein, setzt er etwa Löhne per Gesetz zu hoch an, drohen dort, wo Firmen sich diesen nicht leisten können, schnell Stellenabbau und Jobverluste. Dem Niedriglohnbezieher ist damit nicht geholfen.
Darum ist und bleibt es richtig, den gesetzlichen Mindestlohn in gewohnter Manier in der Mindestlohnkommission zu bestimmen. Denn seien wir ehrlich: Würde der Vorschlag der Grünen in die Tat umgesetzt – wozu sollen sich Gewerkschaften und Arbeitgeber dann überhaupt noch treffen?
Setzten sich die Grünen durch, würde aus dem Mindest-Mindestlohn schnell der Maximal-Mindestlohn. Dann würden sich die Arbeitgeber – zu Recht – darauf zurückziehen, dass sie jenseits dieser dann deutlich höheren Grenze ohnehin keinen Spielraum mehr sehen. Dann wäre die ganze Kommission obsolet.
Gerade in wirtschaftlich turbulenten Zeiten wie diesen, in denen die Unternehmen ohnehin unter Druck stehen, braucht es nicht mehr staatlichen Dirigismus, sondern weniger, damit die Wirtschaft wieder wächst. Das gilt auch und ganz besonders für den Mindestlohn.
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