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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Lohnt sich Arbeit noch? Heil bei "Hart aber Fair" im Kreuzfeuer der Kritik
Dass die Erhöhung des Bürgergelds im nächsten Jahr Arbeit für viele unattraktiv machen könnte, wollte Arbeitsminister Heil bei "Hart aber Fair" nicht gelten lassen.
Mit dem geforderten Nachschlag von 3,25 Milliarden Euro für das Bürgergeld sorgt Hubertus Heil dieser Tage vielerorts für Kritik. Bei "Hart aber Fair" stellte er sich Montagabend der Kritik, dass dies vielen den Anreiz geben könnte, überhaupt nicht mehr arbeiten zu gehen.
Die Gäste:
Hubertus Heil, SPD - Bundesminister für Arbeit und Soziales
Christiane Benner - Erste Vorsitzende der IG Metall
Ronja Ebeling - Journalistin, Autorin "Work Reloaded"
Hendrik Ambrus - Geschäftsführer eines Handwerksbetriebs
Prof. Michael Hüther - Wirtschaftswissenschaftler, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln
Heil relativierte die Kritik an der Erhöhung des Bürgergeldes. Man müsse sich auch die anderen Fakten anschauen, erklärte er: Man habe auch den Mindestlohn erhöht, Beiträge und Steuern für Geringverdiener gesenkt und Wohn- und Kindergeld "für fleißige Leute" erhöht. Diese fleißigen Leute gäbe es prinzipiell aber auch unter den Bürgergeldempfängern: 20 Prozent davon seien Leute, die zwar arbeiten, aber gering verdienen. "Das sind keine faulen Leute", so der Minister.
Benner: "Arbeit ist immer mehr als das Einkommen"
"Arbeit muss einen Unterschied machen", gestand er ein. Jedoch dürfe dies nicht auf Kosten der Grundsicherung gehen: "Dass es eine Grundsicherung gibt, die das Existenzminimum abdeckt, ist ein Gebot unserer Verfassung. Wir müssen darüber reden, wie sich Arbeit mehr lohnt, aber das kann man nicht machen, indem man das Existenzminimum künstlich runterrechnet."
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"Die Frage ist, ob die Differenz hinreichend groß ist", wandte der Wirtschaftswissenschaftler Prof. Michael Hüther ein. Bürgergeldempfänger würden schließlich noch andere Vorteile erhalten, es komme so zu Ungleichgewichten. Was man bisher gemacht habe, um Arbeitsanreize zu erhöhen, reiche einfach nicht, so Hüther.
Man dürfte Bürgergeldbezieher und Menschen im Niedriglohnsektor nicht gegeneinander ausspielen, meinte die Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, dazu und attestierte: "Arbeit ist immer mehr als das Einkommen."
Heil: "Jemand, der so bescheuert ist, wegen des Bürgergelds zu kündigen …"
Dass das Bürgergeld Menschen dazu animieren könnte, ihren Job zu kündigen, sieht Heil als keine große Gefahr an. Sollte jemand auf diese Idee kommen, habe er Konsequenzen zu erwarten: "Jemand, der so bescheuert ist, wegen des Bürgergelds zu kündigen, der bekommt kein Bürgergeld, sondern eine Sperre beim Arbeitslosengeld". Das Bürgergeld sei kein bedingungsloses Grundeinkommen, stellte er klar: "Man muss bedürftig sein und wenn man nicht mitwirkt, gibt es nach wie vor Leistungsminderung".
Dann erklärte er, was der Grund für die Erhöhung des Bürgergelds sei: "Dass das Bürgergeld zum 1. Januar so stark steigt, ist keine politische Idee, sondern ein Mechanismus, der mit der hohen Inflation dieses Jahres zu tun hat."
CDU-Chef Friedrich Merz, der die Erhöhung besonders scharf kritisiert hatte, habe diesem Mechanismus damals zugestimmt, so der Minister. Sollte nächstes Jahr die Inflation zurückgehen, womit man rechne, und Deutschland wieder Reallohnsteigerungen oberhalb der Inflationsrate vorweisen kann, "dann wird die nächste Erhöhung zum Jahresanfang relativ mickrig sein", prognostizierte Heil, der zudem anmerkte: "Wenn Sie nur Bürgergeld beziehen, hat das langfristig ganz furchtbare Folgen für die Rentenanwartschaft."
Ambrus: "Wenn wir Mindestlohn zahlen würden, hätte ich keine Mitarbeiter"
Dann fiel die Diskussion auf das Thema Mindestlohn. Geht es nach Benner, ist es ein Problem, dass man in Deutschland überhaupt gesetzliche Mindestlöhne einführen muss – viel mehr sollte man versuchen, mit Unternehmen faire Tarifverträge abzuschließen.
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Aber wäre ein erhöhter Mindestlohn für Betriebe zu stemmen? Für Hendrik Ambrus, Geschäftsführer eines Handwerksbetriebs, lautete die Antwort zwar ja, er argumentierte aber, dass dies für den Kunden deutlich spürbar würde, da sich die Preise in allen Bereichen (als Beispiel nannte er hier Lieferanten- sowie Dieselpreise und Maut) erhöhen würden und dies beim Kunden ankommen werde. Er selbst zahle ohnehin mehr als den Mindestlohn: "Wenn wir Mindestlohn zahlen würden, hätte ich keine Mitarbeiter. Da wäre kein einziger mehr auf der Baustelle".
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Ebeling: "Mich stört, dass wir in Deutschland diese Vollzeitmentalität haben"
Der zweite Themenkomplex des Abends war die Frage nach einer Vier-Tage-Woche. Hier herrschte in der Gesprächsrunde Uneinigkeit. "Ich glaube nicht, dass die Viertagewoche die Lösung für alle Unternehmen und Betriebe in Deutschland ist", meinte Ronja Ebeling. Es sei aber ein spannender Gedanke, mit dem man sich beschäftigen sollte und der Betrieben durchaus Wettbewerbsvorteile bringen könnte. Sie habe einen Malermeister kennengelernt, der in seinem Betrieb die Vier-Tage- Woche eingeführt und erklärt habe, weniger Krankheitstage in seinem Betrieb zu haben.
"Mich stört, dass wir in Deutschland diese Vollzeitmentalität haben und dabei vergessen wird, dass wir viele Menschen vom Arbeitsmarkt ausschließen", so Ebeling weiter. Man müsse nicht nur flexibler werden, sondern auch dafür sorgen, dass auch Menschen in Teilzeit Karriere machen können. "Wenn das nicht passiert, dann ist Deutschland auf dem absteigenden Ast", meinte sie.
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Für die Stahlindustrie sei eine 32-Stunden-Woche indes eine Notwendigkeit, argumentierte Benner. "Wir werden dort Technologiesprünge haben und wir erwarten ab Mitte der 20er Jahre Rationalisierungseffekte. Durch die neue Technologie werden Arbeitsplätze wegfallen." In der Stahlindustrie sei ein solches Modell notwendig, um Beschäftigte an Bord zu halten.
Hüther steht einer solchen Verringerung der Arbeitszeit kritisch gegenüber. "Wenn wir als Bevölkerung schrumpfen – das wird passieren – dann müssen wir alle Flexibilitätspotenziale nutzen. Aber in der Summe müssen wir auch klarmachen, dass wir mit dem Arbeitsvolumen nicht zurechtkommen. Wenn wir zwanzig Prozent reduzieren, haben wir auch 20 Prozent weniger Leistung, 20 Prozent weniger Dienstleistung".
Heil erklärte indes, ein "One size fits all"-Modell sei nicht realistisch. Er sprach von flexiblen Arbeitszeitmodellen, die auf den Lebensverlauf Rücksicht nehmen würden.
Die Arbeitsmarktsituation in Deutschland sieht der Minister im Großen und Ganzen aber positiv: "Wir haben in Deutschland kein faules Volk", sagte er. Das Arbeitsvolumen betrage 2,3 Mrd. Arbeitsstunden mehr als noch vor 10 Jahren: "Es haben noch nie so viele Menschen in Deutschland gearbeitet wie jetzt – trotz aller Krisen", so Heil.
- "Hart aber fair" vom 13.11.2003