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Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Politiker wird 80 Die tragischen Pirouetten des Oskar Lafontaine
Für Freund und Feind ist er nur der Oskar, ein vielfach Begabter, dem der Wille zum Durchhalten abging. Ohne die Einheit wäre er vielleicht Kanzler geworden. So wurden die Pirouetten, die er dreht, immer kleiner.
Der Oskar wird heute 80, Glückwunsch, rundes Alter nach einem wilden Leben. Er ist schon noch der alte Oskar, wenn auch in seinen Augen das Verschmitzte nicht mehr so häufig aufblitzt, diese mit Arroganz gewürzte Ironie, die eine politische Zuspitzung auskostet und auf das Echo bei den Zuhörern lauscht.
Vor Kurzem empfing Oskar Lafontaine einen alten Bekannten, an dem er verzweifelt war und von dem er sich betrogen fühlte: Gerhard Schröder.
Der ehemalige Kanzler der SPD und der ehemalige Parteivorsitzende der SPD saßen also bei Rotwein zusammen und mögen über ihre großen Zeiten geplaudert haben. Als sie den Helmut Kohl abräumten. Als sie das geniale Tandem ihrer Partei waren. Als sie fast so etwas wie Freunde waren, aus denen dann bittere Gegner wurden. Und bestimmt haben sie auch über ihre Nachfolger gelästert, was denn sonst, den Olaf und die anderen, die ihnen nicht das Wasser reichen können.
Immer der Jüngste, immer der Schnellste
Von Gerhard Schröder ist nichts mehr zu erwarten außer Golfen und schönen Bildern aus dem trauten Heim in sozialen Medien, von Gattin Nummer 5 biedermeierlich kommentiert. Oskar Lafontaine hingegen ist noch für Überraschungen gut, zum Beispiel wenn er demnächst gemeinsam mit Sarah Wagenknecht, Gattin Nummer 4, eine Partei gründet, was ja durchaus möglich erscheint, obwohl die Ausrufung arg lange auf sich warten lässt.
Unter anderen Umständen wäre zum 80. Geburtstag eine große Sause fällig, mit vielen Rednern aus vielen Staatsämtern, die an die Saar tingeln und ihn in die Geschichtsbücher einordnen. Oskar Lafontaine ist ja nun wirklich eine historische Figur, die vieles konnte und vieles war.
Immer der Jüngste, immer der Schnellste, das Großtalent seiner Generation, geboren noch im großen Krieg, vaterlos aufgewachsen in einem katholischen Arbeiterhaushalt. Oberbürgermeister von Saarbrücken mit 33, Ministerpräsident mit 41, Kanzlerkandidat mit 47.
Seine beste Zeit hatte er im Saarland
Sein Leben lang hat er die Menschen fasziniert und polarisiert. Er baute auf und warf um. In ihm hat man keinen, auf den Verlass wäre. Seit jeher hat er viel über Moral in der Politik geredet, aber wenn es ihm zu viel wurde, wenn er nicht die Nummer eins sein durfte, brach er alle Brücken ab. Von jetzt auf gleich.
Woher kommt das – dieses Jähe, diese weidwunden Befreiungsschläge, der verzweifelte Rückzug, wie an jenem 11. März 1999, als er, der Finanzminister der Regierung Schröder/Fischer die Brocken hinwarf, einfach so?
Seine beste Zeit war im Saarland als Oberbürgermeister und Ministerpräsident. Kleines Land, große Probleme, vor allem die Transformation der Kohle- und Stahlindustrie, bei der er sich bleibende Verdienste erwarb. Das war Oskar, der Realist, der die Dinge nahm, wie sie waren, und das Beste aus ihnen machte.
Ab jetzt nur noch Oskar
Aber er war größer als das Saarland. Er wollte ins Reich, wie man dort so sagt. Aber wie sollte er aus diesem kleinen Bundesland am Rande der Republik zur nationalen Figur werden?
Durch Provokation und Rebellentum. In der dauerhaften Opposition zur SPD-geführten Bundesregierung, deren Kanzler Helmut Schmidt hieß. Über ihn sagte Lafontaine, das Pflichtgefühl, die Machbarkeit und Berechenbarkeit, von denen Schmidt immer rede, das seien Sekundärtugenden, mit denen man auch ein KZ führen könnte. Ja, Lafontaine konnte maßlos sein, wenn er sich im Recht glaubte.
Oskar Lafontaine stand nicht allein. Er genoss die Protektion Willy Brandts, der Galionsfigur der SPD; so glückte das Experiment Wie-werde-ich-bedeutend. Dazu kam das Wohlwollen der Medien, von "Spiegel" bis "Bild" , die den Aufstieg nicht nur begleiteten, sondern flankierten.
Fortan war Lafontaine für Freund und Feind nur noch der Oskar. Die Reduktion auf den Vornamen war ein Symbol für das Ankommen auf der großen Bühne der Politik. Im Ausland hielt man ihn wegen seiner Polemik und Unberechenbarkeit bald für den gefährlichsten deutschen Politiker.
Zur Person
Gerhard Spörl interessiert sich seit je her für weltpolitische Ereignisse und Veränderungen, die natürlich auch Deutschlands Rolle im internationalen Gefüge berühren. Er arbeitete in leitenden Positionen in "Der Zeit" und im "Spiegel", war zwischendurch Korrespondent in den USA und schreibt heute Bücher, am liebsten über historische Themen.
Eine Mischung aus Bebel und Mussolini?
Willy Brandt sagte einmal über Lafontaine, der Junge sei eine Mischung aus Bebel und Mussolini. Der Oskar bewegte sich ja rhetorisch gerne in der Geschichte der deutschen Sozialdemokratie, zu deren Gründungsvätern August Bebel gehört hatte. Das mit dem Duce meinte der große Vorsitzende vermutlich als Mahnung, den Hang zum populistischen Schwadronieren zu zähmen.
Denn in diesen Jahren des Aufstiegs mauserte sich der hedonistische Saarländer zu einem großen Rechthaber. Es ist allerdings die entscheidende Frage, ob einer, der recht zu haben glaubt, auch recht bekommt.
Lafontaine gehörte in den 1970er-Jahren zur Avantgarde der ökologischen Bewegung und der Friedensbewegung. Unter den aufstrebenden Politikern galt er als Intellektueller auf der Höhe der Zeit. Auf diese Weise war Oskar Lafontaine die große Hoffnung der SPD und des Regierungs-Projektes mit den Grünen. Der Gerd, der Oskar und der Joschka bildeten das scheinbar unaufhaltsame Trio, das Helmut Kohl bald schon in Rente schicken würde.
Der Mann, der gegen die Einheit war
Aber dann kam 1989. Die Demonstrationen in der DDR. Der Zusammenbruch der SED. Die Aussicht auf Wiedervereinigung. Die Geschichte raste und erwischte Lafontaine auf dem falschen Fuß. Paris lag ihm grundsätzlich näher als Dresden. Von einem großen Deutschland hielt er nichts. Er stemmte sich gegen die Geschichte. Er beschwor die DDR-Bürger, drüben zu bleiben. Er hielt die Währungsreform für Irrsinn. Das Ganze passte ihm nicht.
Dann der 25. April 1990, der Tag, als ihm Adelheid Streidel ihr Messer in den Hals rammte, gleich neben der Halsschlagader. Hinterher sagte die psychisch kranke Frau, sie habe Lafontaine töten wollen, um vor Gericht über die unterirdischen Fabriken reden zu können, in denen Menschen körperlich und geistig umfunktioniert würden. Daran knüpften in der Pandemie die Verschwörungsgläubigen an.
Das Attentat muss ein grauenhafter Schock gewesen sein, was denn sonst. Normalsterbliche hätten sich auskuriert, wären in die Reha gefahren, hätten womöglich mit Psychologen über das Geschehene gesprochen und überhaupt darüber nachgedacht, wie sie weiterleben wollten. Nichts war ja wie vorher. Auch die Binnenwelt stand urplötzlich auf dem Kopf.
Die Deutschen wollten Helmut
Aber Lafontaine machte so schnell wie möglich weiter, als wäre nichts Schlimmes passiert. Arbeit sollte die Therapie sein. Die Alternative wäre ein Rückzug von der Kanzlerkandidatur gewesen. Doch diesen Bruch nahm er nicht auf sich. Was ihn tief innen bewegte, hat er vielleicht am ehesten mit Wolfgang Schäuble beredet, dem Leidensgenossen, der nur ein halbes Jahr später angeschossen worden war.
Es folgte die schwere Wahlniederlage gegen Helmut Kohl: 33,5 Prozent (minus 3,5 Punkte) gegen 43,8 (minus 0,5). Die DDR-Bürger wollten die Einheit und bekamen sie. Ihr Held war Helmut Kohl. Für sie war Lafontaine der Mann, der die Einheit nicht wollte.
Erst einmal zog sich Oskar Lafontaine ins Saarland zurück. Jetzt war er wieder nur der Ministerpräsident, aber in sicheren Gefilden. Am ehesten konnten die Wunden hier heilen. Hier liebten sie ihn. Hier war er ihr Oskar.
Auch der zweite Ausflug in die große Politik erwies sich als Fiasko.1998, endlich der ersehnte Machtwechsel. Rot-Grün in der Regierung. Seine Freunde rieten ihm zum Fraktionsvorsitz, er aber wollte in die Regierung und als Finanzminister und SPD-Vorsitzender die Zügel halten. Er verkannte die Lage. Die Nummer eins war ein anderer.
Der Traum von der neuen linken Volkspartei
Oskar Lafontaine scheiterte an Gerhard Schröder, dem besseren Machtpolitiker und Strategen. Der Bruch am 11. März 1999 gründete auf einer unnachahmlichen Mischung aus verletzter Eitelkeit und politischen Gegensätzen über die notwendigen Reformen. Dass Lafontaine alles hinwarf und flüchtete, bleibt ein beispielloser Akt in der deutschen Nachkriegspolitik. Der Austritt aus der SPD 2005 war der konsequente Schritt.
Dritter Anlauf: Auch der Aufbau der Linken basierte auf einer Männerfreundschaft, diesmal mit Gregor Gysi. Ihr gemeinsamer Traum war es, die SPD als linke Volkspartei abzulösen.
Der Traum war schon zerstoben, als Oskar Lafontaine an Krebs erkrankte und wiederum den Rückzug ins Saarland antrat. Er genas und katapultierte seine Landespartei in ungeahnte Höhen. Dann legte er sich mit Provinzchargen der Linken an, und trat verbittert auch aus dieser Partei aus.
80 ist er heute und bestimmt ein bisschen weise. Ein Unikat bleibt er, der große Unvollendete der deutschen Politik. Einer, der vieles konnte, noch mehr wollte, aber immer kleinere Pirouetten drehen musste. Und natürlich hat es etwas Tragisches, wenn eine große Begabung sich nicht erfüllen kann.
- Eigene Beobachtungen