"Kleine Amplitude" Körpersprache-Experte: Scholz hat ein Problem
Ein Experte nimmt sich die Körpersprache des Kanzlers vor. Er lobt dessen Umgang mit seinem Unfall. Allerdings sieht er auch ein grundsätzliches Problem.
Seinen Spitznamen "Scholzomat" bekam der heutige Bundeskanzler bereits früh verliehen. In seiner Zeit als SPD-Generalsekretär (2002-2004) war das. Damals mokierten sich einige Kritiker über die gestanzte Sprechweise, die hölzernen Gebärden und die schlaumeierischen Vorträge des Olaf Scholz. Die "Frankfurter Rundschau" nannte den Kanzler später ein "trockenes Brötchen" und den "Mann ohne Eigenschaften". Da war er noch Bürgermeisterkandidat in Hamburg.
Inzwischen residiert der Sozialdemokrat im Kanzleramt und trägt seit neuestem Augenklappe. Die war nach einem Joggingunfall nötig geworden und veranlasste Scholz zu der Aufforderung an die Bürger, sich per Memes, also digitalen Collagen, über ihn lustig zu machen. Was dann auch reichlich geschah.
Diese Vorwärtsoffensive hält der Körpersprache-Experte Stefan Verra für einen klugen Schachzug. "Wenn man etwas an seinem Körper hat, was ohnehin jeder Mensch wahrnimmt – sei es eine Verletzung, eine Krücke oder eben eine Augenklappe –, ist es ratsam, möglichst offen damit umzugehen", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Scholz sei "sehr professionell" mit der körperlichen Beeinträchtigung umgegangen.
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Verra stellt fest, dass es überdies dem Selbstbewusstsein keinen Abbruch tue, wenn man mit einer Augenklappe herumläuft, denn für die Ausstrahlung sei die Gesamtheit der Körpersignale ausschlaggebend. Und da habe der Kanzler ein Defizit, "weil er insgesamt zu unspontan und zu abwartend ist".
Scholz' grundsätzlicher Habitus – abwartend, abwägend, manche sagen auch: zögernd – sei vielmehr das Problem, so der Körpersprache-Experte. Dieser Habitus hat sich seit der Zeit, als Scholz den Beinamen "Scholzomat" verpasst bekam, kaum verändert. Geprägt sei sein Auftreten von einer "niedrigen Frequenz und kleiner Amplitude", so Verra.
Beim G20-Gipfel wohl mit Augenklappe unterwegs
Das könnte in der Form wohl auch für Scholz' Amtsvorgängerin Angela Merkel gelten, bei der sich Scholz nach Meinung der meisten Politikbeobachter einiges abgeschaut haben soll. Beide Politiker gehören eher nicht zum expressiven Typus, große Gesten, laute Töne sind ihre Sache nicht.
Im Wahlkampfgetöse, wenn sich die Kandidaten positionieren müssen, kann das von Vorteil sein. So ist Scholz wohl auch ins Amt des Bundeskanzlers gekommen. Als Leisetreter, nicht als Lautsprecher.
Wenn es darum geht, Krisen zu bewältigen und die Führung zu liefern, die die Bürger von einem Staatsoberhaupt erwarten, kann dieses Auftreten jedoch zum Problem werden. Es fehle Scholz an Temperament, und das vermittele insgesamt "wenig Aufbruchstimmung und wenig Tatbereitschaft", so der Experte.
Vielleicht vermag die verwegen wirkende Augenklappe daran ja zumindest kurzfristig etwas zu ändern. Schon beim G20-Gipfel in der kommenden Woche in Indien hat der Kanzler dazu die Gelegenheit. Da kann er im Kreise der anderen Staatschefs seine Durchsetzungskraft unter Beweis stellen. Augenklappe hin oder her.
- fr.de: "Mann ohne Eigenschaften"
- rnd.de: "Körpersprachenexperte: Was Scholz’ Augenklappe dem Gegenüber signalisiert – und was das mit seiner Autorität macht"
- zdf.de: "Vor G20-Gipfel in Indien: Die neue Welt-Un-Ordnung"
- faz.net: "Scholz mit Augenklappe: Auge um Auge, Meme um Meme" (kostenpflichtig)