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Hubert Aiwanger stellt sich als Opfer in Flugblatt-Affäre dar: Unglaubwürdig


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Söders 25 Fragen an Aiwanger
Diese Antworten sind eine Farce

MeinungVon Heike Vowinkel

Aktualisiert am 04.09.2023Lesedauer: 4 Min.
imago images 0302647933Vergrößern des Bildes
Stellt sich als Opfer einer Kampagne dar: Bayerns stellvertretender Regierungschef Huber Aiwanger hat 25 Fragen zur Flugblatt-Affäre beantwortet. (Quelle: Sven Simon/imago-images-bilder)
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Hubert Aiwangers Antworten zur Flugblatt-Affäre sind eine Farce. Vom Willen zur Aufarbeitung fehlt jede Spur – ebenso wie von der Einsicht, was das eigentliche Problem ist.

Man sollte meinen, Fragen und Antworten seien eine klare Sache: Jemand fragt nach einem Sachverhalt und jemand antwortet darauf möglichst präzise nach bestem Wissen und Gewissen. Doch so einfach ist das oft nicht. Genauso wie es unterschiedliche Arten von Fragen gibt – Sachfragen, Suggestivfragen, rhetorische Fragen, etc. –, gibt es auch unterschiedliche Arten von Antworten.

Zum Beispiel Antworten, die auf eine Frage eingehen und einen Sachverhalt nach bestem Wissen und Gewissen erklären und erhellen. Außerdem solche, die zwar den Eindruck erwecken, eine Frage zu beantworten, doch tatsächlich nur wortreich und gekonnt vom Kern ablenken und etwas verschleiern. Und schließlich gibt es Antworten, die weder das eine noch das andere tun: Sie erhellen und erklären nichts, sie machen sich nicht einmal die Mühe zu verschleiern. Sie sind schlicht nichtssagend und bleiben eine Aussage schuldig.

In diese Kategorie fallen Hubert Aiwangers Antworten auf die 25 konkreten Fragen, die Bayerns Ministerpräsident Markus Söder und die CSU ihm am vergangenen Dienstag zur Flugblatt-Affäre gestellt haben. Drei Tage hat sich Söders Stellvertreter für die schriftliche Beantwortung Zeit genommen. Und man fragt sich nun, da die Antworten vorliegen: Warum eigentlich?

Die Antworten enthalten nichts Neues

Denn die schriftlichen Antworten inklusive Aiwangers Vorbemerkung enthalten nichts Neues, klären nichts auf, erhellen nichts. Von Aufklärungswillen fehlt jede Spur. Stattdessen zeugen sie davon, dass Hubert Aiwanger das wahre Problem noch immer nicht verstanden hat: Es geht um Glaubwürdigkeit. Um seine Glaubwürdigkeit als Person, aber auch die seines Reue-Bekenntnisses. Beides bleibt zweifelhaft, solange er auf Erinnerungslücken beharrt.

Es beginnt schon mit der Vorbemerkung. Darin weist Hubert Aiwanger darauf hin, dass 35 oder 36 Jahre eine lange Zeit sei und er sich deshalb an viele Details nicht mehr erinnern könne. Ja, 35 Jahre sind eine wirklich lange Zeit. Da vergisst man vieles. Doch wer schon mal als Schüler oder Schülerin wegen eines Vergehens zum Direktor zitiert wurde, gar vor einen Disziplinarausschuss, der weiß: So etwas vergisst man nicht.

Zugleich stellt er sich in dieser Vorbemerkung erneut als Opfer dar. Ein Dokument aus seiner Schulzeit sei aus dem geschützten Raum der Schule hervorgezerrt worden, um ihn politisch und persönlich fertigzumachen, schreibt Aiwanger. Ja, auch das könnte man so sehen. Wäre nicht der Inhalt in diesem Fall das Entscheidende: Es handelt sich hier eben nicht um irgendeinen dummen Jungenstreich, sondern um ein antisemitisches, den Holocaust und seine Opfer auf widerliche Art und Weise verhöhnendes Pamphlet, das zwangsläufig die Frage aufwirft: Haben diejenigen, die damit zu tun hatten, das damals aufgearbeitet, haben sie aus der Sache gelernt, sich weiterentwickelt? Zumal – und das ist das Entscheidende: Wenn sie, so wie Aiwanger, heute politische Verantwortung tragen.

Eine beschönigende Formulierung

Die Antworten, die Aiwanger liefert, zeugen leider nicht davon. Zumal er einer wie auch immer gearteten Kampagne bereits im Vorfeld jede Grundlage hätte entziehen können, hätte er gleich überzeugende Antworten geliefert. Doch er bleibt sie noch immer schuldig

17 der 25 Fragen beantwortet Aiwanger mit der Aussage: "Das ist mir nicht erinnerlich", "Das entzieht sich meiner Kenntnis" oder Varianten davon. Nur, wie glaubwürdig ist das?

Denn gleichzeitig erinnert sich Hubert Aiwanger noch an Details, wie etwa jenes, dass seine Schultasche im Sekretariat im Beisein des Schulpersonals geöffnet wurde (Antwort 4), aber nicht daran, wie ein oder mehrere Exemplare des Flugblatts in seine Schultasche geraten sind (Antwort 1). Genauso wenig, wie er sich daran erinnern kann, ob es nun ein oder mehrere Flugblätter waren (Antwort 5).

Und wie glaubwürdig ist es, dass er nicht mehr weiß, ab wann ihm klar war, dass das oder die Flugblätter vom Bruder stammten (Antwort 9)? Während er gleichzeitig noch weiß, dass er und sein Bruder geschockt waren und "die Vorstellung eines Polizeibesuchs im Elternhaus" ihm Angst gemacht habe. Nur, kann das sein, dass er sich an die Angst und den Schock erinnert, aber vergisst, ob er mit dem Bruder überhaupt über das, was diese Angst ausgelöst hat, gesprochen hat?

Markus Söder sprach in seiner Pressekonferenz am Sonntag davon, dass Hubert Aiwanger nicht alle Fragen "befriedigend" beantwortet habe. Das ist eine sehr beschönigende Formulierung. Diese Antworten sind eine Farce. Sich als Opfer einer Kampagne darzustellen, ist Aiwangers unwürdiger Versuch, politisch Kapital daraus zu schlagen, dass er zu glaubwürdigen Antworten offenbar nicht fähig ist. Josef Schuster, der Präsident des Zentralrats der Juden, hatte recht, als er am Freitagabend im ZDF sagte: "Das ist eine Täter-Opfer-Umkehr".

Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version des Kommentars stand, Markus Söder habe in seiner Pressekonferenz davon gesprochen, dass Aiwangers Antworten "unbefriedigend" seien. Tatsächlich sagte er, dass Aiwanger nicht alle Fragen "befriedigend" beantwortet habe. Das wurde im Text geändert.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherche
  • Reuters: Livestream der Pressekonferenz Markus Söder, 3.9.2023
  • ZDF: Interview mit Josef Schuster im heute-journal, 1.9.2023
  • Homepage Bayerische Staatskanzlei: Fragenkatalog an Staatsminister Hubert Aiwanger, 3.9.2023
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