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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Vorschläge im Bundestag Das sind die Pläne für eine Sterbehilfe in Deutschland
Zur Neuregelung der Sterbehilfe liegen zwei Gesetzentwürfe vor. Am Donnerstag stimmt der Bundestag darüber ab. In einem Punkt gibt es aber jetzt schon Einigkeit.
In der letzten Sitzungswoche vor der parlamentarischen Sommerpause müssen die Abgeordneten nicht nur in letzter Sekunde über das heftig umstrittene Gebäudeenergiegesetz der Ampel abstimmen. Auch in die Neuregelung der Sterbehilfe in Deutschland kommt Bewegung: Dem Bundestag liegen Initiativen zweier Abgeordnetengruppen vor.
Generelle Straffreiheit oder begrenzte Strafbarkeit?
Der Entwurf der Gruppe um Katrin Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Grüne) schlägt vor, dass Ärztinnen und Ärzte Volljährigen Arzneimittel zur Selbsttötung verschreiben dürfen, die ihr Leben "aus autonom gebildetem, freiem Willen" beenden möchten. Dazu sollen aber Voraussetzungen zu Beratung und Aufklärung geregelt werden. Dieser Antrag versteht sich als liberale Neufassung des Gesetzes außerhalb des Strafgesetzbuchs.
Der alternative Vorschlag der Gruppe um Lars Castellucci (SPD) und Ansgar Heveling (CDU) hält im Grundsatz an einer Strafbarkeit der "geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" fest. Verstöße sollen mit Haft- oder Geldstrafen geahndet werden können. Nicht rechtswidrig soll die geschäftsmäßige Suizidbeihilfe dann sein, wenn der suizidwillige Mensch "volljährig und einsichtsfähig" ist, sich mindestens zweimal von einem Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie oder einem Psychotherapeuten hat untersuchen lassen und mindestens ein ergebnisoffenes Beratungsgespräch absolviert hat.
Abgeordnete der Unionsfraktion, unter ihnen der frühere Gesundheitsminister Hermann Gröhe, haben dem Gesetzentwurf von Castellucci und Heveling nun einen Antrag zur Stärkung der Suizidprävention hinzugefügt, der seit Dienstag auch zwischen beiden Initiativen geeint ist.
Antrag "Suizidprävention stärken"
In dem begleitenden Schreiben an die Unionsfraktion, das t-online vorliegt, heißt es: Selbstbestimmtes Sterben ohne eine wirksame Suizidprävention sei nicht denkbar. "Der assistierte Suizid darf nicht das einzige und am einfachsten verfügbare Mittel für Menschen sein, die ihr Leben nicht mehr als lebenswert empfinden." Es müssten palliativmedizinische Angebote, niedrigschwellige Sucht- und Schuldnerberatung sowie andere Therapieangebote für eine abgewogene Entscheidung mindestens gleichrangig zur Verfügung stehen.
Dem Antrag zufolge, der t-online ebenfalls vorliegt, wird die Bundesregierung dazu aufgefordert, dem Bundestag "bis zum 31. Januar 2024 ein Konzept vorzulegen, wie zeitnah – zum Beispiel mit Mitteln des Nationalen Präventionsplans – bestehende Strukturen und Angebote der Suizidprävention unterstützt werden können". Bis zum 30. Juni 2024 müsse ein Gesetzentwurf und eine Strategie für Suizidprävention vorgelegt werden.
Konkret werden zehn Maßnahmen genannt, um Selbsttötungen vorzubeugen. Diese sollen in dem Gesetz verankert werden.
- Bessere Unterstützung bestehender Angebote zur Intervention bei suizidalen Krisen
- Schaffung eines deutschlandweiten Suizidpräventionsdienstes
- Entwicklung einer bundesweiten Aufklärungs- und Informationskampagne
- Entwicklung und Durchführung von gezielten, aufsuchenden Präventionsprojekten bei besonders gefährdeten Zielgruppen
- Verankerung der psychosozialen Notfallversorgung im Zivilschutz- und Katastrophenhilfegesetz
- Schaffung einer effektiven Methodenrestriktion, z. B. suizidpräventive bauliche Maßnahmen
- Entwicklung von Fort- und Weiterbildungsangeboten für ärztliche, hausärztliche, therapeutische und andere Berufsgruppen
- Förderung von Forschung im Bereich der Suizidprävention und Aufstockung des bestehenden Förderschwerpunkts Suizidprävention beim Bundesministerium für Gesundheit
- Sicherstellung einer bedarfsgerechten psychotherapeutischen, psychiatrischen, psychosozialen und palliativmedizinischen Versorgung
- Jährlicher Bericht über die Umsetzung der Maßnahmen aus der nationalen Strategie zur Suizidprävention
Die Debatte um die Sterbehilfe ist in Deutschland neu entfacht, seit das Bundesverfassungsgericht 2020 das seit 2015 bestehende Verbot der geschäftsmäßigen Sterbehilfe gekippt hat. Das Gericht begründete die Entscheidung damit, dass es das Recht des Einzelnen auf selbstbestimmtes Sterben verletzt sah. Dabei hat "geschäftsmäßig" nichts mit Geld zu tun, sondern bedeutet "auf Wiederholung angelegt".
Das wegweisende Urteil stößt eine Tür für organisierte Angebote auf – ausdrücklich auch mit Regulierungsmöglichkeiten wie Beratungspflichten oder Wartefristen. Im Jahr 2021 nahmen sich 9.215 Menschen das Leben, das sind etwa dreimal so viele Menschen, wie durch Straßenunfälle umkamen.
- Antrag "Suizidprävention stärken"
- Rundschreiben an die Unionsfraktion von Ansgar Heveling, Stephan Pilsinger, Hermann Gröhe, Elisabeth Winkelmeier-Becker, Thomas Rachel
- Mit Material der Nachrichtenagenturen dpa und AFP