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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Ampelkoalition Jetzt wird es unangenehm
Die Ampelkoalition will das Klimaschutzgesetz reformieren. Doch was das für entscheidende Details bedeutet, ist höchst umstritten.
Es dauerte nur wenige Minuten, bis klar wurde, dass eigentlich nichts so richtig klar war. Dabei hatte die Ampelkoalition vor ein paar Wochen fast dreißig Stunden lang im Koalitionsausschuss verhandelt. Sie einigte sich unter anderem auf eine Reform des Klimaschutzgesetzes. Doch als die Parteichefs kurz nach dem Ende des Marathons vor die Presse traten, konnte man sich fragen, ob sie wirklich über dieselbe Reform sprachen.
Muss auch künftig jeder Sektor dafür geradestehen, wenn er seine Klimaziele nicht erreicht? Also Minister Volker Wissing (FDP) für den Verkehr, Ministerin Klara Geywitz (SPD) für den Gebäudesektor und so weiter? Oder wird nun Wirklichkeit, was Grüne und Klimaschützer befürchten: Dass sich die größten Klimasünder noch besser verstecken können hinter einem großen Gesamtsparziel der Bundesregierung?
FDP-Chef Christian Lindner sagte dazu nach den Verhandlungen: "Die reine Sektor-Orientierung überwinden wir." Stattdessen gebe es "eine langfristige, sektorübergreifende Perspektive".
Grünen-Chefin Ricarda Lang sagte nur wenig später: "Klar ist, die Sektorziele bleiben bestehen als Prinzip des Klimaschutzgesetzes."
Ja, was denn nun?
Der Streit um das Klimaschutzgesetz ist nur einer von vielen in der Ampel. Doch er ist wichtig. Nicht nur, weil es darum geht, die Klimakrise zu bekämpfen, sondern auch, weil es darum geht, eine Koalitionskrise zu vermeiden. Die Grünen sind zunehmend ungehalten über ihre Partner, was SPD und FDP nicht einfach auf sich sitzen lassen.
Der heutige Montag wird die Debatte erneut befeuern. Der Expertenrat für Klimafragen der Bundesregierung wird bekannt geben, ob Deutschland seine Klimaziele im vergangenen Jahr eingehalten hat. Und er will sich zu den Reformplänen des Klimaschutzgesetzes äußern. Beides wird wohl unangenehm.
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"Generalangriff auf den Klimaschutz"
Es ist davon auszugehen, dass die Experten besonders den Verkehrssektor von Volker Wissing (FDP) kritisieren werden. Im August vergangenen Jahres hatten sie ein Sofortprogramm, das der Verkehrsminister nachreichen musste, als "schon im Ansatz ohne hinreichenden Anspruch" bezeichnet. Die Anstrengungen von Klara Geywitz (SPD) im Gebäudesektor bemängelten die Experten ebenfalls, aber deutlich milder.
Und als wäre das nicht genug Klimakritik für die Bundesregierung, könnte der Expertenrat an diesem Montag auch noch Unschönes über die geplante Reform des Klimaschutzgesetzes sagen. Das Gremium hat den Sektorzielen jedenfalls in früheren Expertisen eine "wichtige Funktion" zugesprochen, weil sie "die politische Verantwortung" der Klimaschutzziele "an ein zuständiges Ministerium" verweise.
Klimaschutzaktivisten protestieren ohnehin seit Wochen gegen die Reform. "Die geplante Abschaffung der jährlich kontrollierten und nachzusteuernden Sektorziele im Klimaschutzgesetz ist ein Generalangriff auf den Klimaschutz", sagt der Bundesgeschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, t-online.
"Sollte tatsächlich der Deutsche Bundestag eine solche Änderung beschließen, wäre dies das faktische Ende eines wirksamen Klimaschutzgesetzes", sagt Resch. "FDP-Minister Wissing könnte seine Politik gegen eine Verkehrswende und für die Straße unverändert weiterführen." Es sei deshalb "unverzichtbar", dass die Sektoren "zu jährlichen Emissionsminderungen verpflichtet" würden.
Was sind die Sektorziele noch wert?
Dass es auch im neuen Klimaschutzgesetz so etwas wie Sektorziele geben soll, scheint in der Ampel mittlerweile trotz aller Misstöne Konsens zu sein. Die Grünen werten das als Erfolg für sich, weil auch Kanzler Olaf Scholz (SPD) sie im Koalitionsausschuss am liebsten ganz streichen wollte. Die entscheidende Frage ist aber, was sie künftig noch wert sein sollen. Da gehen die Meinungen in der Koalition weit auseinander.
"Wir werden natürlich weiterhin schauen, in welchem Sektor wie viele Emissionen ausgestoßen werden", sagt der für das Klima zuständige FDP-Fraktionsvize Lukas Köhler t-online. "Aber künftig wird es keine jährlichen Sektorziele geben, die aktionistische Sofortprogramme auslösen. Stattdessen blicken wir vor allem in die Zukunft und steuern gegen, wenn zu erwarten ist, dass wir unser Gesamtziel sektorübergreifend nicht erreichen."
Grünen-Politikerin Lisa Badum, Chefin des Unterausschusses für internationale Klimapolitik, ist das zu vage. "Wir haben internationale Verpflichtungen, etwa aus der Lastenteilungsverordnung der EU, die die Emissionen in den Bereichen Gebäude und Verkehr reguliert", sagt sie.
"Dort gibt es nach wie vor jährliche Vorgaben für die deutschen Emissionen. Darüber können wir nicht einfach hinweggehen", sagt Badum. "Das muss weiterhin im Klimaschutzgesetz abgebildet sein, damit wir unsere Verpflichtungen einhalten."
Viel Raum für Interpretationen
Eine der entscheidenden Fragen ist, was künftig passiert, wenn die Bundesregierung ihre Klimaziele reißt. Wer muss dann wie viel beitragen zum neuen Einsparplan? Im Beschlusspapier zum Koalitionsausschuss steht dazu ein verschachtelter Satz, über den selbst Koalitionäre sagen, er lasse viel Raum für Interpretationen.
Der Satz lautet: "Alle für die Sektoren verantwortlichen Bundesministerien, insbesondere jene, in deren Zuständigkeitsbereich die Sektoren liegen, die die Zielverfehlung verursacht haben, haben zu den Maßnahmen der Minderung beizutragen."
Nur was heißt es genau, dass "insbesondere" die verantwortlichen Ministerien zur CO2-Minderung beizutragen haben? Wie viel müssen sie einsparen? Und wer entscheidet darüber?
Aus Sicht von FDP-Politiker Köhler muss die Ampel das dann aushandeln. "Wenn wir unsere Ziele zwei Jahre in Folge verfehlen, wird sich die Bundesregierung zusammensetzen und darüber beraten, an welcher Stelle es welche weiteren Maßnahmen braucht", sagt er. "Kein Ministerium wird dadurch aus der Verantwortung entlassen. Aber es trägt dem Fakt Rechnung, dass Einsparerfolge in einigen Sektoren einfacher und schneller zu erzielen sind als in anderen."
Grünen-Politikerin Badum ist wesentlich skeptischer. "Ich sehe noch nicht, wie die Verantwortlichkeit der einzelnen Ministerien in einem solchen Gesetz festgeschrieben werden kann", sagt sie. "Mir reicht es nicht, zu sagen, die ganze Regierung muss verhandeln, und dann sehen wir schon. Es braucht einen klaren Mechanismus, damit sich niemand aus der Verantwortung stehlen kann."
SPD will mehr Verbindlichkeit
So wirklich klar ist der Mechanismus dabei schon im bisherigen Gesetz nicht. Jedenfalls hat Verkehrsminister Wissing sein Sofortprogramm nach der Kritik des Expertenrats noch immer nicht nachgebessert. In den Verhandlungen mit Klimaminister Robert Habeck (Grüne) gibt es seit Monaten keine Bewegung.
Die Klimapolitiker in der SPD wollen genau da ansetzen. "Als selbstbewusster Parlamentarier fordere ich mehr Verbindlichkeit", sagt SPD-Fraktionsvize Matthias Miersch t-online. "Bisher hatte das Parlament keine Handhabe, wenn die Bundesregierung kein Klimaschutzsofortprogramm vorlegt und Fristen einfach verstreichen lässt. Wir müssen über zusätzliche Hebel für das Parlament reden."
Doch ob es wirklich dazu kommt? Bei den Grünen jedenfalls haben sie so gar keine Eile bei dieser Reform. Einige deuten an, sich nicht mit faulen Kompromissen abspeisen zu lassen. Am Ende, heißt es dort, müssten die Grünen für das Gesetz im Bundestag ihre Hand heben. Sonst bleibt alles, wie es ist.
- Eigene Recherchen und Gespräche
- Ergebnispapier des Koalitionsausschusses am 28. März 2023
- tagesschau.de: Expertenrat kritisiert lückenhafte Klimapläne
- expertenrat-klima.de: Prüfbericht zur Berechnung der deutschen Treibhausgasemissionen für das Jahr 2021
- zeit.de: Olaf Scholz wollte Sektorziele beim Klimaschutz abschaffen
- youtube.de: Koalitionsausschuss: Pressekonferenz zu den Ergebnissen mit den Ampel-Spitzen