Die subjektive Sicht des Autors auf das Thema. Niemand muss diese Meinung übernehmen, aber sie kann zum Nachdenken anregen.
Was Meinungen von Nachrichten unterscheidet.Proteste in Lützerath Das geht gar nicht
Sollte man Kinder zu Demonstrationen mitnehmen, wie es Eltern bei der Räumung des Dorfs Lützerath tun? Die Antwort ist gar nicht so einfach, aber es gibt eine klare Grenze.
Wie schnell Demonstrationen gefährlich werden können, habe ich 2017 auf dem G20-Gipfel in Hamburg erlebt. Als Reporterin beobachtete ich ein Aufeinandertreffen von Einsatzkräften der Polizei und Demonstranten, das zunächst friedlich verlief. Plötzlich eskalierte die Lage. Binnen Sekunden fand ich mich inmitten des Konflikts flachgedrückt mit dem Rücken zur Hauswand und ohne Möglichkeit des Entkommens wieder; von links stürmten Polizisten, von rechts gewaltbereite Randalierer. Nur mein sichtbar um den Hals getragener Presseausweis bewahrte mich damals vor Schlimmeren – und sicherlich auch eine Portion Glück.
Auch angesichts dieser eigenen bedrohlichen Erfahrungen befremdet es mich, wenn ich sehe, dass in Lützerath Umweltaktivisten mit ihren Kindern demonstrieren, während die Polizei das Gelände räumt. Genauso irritierend finde ich Bilder, die Minderjährige auf "Querdenker"-Demos zeigen, bei denen es zu Zusammenstößen mit der Staatsgewalt kam.
- Newsblog: So verläuft die Räumung von Lützerath
Und das sage ich als jemand, der als Kind der Siebzigerjahre mit einer gewissen Protestkultur groß geworden ist. Meine Eltern nahmen mich zwecks politischer Bildung auf alle möglichen Veranstaltungen mit, darunter auch Demonstrationen. Eine meiner frühesten Erinnerungen daran ist, dass ich wissen wollte, warum denn alle "Weg mit dem Papa-Graf 218" riefen. Mir wurde erklärt, dass das alles nichts mit "Papas" zu tun habe, sondern um ein Gesetz gehe, das Frauen die Möglichkeit nehme, selbst über ihren Körper zu entscheiden. (Heute weiß ich, dass darin auch – werdende – Papas involviert sind, aber das ist eine andere Geschichte).
Ich verteilte selbst Flugblätter
Ein anderes Mal verteilte ich selbst Flugblätter mit Boykottaufrufen gegen importierte Waren aus Südafrika, wo damals ein Apartheidregime herrschte. Ein Passantenpaar fragte mich, ob ich wisse, wofür ich da auf der Straße stehe. Sie waren offenbar der Ansicht, hier werde ein Kind instrumentalisiert.
Natürlich steckt immer die Gefahr der Vereinnahmung darin, wenn Eltern ihre Kinder zu politischen Veranstaltungen mitnehmen. Andererseits ist kein Mensch eine Insel. Ich finde es legitim, wenn Eltern auf verschiedene Weise die Werte vermitteln, die ihnen selbst wichtig erscheinen. Dazu kann auch der Besuch von Demonstrationen gehören.
Die Instrumentalisierung beginnt da, wo den Kindern kein Raum mehr für die Entwicklung einer eigenen Meinung gelassen wird. Kluge Eltern sind bemüht, die Argumente beider Seiten darzustellen, bevor sie erläutern, warum sie sich für eine davon entschieden haben. Egal, wo man steht: In einer Demokratie sind die Dinge selten schwarz oder weiß, sondern haben viele Schattierungen. Zu ihr gehört es auch, um Werte und Deutungshoheiten zu ringen, privat wie öffentlich.
Nichts rechtfertigt die Gefährdung von Kindern
Die rote Linie ist eine andere: Sie verläuft dort, wo Kinder in Gefahr geraten könnten. Das ist bei jeder Demonstration der Fall, bei der eine Auseinandersetzung mit der Polizei zu erwarten ist. So wie bei unangemeldeten "Querdenker"-Veranstaltungen. So wie rund um den 1. Mai in Berlin. Oder wie jetzt bei der Räumung in Lützerath.
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Nichts, aber auch gar nichts rechtfertigt es, die Gesundheit von Schutzbefohlenen zu riskieren. Kein vermeintlich hehres Ziel, keine Lektion des Lebens, kein Abenteuerkick. Vom Versuch, Kinder als eine Art "Schutzschild" zu missbrauchen (wozu manche "Querdenker" vor Demos in Telegram-Gruppen aufriefen), ganz zu schweigen. Wer solche Situationen in Kauf nimmt, beweist nur seine eigene Verblendung.
Auch bei friedlichen Demonstrationen, die plötzlich außer Kontrolle geraten, kann es nur eine Devise für Eltern geben: so schnell wie möglich den Ort verlassen. Oder gar nicht erst hingehen.
- Eigene Recherchen