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Linken verteidigen Klimaaktivisten: Gregor Gysis Spiel mit dem Feuer


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Die Linke im Wandel
Gregor Gysis neue Karriere


Aktualisiert am 20.12.2022Lesedauer: 5 Min.
Gregor Gysi: Der Linken-Politiker setzt einen neuen Fokus in seiner Arbeit.Vergrößern des Bildes
Gregor Gysi: Der Linken-Politiker setzt einen neuen Fokus in seiner Arbeit. (Quelle: Imago/Collage: Heike Aßmann)

Fast die gesamte Bundespolitik distanziert sich von der "Letzten Generation". Nur eine Partei tritt für sie ein – in Hafträumen, bei Gericht und in der Presse. Mit Erfolg?

Distanzierung, Ablehnung, Verurteilung – mit diesem Rezept reagiert die Bundespolitik seit Monaten zuverlässig auf die Aktionen der "Letzten Generation". Von "Klimachaoten" oder "Klimaterroristen" ist bei Union und FDP die Rede. Und sogar die Grünen gehen auf Distanz.

Als "kontraproduktiv, anmaßend und potenziell gefährlich" geißelte Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz die Aktionen der "Letzten Generation". Und Klimaminister Robert Habeck warnte: "Hier erleben wir eine Radikalisierung der Wenigen."

Nur die Linke unterstützt die "Letzte Generation"

Verständnis für das Anliegen, den Klimaschutz? Ja, natürlich. Aber für die Protestform des zivilen Ungehorsams, für das Ankleben auf Asphalt? Bloß nicht – darauf achtet auch die Grünen-Spitze sehr genau. Immerhin sind Umfragen zufolge 90 Prozent der Bevölkerung gegen die Aktionen der "Letzten Generation". Zu viel Nähe kann da nur schaden, so geht wohl die einfache Rechnung in den Parteien.

Von einer Partei aber erhalten die Klimaaktivisten ungeachtet aller Umfragen Unterstützung: Die Linke verzichtet auf Distanzierung und Verdammung. Sie verteidigt die "Letzte Generation" im Bundestag, in Gerichtssälen und besucht sie in Justizvollzugsanstalten.

Was treibt die Linken-Politiker dabei an? Versucht die Partei gerade, den Grünen den Titel als Klimapartei streitig zu machen? Und hat das Aussicht auf Erfolg – oder könnte es der Partei sogar schaden?

Gysi als Verteidiger vor Gericht und Briefeschreiber

Der lauteste und prominenteste Verteidiger der "Letzten Generation" ist Linken-Urgestein Gregor Gysi. Der Bundestagsabgeordnete hat gerade einen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) verfasst und ihn dazu aufgefordert, sich mit den Aktivisten an einen Tisch zu setzen. Der Kanzler solle mit der Umweltministerin die Klimapolitik der Ampel erklären, forderte er darin. "Wenn man mit den Aktivistinnen und Aktivisten spricht, wenn die sich ernst genommen fühlen, kann man sie vielleicht auch von Arten des Protests wegbringen, die viele nerven", sagte Gysi der "Berliner Zeitung".

Gysi, der auch Rechtsanwalt ist, hat sich mit ihnen bereits an einen Tisch gesetzt. Im Anschluss übernahm er im November die Verteidigung für einen 24 Jahre alten Aktivisten der "Letzten Generation". Der hatte dreimal mit der "Letzten Generation" Straßen blockiert, sich dabei einmal am Asphalt festgeklebt und war in einen Vorraum des Bundesjustizministeriums eingedrungen, um dort zu protestieren. Die Vorwürfe: Nötigung, Widerstand gegen Polizisten und Hausfriedensbruch.

Gysi forderte vom Richter einen Freispruch. Der Staat sei zum Klimaschutz sowie zum Schutz von Lebensgrundlagen verpflichtet. Sitzblockaden und Festkleben hingegen seien nicht zwangsweise Gewalt, argumentierte Gysi. Tatsächlich ist die Rechtslage zu zivilem Ungehorsam hochkomplex, immer wieder sind Aktivisten auch freigesprochen worden.

Gysis Hauptantrieb für die Verteidigung der "Letzten Generation" aber ist ein anderer – und den erklärte er im Gerichtssaal sowie in der Pause des Verfahrens selbst: Die Aktionen der "Letzten Generation" zeigten einen Generationenkonflikt auf, so Gysi – und den "moderieren wir grottenschlecht".

Am Ende scheiterte er zwar mit seinem Vorhaben, einen Freispruch zu erwirken, der Richter verhängte 90 Tagessätze à 15 Euro gegen den Angeklagten. Gysi aber kündigte an, in Berufung zu gehen: Im Zweifel will er bis vor das Bundesverfassungsgericht ziehen.

Ungleiche Konfliktparteien, alt gegen jung, mächtig gegen verletzlich, Staat gegen Bürger – mindestens so stark wie der Klimaschutz scheinen Fragen der Gerechtigkeit Gysi dazu zu treiben, sich in die Debatte einzuschalten.

Linke besuchen Aktivisten in der JVA

Ähnliche Gründe führt Nicole Gohlke an. Die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken stammt aus München und hat dort mehrere Aktivisten der "Letzten Generation" in Justizvollzugsanstalten besucht. Im CSU-regierten Süden sind die Befugnisse der Polizei besonders groß und ihr Vorgehen gegen die "Letzte Generation" besonders hart.

Dutzende Aktivisten von der "Letzten Generation" und "Scientist Rebellion" saßen und sitzen dort in Präventivhaft – vorsorglich eingesperrt, zum Teil für mehrere Wochen. Gemeinsam mit der bayerischen Linken-Landesvorsitzenden Adelheid Rupp und einer Journalistin der Münchner "Abendzeitung" besuchte Gohlke drei von ihnen in Haft.

Die 47 Jahre alte Gohlke kennt den Protest auf der Straße gut – und das persönliche Risiko, das man dabei eingeht. Schon als Schülerin hat sie gegen Krieg und Rassismus demonstriert, später ging sie mit den Globalisierungsgegnern von Attac auf die Straße.

Weil sie 2015 bei einer Versammlung gegen den "Islamischen Staat" die verbotene Flagge der Kurdischen Arbeiterpartei (PKK) trug, wurde ihre Immunität aufgehoben, die Diskussion um ein PKK-Verbot brandete bei der Diskussion im Bundestag auf. Medien berichteten bundesweit über die vergleichsweise unbekannte Parlamentarierin. Vor Gericht erhielt Gohlke am Ende nur eine Verwarnung.

Man könne darüber streiten, welche Protestformen angemessen seien, betont Gohlke im Gespräch mit t-online. Sie selbst würde eher vor dem Kanzleramt oder vor Privatjetstellplätzen demonstrieren. "Aber für mich ist völlig unverständlich, mit welcher Aggressivität die 'Letzte Generation' von Teilen der Politik und der Medien angegangen wird."

Parteichef attackiert die Grünen

Gysis und Gohlkes Einsatz deckt sich mit den Zielen der Parteiführung. Auch Martin Schirdewan, seit Sommer Co-Vorsitzender der Linken, sieht den Kampf um Klimaschutz als ein großes Gerechtigkeitsthema.

Er bezeichnet die Ziele der "Letzten Generation" im Gespräch mit t-online als ein "mehr als berechtigtes Anliegen". Die Welt steuere auf eine Klimakatastrophe zu, die Regierung aber bleibe völlig untätig. Darauf mache die "Letzte Generation" eben aufmerksam.

Im Gegensatz zu den Spitzen anderer Parteien sieht Schirdewan Sitzblockaden dabei als "legitime Protestform", zivilen Widerstand bezeichnet er als wichtig. Und Schirdewan attackiert offensiv die Grünen: "Die Diskreditierung der 'Letzten Generation' durch die Grünen" könne er sich nur "mit dem Marsch der Partei durch die Institutionen" erklären.

Seite an Seite gingen die Grünen da mit "Konservativen und Springer-Presse", findet Schirdewan. "Da zeigt sich ein extrem obrigkeitsstaatliches Denken. Die Grünen haben sich weit von der Klimabewegung entfernt."

Die Lücke, die die Grünen lassen, will Schirdewan offensichtlich füllen. Ziel der Linken sei eine konsequente Klimapolitik, dafür notwendig sei ein grundlegender Systemwandel, so Schirdewan. "Die inhaltlichen Anliegen der 'Letzten Generation' und unsere politischen Forderungen sind sich sehr nah."

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Experte: "Teile der Basis werden protestieren"

Doch ist das ein parteipolitisch kluger Schachzug? Immerhin kämpft die Linke intern gerade intensiv um Einigkeit, in Umfragen dümpelt sie bei einer Zustimmung zwischen vier und sechs Prozent Zustimmung dahin. Kann das neue Alleinstellungsmerkmal, das Eintreten für die in der Öffentlichkeit so umstrittenen Klimaschutz-Proteste, da wirklich helfen?

Parteienforscher Uwe Jun bezweifelt das. Zwar glaubt er nicht, dass die aktuelle Linie der Linken der Partei schaden wird. Als Partei am linken Rand des politischen Spektrums könne sie sich ein Eintreten für radikale Protestformen durchaus erlauben – im Gegensatz zu den Grünen, die verstärkt auf die Mitte der Gesellschaft setzten und auch bei der nächsten Wahl einen Kanzlerkandidaten stellen wollten.

Allerdings hat die Linke aus Sicht des Trierer Professors ein Legitimationsproblem: Der Markenkern der Linken sei nach wie vor der einer Partei der sozialen Gleichheit. "Es wird dauern, bis bei den Wählern ankommt: Die stehen jetzt auch für Klimaschutz", sagt Jun t-online.

Jun sieht außerdem durch die aktuelle Positionierung eine nicht geringe Gefahr für den inneren Zusammenhalt der Linken: "Teile der Basis – wie der Wagenknecht-Flügel – werden gegen den Klimaschutz als primären Fokus protestieren."

Der linkskonservative Flügel rund um Sahra Wagenknecht ist in der Linken mächtig. Die Gründung einer neuen Partei unter ihrer Führung wird seit Wochen öffentlich debattiert, Wagenknecht räumt die Spekulation nicht nachhaltig aus. Diesem Teil der Partei ist die Spezialisierung auf jüngere Themen wie den Klimaschutz und Gendergerechtigkeit seit Längerem ein Dorn im Auge.

Wandern Teile der Partei ab, vor allem Mitglieder der Fraktion, steht für die Linke viel auf dem Spiel – zum Beispiel die Möglichkeit, eine Fraktion zu bilden und entsprechend Geld zu erhalten. "Das kann die Linke sich nicht leisten", sagt Jun.

Die Positionierung zur "Letzten Generation", sie bleibt für die Linke so vor allem aus internen Gründen ein Spiel mit dem Feuer.

Verwendete Quellen
  • Eigene Recherchen
  • Gespräch mit Martin Schirdewan
  • Gespräch mit Nicole Gohlke
  • Gespräch mit Uwe Jun
  • Anfrage an Gregor Gysi
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