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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Behördenchaos Verfassungsschutz darf nicht vor Extremisten warnen
Bei der Razzia gegen "Reichsbürger" fanden Polizisten auch Waffen. Häufig besitzen die Extremisten sie sogar legal. Wie kann das sein?
Es ist wie immer in der Politik: Ein Ereignis sorgt für Aufsehen – und es folgt Aktionismus. Politiker fordern dann wahlweise Gesetzesänderungen, ein härteres Durchgreifen der Behörden oder kritisieren den bisherigen Umgang mit den Gesetzen.
Der Grund für den Aktionismus ist dieses Mal die Razzia, bei der 3.000 Beamte mehr als 50 Orte durchsuchten, die mit "Reichsbürgern" in Verbindung gebracht werden. Mehr als 20 "Reichsbürger" wurden festgenommen. Sie planten angeblich den Umsturz des Systems und waren bewaffnet. Teilweise hatten sie sogar einen Waffenschein oder eine Waffenbesitzkarte – waffenrechtliche Erlaubnis nennt sich so etwas in Behördendeutsch.
Wie kann das sein? Worin sich fast alle Politiker nun einig sind: Dass Menschen, von denen eine Terrorgefahr ausgeht, eine waffenrechtliche Erlaubnis haben, darf nicht sein.
Die aktuelle Diskussion zeigt allerdings auch, dass viele, die sich jetzt munter an der Debatte beteiligen, das Waffengesetz nicht ausreichend kennen oder es nicht verstanden haben. Was vermutlich nicht zuletzt daran liegt, dass das Waffenrecht über Jahrzehnte immer komplizierter geworden ist. Mehr als 400 verschiedene Behörden sind bundesweit für die Vergabe von waffenrechtlichen Erlaubnissen verantwortlich.
Die Prüfungen sind aufwendig. Dennoch dürfen die Behörden teilweise nicht untereinander über einen Anwärter kommunizieren – so gehen wichtige Informationen verloren. Nun offenbaren t-online-Recherchen ein weiteres gravierendes Problem: Der Verfassungsschutz darf den zuständigen Waffenbehörden viele Erkenntnisse zu Extremisten gar nicht mitteilen.
Das hat eine exklusive Umfrage von t-online bei den 16 Innenministerien der Länder ergeben. Zehn Behörden haben bislang geantwortet. Und der Tenor ist nahezu überall der gleiche: Das jeweilige Verfassungsschutzgesetz erlaubt es nicht, geheime Informationen weiterzugeben. So verteilt der Staat auch Waffenerlaubnisse an Personen, von denen er eigentlich weiß, dass sie diese nicht besitzen dürften.
Nur wer zuverlässig ist, bekommt eine Erlaubnis
Denn Zuverlässigkeit ist ein zentrales Wort im Waffengesetz. Wer in Deutschland eine Waffe führen oder besitzen will, muss die "erforderliche Zuverlässigkeit" besitzen. Als nicht zuverlässig gilt unter anderem, wer in den vergangenen zehn Jahren rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt wurde. Oder wenn es Anhaltspunkte dafür gibt, dass er Waffen oder Munition "missbräuchlich verwenden" könnte.
Ein weiterer Punkt, weshalb Behörden "Reichsbürgern" eine waffenrechtliche Erlaubnis versagen könnten: Im Gesetz steht unzweifelhaft, dass Menschen nicht zuverlässig sind, wenn sie in "Bestrebungen" aktiv sind, die "gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind". Und: "gegen den Gedanken der Völkerverständigung."
Diese Kriterien müssen bei der Erteilung der Erlaubnis und anschließend alle fünf Jahre überprüft werden. Es ist davon auszugehen, dass "Reichsbürger" sie nicht erfüllen. Sie dürften also gar keine waffenrechtliche Erlaubnis bekommen – oder sie müsste ihnen entzogen werden.
Die Regelung sei "aber wirkungslos, wenn die Verfassungsschutzbehörden und Staatsschutzdienststellen ihr Wissen nicht mit den Waffenbehörden teilen", sagt der Waffenrechtsexperte Lars Winkelsdorf t-online. Er kritisiert, dass es extreme Hürden in der Kommunikation zwischen den zuständigen Behörden gebe.
Mehr als 400 Waffenbehörden in Deutschland
Für die Vergabe der waffenrechtlichen Erlaubnisse sind die Waffenbehörden zuständig. Diese sind häufig bei den Landkreisen oder kreisfreien Städten angesiedelt. Und weil jede Stadt und jeder Kreis in der Regel eine eigene hat, gibt es mehr als 400 Waffenbehörden. Bei jedem Antrag müssen diese den Anwärter überprüfen, die Polizei um Erkenntnisse bitten, einen Auszug aus dem Bundeszentralregister einholen und auch den Verfassungsschutz anfragen.
Wenn der Verfassungsschutz weiß, dass es sich bei einem Anwärter um einen "Reichsbürger" handelt, sollte er diese Erkenntnisse weitergeben. Weil ja offensichtlich ist, dass von der Person eine Gefahr ausgehen könnte. Doch der Verfassungsschutz darf es in vielen Fällen nicht.
Das wiederum liegt daran, dass jedes Bundesland ein eigenes Verfassungsschutzgesetz hat. Darin ist unter anderem geregelt, wann der Geheimdienst geheime Informationen an andere Behörden weitergeben darf. In Schleswig-Holstein etwa ist festgelegt, dass der Verfassungsschutz nur dann an der Überprüfung von Personen mitwirken darf, wenn sie zum Beispiel "in sicherheitsempfindlichen Stellen" eingesetzt werden sollen. Dazu zählen die Leibwächter des Ministerpräsidenten.
Das heißt: Selbst wenn der Geheimdienst weiß, dass eine Person, die eine Erlaubnis bei der Waffenbehörde beantragt, ein "Reichsbürger" ist, darf er es der Waffenbehörde nicht sagen. Zumindest nicht, wenn die Information geheim ist.
Was ist eine geheime Information und was nicht? Wenn ein "Reichsbürger" auf Facebook seine Gesinnung zur Schau trägt, darf der Verfassungsschutz diese Information weitergeben. Aber wenn ein "Reichsbürger" bislang nur auf geheimen Treffen der Szene vom Umsturz träumte und der Verfassungsschutz das nur durchs Abhören weiß, darf er dieses Wissen nicht teilen.
Geheime Informationen, die durch "nachrichtendienstliche Maßnahmen" gewonnen werden, sind in der Regel für die Waffenbehörde zwar relevanter als öffentlich zugängliche. Doch sie erreichen die Stelle eben häufig nicht. Waffenexperte Winkelsdorf sagt, diese Regelung sei so, als ob ein Antragssteller einfach ankreuzen könne, ob er Rechtsextremist sei oder nicht. "Beim derzeitigen Waffenrechtsvollzug kommt dies im Ergebnis auf das Gleiche hinaus."
Manchmal begeben sich die Verfassungsschutzbehörden noch einmal gezielt auf die Suche nach "offenen" Erkenntnissen, wenn sie aus geheimen Quellen wissen, dass ein Anwärter besonders problematisch ist. Damit sie die Waffenbehörden trotzdem warnen können. Das ist aber nur eine rechtliche Krücke und löst das Kernproblem nicht.
Experte fordert zentrale Waffenbehörde
Wenn Politiker jetzt also Änderungen des Waffenrechts fordern, geht das am Kern des Problems vorbei. Zielgenauer wäre es, den Informationsfluss zwischen den Behörden in den 16 Verfassungsschutzgesetzen der Länder zu präzisieren. Solange diese nicht geändert werden, können Extremisten weiterhin legal an Waffen kommen.
16 Gesetze zu ändern, ist in der Regel aber alles andere als einfach. Deshalb schlägt Experte Winkelsdorf eine zentrale bundesweite Waffenbehörde vor: "Die könnte dann auch tatsächlich selbst nachrichtendienstliche Befugnisse erhalten, um einen reibungslosen Informationsaustausch gewährleisten zu können." Schließlich habe das Bundesinnenministerium selbst festgestellt, so wie bisher gehe es nicht weiter.
- t-online-Anfrage an 16 Landesinnenministerien
- Landes-Verfassungsschutzgesetze, hier als Beispiel das Schleswig-Holsteinische