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"Russland hat keines seiner Kriegsziele erreicht": Olaf Scholz nach Putin-Telefonat


Interview
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Der Gesprächspartner muss auf jede unserer Fragen antworten. Anschließend bekommt er seine Antworten vorgelegt und kann sie autorisieren.

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Interview mit Kanzler Olaf Scholz
"Russland hat keines seiner Kriegsziele erreicht"


Aktualisiert am 15.05.2022Lesedauer: 12 Min.
Bundeskanzler Olaf Scholz sagt im exklusiven t-online-Interview, was er vom russischen Präsidenten Putin erwartet.Vergrößern des Bildes
Bundeskanzler Olaf Scholz sagt im exklusiven t-online-Interview, was er vom russischen Präsidenten Putin erwartet. (Quelle: Urban Zintel für/t-online)
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Kanzler Olaf Scholz spricht im großen t-online-Interview über sein jüngstes Telefonat mit Wladimir Putin, weitere Entlastungen für die Bürger, den Zustand der Koalition – und seine Forderungen an Gerhard Schröder.

Olaf Scholz macht einen aufgeräumten, fast entspannten Eindruck, als er zum Gespräch in sein großes, recht nüchternes Amtszimmer bittet. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba ist gerade in der Nähe, später muss Scholz noch ein wichtiges Telefonat führen. Aber Stress? Nein, davon ist trotz der dramatischen Weltlage wenig bis nichts zu spüren.

Geduldig ist Scholz zuvor den Bitten des Fotografen gefolgt – und mit demonstrativer Ruhe stellt er sich nun den Fragen.

t-online: Herr Bundeskanzler, wann fahren Sie nach Kiew?

Olaf Scholz: Erst mal bin ich sehr froh, dass es ein klärendes Gespräch zwischen Präsident Selenskyj und dem Bundespräsidenten gegeben hat. Damit ist die Sache erledigt. Und es ist gut, dass sowohl die Bundestagspräsidentin als auch die Außenministerin in der vergangenen Woche in Kiew gewesen sind. Ich habe mit Wolodymyr Selenskyj in Brüssel, Kiew und München gesprochen und viele Male telefoniert, zuletzt am Mittwoch.

Das beantwortet die Frage nicht. Ihr letzter Besuch fand vor Beginn des Krieges statt. Warum verweigern Sie der Ukraine jetzt einen Besuch?

Ein politisch Verantwortlicher sollte vor allem nach Kiew fahren, wenn es konkrete Dinge gibt, die unbedingt vor Ort besprochen werden müssen. Unsere Unterstützung für die Ukraine bleibt auf alle Fälle groß.

Der ukrainische Botschafter Andrij Melnyk hat Sie eine "beleidigte Leberwurst" genannt, weil Sie den Eindruck erwecken, nicht nach Kiew fahren zu wollen. Können Sie als Bundeskanzler so eine heftige Kritik einfach hinnehmen?

Ach, das überlasse ich gerne Ihrer Beurteilung.

Wir wüssten gern Ihre Meinung.

Die Ukraine befindet sich seit Wochen im Krieg. Da muss man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen. Wichtig ist, dass wir uns auf das Wesentliche konzentrieren: Wir wollen mithelfen, dass sich die Ukraine verteidigen kann. Und gemeinsam mit unseren Verbündeten wollen wir Russland dazu bringen, dass es die Waffen schweigen lässt und seine Truppen aus der Ukraine zurückzieht. Deshalb haben wir umfangreiche Sanktionen verhängt.

Momentan scheinen die Sanktionen aber nicht viel zu bewirken.

Ihr Eindruck täuscht. Die Sanktionen zeigen ganz erhebliche Wirkungen. Die russische Wirtschaft hat darunter massiv zu leiden, ihre Entwicklungschancen sind stark beeinträchtigt.

Sie haben am Freitag mit Wladimir Putin telefoniert. Erkennen Sie bei ihm einen Sinneswandel?

Nein. Dabei ist klar: Russland hat keines seiner zu Beginn genannten Kriegsziele erreicht. Die Ukraine ist nicht erobert worden, sondern verteidigt sich mit viel Geschick, Mut und Aufopferungswillen. Die Nato hat sich nicht zurückgezogen, sondern ihre Kräfte an der östlichen Flanke des Bündnisses sogar verstärkt. Und die Allianz wird noch stärker, wenn Finnland und Schweden der Nato beitreten. Das russische Militär selbst hat erhebliche Verluste erlitten, weit mehr als in den zehn Jahren des Afghanistan-Feldzugs der Sowjetunion. Langsam sollte Putin klar werden, dass ein Ausweg aus dieser Situation nur über eine Verständigung mit der Ukraine führt.

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Aber wie soll diese Verständigung denn aussehen? Für einen russischen Präsidenten ist es zwar leichter zu kaschieren, dass er seine Ziele nicht erreicht hat, als für einen Bundeskanzler in einer demokratischen Öffentlichkeit. Aber einfach ist es doch trotzdem nicht.

Russland muss irgendwann verstehen: Die einzig plausible Möglichkeit, dass die Sanktionen irgendwann beendet werden, ist eine Vereinbarung mit der Ukraine – und die kann kein Diktatfrieden sein.

Heißt das, die Grenzen aus der Zeit vor der Krim-Annexion 2014 müssen wiederhergestellt werden, so wie es der ukrainische Präsident Selenskyj fordert?

Ich fordere, dass Putin seine Truppen wieder zurückzieht. Ansonsten gilt ein klares Prinzip: Die Ukraine entscheidet über diese Fragen. Wir können nicht stellvertretend für sie verhandeln, weder in die eine noch die andere Richtung.

Das bedeutet also: Bis es irgendwann so weit ist, macht Deutschland mit seinen Partnern weiter wie bisher, liefert immer mehr Waffen, verhängt immer schärfere Sanktionen?

Ja, wir werden weitermachen. Auch mit Sanktionen. Weil es unser Ziel ist, dass der russische Invasionsversuch scheitert. Das ist der Maßstab für unser Handeln.

Hatten Sie bei Ihrem Telefonat am Freitag den Eindruck, dass Putin solchen Argumenten mittlerweile zugänglich ist?

Das weiß ich nicht. Russland hat sich jedenfalls in eine dramatische Lage manövriert. Wir sehen doch gerade, wohin ökonomische Isolation führt. Der russische Präsident muss verstehen: Seinem Land ist die Möglichkeit, vom Fortschritt der Welt zu profitieren, so lange verbaut, bis es echten Frieden gibt.

Haben Sie ihm das so gesagt?

Ich werde hier keine Details ausplaudern, aber ganz grundsätzlich kann ich sagen: Solche Gespräche ergeben nur dann Sinn, wenn man nicht drumherum redet.

Sie reden also Klartext mit Putin.

Ja, und der russische Präsident übrigens auch.

Wie groß ist die Gefahr, dass er Atomwaffen einsetzt?

Darüber zu spekulieren, macht keinen Sinn. Aber wir dürfen die Sorge von vielen Bürgerinnen und Bürgern nicht einfach abtun. Wir werden jedenfalls keine Entscheidung treffen, die zu einer direkten Konfrontation zwischen der Nato und Russland führen könnte.

Glauben Sie eigentlich, dass Putin noch rational handelt?

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Ergibt sein Handeln Sinn? Natürlich nicht! Für Putins wahnwitzige Idee, das russische Imperium vergrößern zu wollen, zahlen Russland und die ganze Welt gerade einen sehr hohen Preis. Viele Länder leiden darunter, dass die Ukraine als einer der Hauptlieferanten von Getreide ausfällt. Da geht es um echten Hunger – nicht wie bei uns nur darum, ob ausreichend Sonnenblumenöl in den Supermarktregalen steht.

Im Herbst findet der G20-Gipfel statt. Der Gastgeber Indonesien hat auch Putin eingeladen. Fahren Sie hin, wenn er kommt?

Indonesien hat auch den ukrainischen Präsidenten eingeladen. Diese Einladung Selenskyjs ist ein starkes Signal, das ich sehr begrüße. Alles Weitere wird zu gegebener Zeit zu entscheiden sein.

Die Ukraine will in die Europäische Union – und zwar möglichst schnell. Ihr Parteichef Lars Klingbeil will dem Land den Status als Beitrittskandidat geben. Sie auch?

Es gibt klare Kriterien für den Beitritt zur EU: eine stabile Demokratie, die Gewährleistung von Rechtsstaatlichkeit und eine funktionierende soziale Marktwirtschaft. Dieser Rahmen gilt. Übrigens: Wir haben Zusagen an die Länder des westlichen Balkans gemacht, dass sie bald Mitglieder der EU werden können. Viele von ihnen haben über Jahre hart auf dieses Ziel hingearbeitet – und wurden bislang enttäuscht.

Sie meinen vor allem Nordmazedonien?

Nicht nur, aber auch. Zumindest ist der Mut des früheren Regierungschefs von Nordmazedonien, für einen EU-Beitritt sogar über den Namen des eigenen Landes mit Griechenland zu verhandeln, nicht angemessen honoriert worden. Je eher es uns gelingt, unsere seit Langem gemachten Versprechen gegenüber den Ländern des westlichen Balkans einzuhalten, desto glaubwürdiger sind wir als EU gegenüber allen Beitrittsaspiranten.

Und was ist mit der Ukraine?

Natürlich werden wir die Ukraine auf ihrem europäischen Weg begleiten. Das hat der Europäische Rat in Versailles gerade bekräftigt.

Wir fassen zusammen: Erst darf der westliche Balkan in die EU, dann vielleicht auch die Ukraine.

Es geht darum, dass die Kriterien für Beitritte nicht verwässert werden. Das ist deshalb so wichtig, weil wir ja unter aktuellen Mitgliedern auch immer wieder darüber diskutieren, ob alle unsere Regeln immer beachten. Deshalb muss es umso klarer sein, dass ein Land EU-Mitglied werden kann, wenn es dauerhaft eine liberale Demokratie ist und Rechtsstaatlichkeit und soziale Marktwirtschaft garantieren kann.

Viele Bürger fragen sich, ob sie als Folge des Krieges im nächsten Winter frieren müssen. Ist die Angst berechtigt?

Die Bundesregierung ist von Tag eins damit beschäftigt, alles zu unternehmen, damit es nicht so weit kommt. Von russischen Kohle- und Erdöl-Importen machen wir uns in diesem Jahr unabhängig und tun dabei alles, um die Arbeitsplätze in Schwedt und Leuna zu erhalten. Bei Erdgas ist das schwieriger – auch weil wir innerhalb kürzester Zeit mehrere neue Flüssiggas-Terminals errichten müssen, das sind große, milliardenschwere Infrastrukturprojekte. Das geht nicht über Nacht.

Flüssiggas ist deutlich teurer als russisches Gas. Wir müssen uns deshalb auf höhere Energiepreise einstellen. Gibt es die Energiepauschale in Höhe von 300 Euro also künftig jedes Jahr?

Die Koalition hat allein in den ersten fünf Monaten dieses Jahres zwei Entlastungspakete für die Bürgerinnen und Bürger auf den Weg gebracht, alles in allem im Umfang von 30 Milliarden Euro. Daran merken Sie, dass uns die Frage nicht kalt lässt, wie sie mit den steigenden Preisen zurechtkommen.

Die Inflation ist so hoch wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Sie werden vermutlich keine Forderungen an die Europäische Zentralbank formulieren …

… korrekt.

Was will Ihre Regierung sonst noch gegen die Inflation tun?

Die gestiegenen Lebensmittel- und Energiepreise haben bisher vor allem etwas mit den weltwirtschaftlichen Entwicklungen zu tun. Wie gesagt haben wir darauf mit Entlastungspaketen reagiert. Übrigens zeigt sich angesichts der steigenden Preise einmal mehr, wie wichtig es ist, dass Arbeit immer gut bezahlt wird.

Die Gewerkschaften fordern nun deutliche Erhöhungen bei Löhnen und Gehältern. Fürchten Sie eine Lohn-Preis-Spirale, bei der stark steigende Gehälter zu noch mehr Inflation führen, die dann wieder in noch höheren Tarifforderungen mündet?

Die Sozialpartnerschaft hat uns in die Lage versetzt, mit makroökonomischen Herausforderungen immer gut umzugehen. Deshalb bin ich ein großer Fan dieser Partnerschaft.

Sie wollen die Bürger ab Juni durch das Neun-Euro-Ticket für den Nahverkehr und einen Tankrabatt entlasten. Falls beide Maßnahmen ein Erfolg werden sollten: Bleiben sie dann dauerhaft?

Erst mal hoffe ich, dass sie große Erfolge werden.

Die Erfahrung lehrt aber doch, dass es in der Politik leichter ist, den Bürgern etwas zu geben als wegzunehmen.

Ich bin froh, dass wir uns zu diesen Schritten entschieden haben, weil sie die Bürgerinnen und Bürger in diesem sehr schwierigen Jahr entlasten. Dafür haben wir vorhandene Spielräume im Haushalt genutzt. Welche finanziellen Möglichkeiten wir im nächsten Jahr genau haben, müssen wir abwarten. Klar ist aber: Ab 2023 gilt wieder die Schuldenbremse.

Die aktuelle Steuerschätzung geht davon aus, dass der Staat bis 2026 rund 220 Milliarden Euro mehr einnimmt als zuletzt gedacht. Auch wenn die geplanten Entlastungen dabei noch nicht berücksichtigt sind, entstehen weitere Spielräume.

Ganz so optimistisch wie Sie bin ich nicht. Dafür ist die Lage der Weltkonjunktur im Augenblick zu schwer vorherzusehen.

Das klingt nach: Ab September wird die Mobilität für alle Bürger wieder deutlich teurer.

Die Maßnahmen sind befristet. Ansonsten haben wir ja bewiesen, dass wir uns die Lage stets genau anschauen.

Ist es nicht eine skurrile Situation? In Europa herrscht Krieg – und die Deutschen überlegen sich dank der Regierung, ob sie lieber mit dem Regionalexpress in den Urlaub fahren oder mit einer günstigeren Tankfüllung.

Wenn Sie glauben, dass unsere Beschlüsse eine solche Wirkung erzielen werden, bin ich erst mal froh. Denn es ist ja unsere Absicht, den Bürgerinnen und Bürgern in dieser schwierigen Lage zu helfen.

Wollen Sie vielleicht nicht nur helfen, sondern die Menschen auch ein bisschen zum Klimaschutz erziehen?

Nein. Jeder und jede entscheidet selbst über das eigene Leben. Wenn allerdings jemand in den nächsten Monaten auf diesem Wege entdeckt, wie gut der öffentliche Nahverkehr bei uns funktioniert, ist das doch schön.

Mit der Impfpflicht ist eines Ihrer wichtigsten Projekte gescheitert. Nun kämpfen Sie um Ihr bislang größtes Vorhaben: das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr. Fürchten Sie nicht, dass ihm dasselbe Schicksal wie der Impfpflicht droht?

Nein.

Was macht Sie so optimistisch?

Das Sondervermögen ist eine nationale Aufgabe, es geht um eine wirksame Verteidigung unseres Landes. Dafür ist eine Grundgesetzänderung nötig, für die ich mir eine, wenn ich es etwas pathetisch sagen darf, patriotische Mehrheit wünsche.

Wie wollen Sie die Union denn ködern?

Ich will überhaupt niemanden ködern.

Aber Sie brauchen die Stimmen von CDU und CSU im Bundestag und Bundesrat doch.

Die Bundeswehr muss endlich besser ausgestattet werden, damit sie unser Land verteidigen kann. Die schlechte Zeit für die Bundeswehr hat vor gut zehn Jahren begonnen. Damals hieß der Verteidigungsminister Guttenberg und kam von der CSU, der Finanzminister hieß Schäuble und kam von der CDU und die Kanzlerin hieß Merkel, ebenfalls CDU. Und diese drei Politiker haben einen radikalen Sparkurs für die Bundeswehr beschlossen.

Das war falsch?

Das war absolut falsch.

Aber Ihre Partei, die SPD, hat als Juniorpartnerin in den großen Koalitionen steigende Verteidigungsausgaben lange blockiert.

Mit Verlaub, der Wehretat ist in meiner Zeit als Bundesfinanzminister um mehr als 35 Prozent gestiegen, die Bundeswehr wird seither finanziell deutlich besser ausgestattet.

Aber die SPD war immer gegen das Zwei-Prozent-Ziel der Nato.

Der Kanzlerkandidat der Union hat dies im letzten Bundestagswahlkampf ähnlich gesehen. Ihr Eindruck aber täuscht.

Und richtig ist Ihrer Meinung nach was?

Noch mal: Die schlechte Zeit der Bundeswehr begann unter Guttenberg, Schäuble und Merkel. Besser wurde es, als die SPD ab 2013 wieder in der Regierung war. Und richtig gut wurde es von 2018 an, als im Finanzministerium wieder ein Sozialdemokrat saß. Jetzt bin ich Kanzler und will die Bundeswehr auf Dauer besser ausstatten. Und ich habe CDU und CSU immer so verstanden, dass sie das auch beabsichtigen.

Frankreich gibt fast so viel für Verteidigung aus wie Deutschland, hat einen Flugzeugträger und ist sogar Atommacht. Bei unseren Nachbarn wird aber kaum über eine mangelhafte Ausstattung der Armee geklagt. Können Sie das erklären?

Deutschland gibt in Kontinentaleuropa unter den Nato-Staaten am meisten für Verteidigung aus.

Was die Frage noch dringlicher macht: Warum bekommen wir es in Deutschland nicht hin, mit mehr als 50 Milliarden Euro eine schlagkräftige Armee zu organisieren?

Die Frage ist breit diskutiert worden. Mein Ziel ist es, die Bundeswehr zu modernisieren, um sie in die Lage zu versetzen, ihren aktuellen Anforderungen vollumfänglich gerecht zu werden.

Kein Kabinettsmitglied steht derzeit so in der Kritik wie Verteidigungsministerin Christine Lambrecht. Ist sie eine Belastung für Ihre Regierung?

Ich bin sehr sicher: Wenn man in drei Jahren auf die Wahlperiode zurückblickt, wird es heißen: "Sie ist die Verteidigungsministerin, die dafür gesorgt hat, dass die Bundeswehr endlich ordentlich ausgestattet ist."

Das ist eine kühne Prognose.

Nein.

Trotzdem muss es Sie doch ärgern, wenn eine Ministerin ständig Negativschlagzeilen produziert.

Ich bin lange genug in der Politik, um die Gesetzmäßigkeiten der Medien zu kennen. Gerne wird sich auf eine oder einen fokussiert. Aber ich weiß eben auch, dass sich das wieder ändert.

Wo wir gerade bei Negativschlagzeilen sind: Wann hatten Sie das letzte Mal Kontakt zu Gerhard Schröder?

Bei meiner Vereidigung im Dezember letzten Jahres war er anwesend. Seither habe ich ihn nicht mehr gesehen oder gesprochen.

Wären Sie erleichtert, wenn er einfach aus der SPD austreten würde?

Weil Gerhard Schröder sich als Kanzler große Verdienste um unser Land erworben hat, wünsche ich mir, dass er den Weg, den er gegenwärtig beschreitet, verlässt.

Was heißt das konkret?

Gerd Schröder sollte seine Mandate, die er für russische Unternehmen wahrnimmt, aufgeben. Ich habe es immer falsch gefunden, dass man als ehemaliger Kanzler solche Mandate übernimmt. Und seit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine gibt es dafür überhaupt keine Rechtfertigung mehr.

Würde Gerhard Schröder denn wieder richtig in die sozialdemokratische Familie aufgenommen, wenn er tut, was Sie sich wünschen?

Über diese Frage macht sich gerade doch wirklich niemand Gedanken. Die Hauptfrage lautet doch: Wann beendet Gerhard Schröder endlich seine Mandate?

Und wie oft sprechen Sie mit Angela Merkel?

Immer mal wieder.

Können Sie das etwas genauer sagen?

Das könnte ich. Aber wir haben immer vertrauensvoll zusammengearbeitet – und tun das auch jetzt noch.

Ist sie eine Ratgeberin für Sie?

Ich rede mit Angela Merkel über politische Fragen. Und ich finde, das ist auch gut so.

Wie würden Sie mit einem Satz den Zustand der Ampelkoalition beschreiben?

Sehr gut. Sehr kameradschaftlich. Sehr kooperativ. Und dem Anliegen verpflichtet, in Deutschland den Fortschritt zu gewährleisten.

Am Freitag verließ die FDP-Arbeitsgruppe aus Protest die Sondersitzung des Verteidigungsausschusses, weil die Koalitionspolitiker Ihre Auskunft zur Ukraine als unzureichend empfanden. Das klingt nicht gerade harmonisch.

Ich habe da keine Kritik wahrgenommen, im Gegenteil: Die Ausschussvorsitzende hat sich bei mir für meinen Auftritt und die Auskünfte ausdrücklich bedankt.

Haben Sie keine Sorge, dass FDP-Chef Christian Lindner nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen am Sonntag in Panik gerät?

Nein. Warum sollte er?

Weil es die dritte Landtagswahl ist, bei der die FDP deutlich hinter ihren Erwartungen bleibt. Die Beteiligung an der Bundesregierung zahlt sich für die Liberalen also offenbar nicht aus.

Da hilft ein Blick in die Interviews, die Sie in der Vergangenheit mit mir über die Umfragewerte der SPD geführt haben. Und nun interviewen Sie mich als Kanzler.

Das heißt: Sie prognostizieren, dass Herr Lindner Ihr Nachfolger wird?

Nee, so weit gehe ich jetzt nicht. Ich möchte aber klarmachen, dass es keinen Grund zur Nervosität gibt und dass wir in der Koalition gut zusammenarbeiten und wissen, dass wir nur gemeinsam erfolgreich sein können – und nur als Team wiedergewählt werden.

Eine persönliche Frage zum Schluss: Menschen, die Sie gut kennen, sagen, dass Sie privat sehr unterhaltsam sind. In der Öffentlichkeit wirken Sie dagegen häufig spröde und technokratisch. Welcher Olaf Scholz ist der wahre Olaf Scholz?

Es gibt nur einen Olaf Scholz. Mir geht es wie jedem anderen auch: Wir sind immer die Gesamtheit unserer persönlichen Ausprägungen. Die Wählerinnen und Wähler haben mich, so wie ich bin, zum Kanzler gewählt.

Verwendete Quellen
  • Persönliches Gespräch mit Olaf Scholz im Kanzleramt
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