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HomePolitikChristoph Schwennicke: Einspruch!

Bedrohung durch Russland: Warum Wehrdienst den Ampelpolitikern gutgetan hätte


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Zivis im Krieg
Jetzt müssen die Friedenstauben den Ernstfall planen

MeinungEine Kolumne von Christoph Schwennicke

19.04.2022Lesedauer: 5 Min.
Ein Bundeswehrsoldat bei einer Übung (Archivbild): Die Verteidigungspolitik wurde in der Bundesrepublik lange stiefmütterlich behandelt.Vergrößern des Bildes
Ein Bundeswehrsoldat bei einer Übung (Archivbild): Die Verteidigungspolitik wurde in der Bundesrepublik lange stiefmütterlich behandelt. (Quelle: Janine Schmitz/photothek/dpa)
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Deutschland hat seine Verteidigungspolitik lange stiefmütterlich behandelt. Das rächt sich jetzt – und offenbart die Defizite in den Spitzen der Ampelkoalition.

Das Thema stand herum wie ein muffiger Schuh. Keiner wollte sich in der Parlamentsredaktion der "Süddeutschen Zeitung" seinerzeit den Stahlhelm aufsetzen und mit Verteidigungspolitik beschäftigen, als ich Mitte der Neunzigerjahre hinzustieß. Schließlich bekam ihn der Neue, sprich ich, kurzerhand aufgesetzt. Denn erstens durfte der froh sein, von nun an bei dieser schönen und renommierten Zeitung zu arbeiten.

Und zweitens war er der Einzige, der Wehrdienst geleistet hatte. Quasi ein Fachmann. Später beim "Spiegel" gab es einen erstklassig informierten Kollegen für dieses Fachgebiet, von dem man sich hinter vorgehaltener Hand erzählte, dass er jede Glattrohrkanone beim Vornamen kenne. In diesem Satz schwang mindestens so viel Herablassung wie Respekt mit.

Olaf Scholz' Hang zu Anekdoten

Verteidigungspolitik, das machten selten die, die noch etwas werden wollten. Weder in der Publizistik noch in der Politik. Minister auf der Bonner Hardthöhe und später im Bendlerblock wurden in den vergangenen Jahren immer Kandidaten, denen man aus Sicherheitsgründen einen Schleudersitz zuwies. Oder weil sie, wie die amtierende Amtsinhaberin, unbedingt Minister werden wollten und alles andere schon vergeben war.

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Die letzten engagierten und ambitionierten Verteidigungsminister, beide schon lange her, hießen Volker Rühe (CDU) und Peter Struck (SPD), der eine aus eigenem Antrieb, der andere mehr aus Versehen, als verzweifelt nach einem Nachfolger für Rudolf Scharping gesucht wurde. Der es seinerzeit auch nicht werden wollte, sondern von Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine als – aus deren Sicht – unsicherer Kantonist vom Posten des Fraktionsvorsitzenden entfernt werden musste.

Verschiebebahnhof Verteidigung: Expertise auf diesem Gebiet sucht man in der amtierenden Ampelkoalition folglich vergebens. Es ist eine Regierung mit Protagonisten aus einer Generation, der in einem scheinbar ewigen und unerschütterlichen Frieden in Europa das Wissen um die Bedeutung dieses Themas abhandengekommen war.

Wehrdienstverweigerung war Ehrensache. Bundeskanzler Olaf Scholz hat unlängst die Geschichte seiner Verweigerung einmal mehr zum Besten gegeben. Bei der Begründung seiner Verweigerung habe er sich einen Scherz erlaubt. Neben den Kriegserfahrungen seiner Eltern und seiner Bewunderung für Martin Luther King habe er darin auch behauptet, er habe alle Bücher von Karl May gelesen, und die jeweiligen Helden hätten niemals jemanden getötet. Das habe ihn moralisch sehr geprägt. "Irgendwie", sagte er, "bin ich mit dem Witz durchgekommen".

Resterampe Bundeswehr?

Jetzt nicht mehr. Scholz ist nur wenige Monate nach Amtsantritt als Kanzler in einem grausamen Krieg auf europäischem Boden direkt an den Außengrenzen der Europäischen Union gefordert. Und was für eine sicherheitspolitische Kehrtwende hat die Ampelkoalition in den vergangenen Wochen in der Frage von Waffenlieferungen vollzogen?

Erst wollte sie gar nichts geben, weil es bis dato ungebrochene Doktrin Deutschlands war, keine Waffen in Krisengebiete zu schicken. Dann einigte man sich in der Koalition auf 5.000 Helme, denen alte Panzerfäuste aus NVA-Beständen folgten, weitere Schulterwaffen kamen dazu, schwere gepanzerte Transportfahrzeuge als Nächstes.

Diese Woche sind die Rufe nach der Lieferung schwerer Waffen auch in der Koalition lauter und lauter geworden. Nur damit das alle verstehen: Schweres Gerät, das bedeutet Schützenpanzer vom Typ Marder oder Kampfpanzer vom Typ Leopard. Das ist militärischer Heavy Metal.

Massivere mobile Waffensysteme zu Land gibt es im Bestand der deutschen Streitkräfte nicht. Was ist der nächste Schritt? Doch die polnischen MiGs deutscher Herkunft, die Warschau anbieten wollte, bis die USA reingrätschten? Tornados, Eurofighter? Flugzeuge, die sofort bereitstehen müssen, wenn tatsächlich eine Flugverbotszone verhängt würde?

Was Baerbock außergewöhnlich macht

Außenministerin Annalena Baerbock hat sich die Forderung nach schweren Waffen für die Ukraine zu eigen gemacht. Dabei hatte dieselbe Annalena Baerbock noch vor einem knappen Jahr ihren Co-Vorsitzenden Robert Habeck gerüffelt und zurückkommandiert, als der bei einem Besuch in der Ukraine Defensivwaffen für das von Russland bedrängte Land gefordert hatte.

Und noch vor wenigen Wochen sagte sie den Satz: Es breche einem das Herz, aber man müsse kühlen Kopf bewahren. Kühler Kopf, nicht heißes Herz: Das war eine bemerkenswert kluge Äußerung und untypisch für eine Grüne. Gerade in deren Reihen (Claudia Roth!) wird fehlende Expertise oft durch umso mehr Affekt kompensiert. Eine unselige Mischung.

Hoffentlich wissen die sicherheitspolitischen Greenhorns (um es in der Sprache des von Scholz geschätzten Karl May zu sagen) dieser Regierung gleichwohl, was sie tun. Jedenfalls bleibt es das Geheimnis des Justizministers Marco Buschmann, woher er weiß, dass die Lieferung von Schützen- oder Kampfpanzern Deutschland nicht zur Kriegspartei mache.

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Da kann man nur hoffen, dass der russische Präsident Putin diese Verfügung Buschmanns gelesen hat und beherzigen wird. (Buschmann hat übrigens vor 20 Jahren auch Zivildienst in einem Pflegeheim geleistet, seine Verweigerung aber vor drei Jahren zurückgezogen und an einer Wehrübung teilgenommen.)

Nicht mit Ruhm bekleckert

Bemerkenswert ist, dass hierzulande nicht in erster Linie alte Haudegen wie der General a. D. Egon Ramms für den Schritt hinweg über die bisherige Linie plädieren. Unter den Ex-Militärs überwiegen eher die Skeptiker. Es sind gerade Leute aus dem linksliberalen Lager wie die Grüne Marieluise Beck, die sich im Taumel ihrer Gefühle sogar zu Forderungen einer Flugverbotszone hinreißen lassen.

Das betrifft etwaige Flugverbotszonen und Panzerlieferungen, aber auch andere politische Versprechen an die Ukraine, etwa die Quasi-Zusage eines Blitz-Beitritts der Ukraine in die Europäische Union noch im Laufe dieses Sommers durch EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Übrigens vormals auch deutsche Verteidigungsministerin ohne große Fortune und Vorbildung.

Immerhin hatte von der Leyen in dieser Funktion dafür gesorgt, dass von den vormals mehr als 2.000 Kampfpanzern Leopard 2 doch mehr als die vorher angepeilten 225 im Bestand der Bundeswehr bleiben. Ohne diese Kehrtwende hätte sich die Frage nach einer Lieferung schon deshalb erledigt, weil die Bundeswehr gar keine übrig hätte.

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Das stehende Heer mit seinen starken Panzerverbänden war als ein Relikt aus dem Kalten Krieg angesehen und auf ein Minimum reduziert worden. Es wird die Aufgabe des früheren Zivis Olaf Scholz sein, dafür zu sorgen, mit den 100 Milliarden extra für die Bundeswehr vor allem wieder ein Heer aufzubauen, das im Herzen Europas dessen Bündnisverteidigung übernehmen kann. Im Moment ist diese Flanke klaffend und sträflich offen.

Experten warnten seit jeher vor dieser gefährlichen Entwicklung. Es wollte aber niemand hören. Es hat niemanden interessiert. Es war ja nur öde Verteidigungspolitik. Und ein Kampfpanzer war ein Waffensystem von gestern.

Hier finden Sie alle Kolumnen von Christoph Schwennicke.

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