Mehr als 150 Journalistinnen und Journalisten berichten rund um die Uhr für Sie über das Geschehen in Deutschland und der Welt.
Zum journalistischen Leitbild von t-online.Boykott der Spiele? Olaf Scholz und der Eiertanz um Olympia
Boykottiert die Bundesregierung die Olympischen Winterspiele in Peking? Der Kanzler drückt sich um eine klare Ansage, dabei ist die Frage intern längst entschieden.
Die Frage ist simpel, doch für den Bundeskanzler offenbar so unangenehm, dass er sich seit Wochen um eine Antwort drückt: Fährt er zu den Olympischen Winterspielen nach China oder nicht? Olaf Scholz hat mehrere Optionen.
Er kann die Eröffnungsfeier am 4. Februar in Peking besuchen – und damit dem wichtigsten Handelspartner Deutschlands die ersehnte politische Aufwartung machen. Wladimir Putin wird auch dort sein.
Er kann nicht fahren, so wie es manche Nachbarn in Europa handhaben.
Oder er kann die politisch so umstrittenen Winterspiele diplomatisch boykottieren, wie es zum Beispiel die USA und Großbritannien tun, aus Protest etwa gegen die brutale Unterdrückung der Uiguren in China.
Die Feier rückt näher und näher, doch der Bundeskanzler spielt weiter auf Zeit. Es gebe immer noch, so sagt es ein Regierungssprecher auf Anfrage, "den Willen, eine Europa-einheitliche Lösung zu finden".
Bundesregierung wird Olympia fernbleiben
Diese Antwort auf die simple Frage führt jedoch in die Irre. Zum einen wird es keine gemeinsame Linie in der EU geben, denn mehrere EU-Mitgliedsstaaten sind bereits frustriert ausgeschert und haben eigenmächtig Reisen oder aber einen Boykott verkündet.
Zum anderen ist die Entscheidung in der Bundesregierung längst gefallen, man will es nur nicht offen sagen. Nach Informationen von t-online wird die gesamte Bundesregierung den Olympischen Spielen fernbleiben.
Verteidigungsministerin Christine Lambrecht teilte auf Anfrage mit, sie werde nicht nach China reisen. Die für die Sportsoldaten zuständige Ministerin ist eine von vier deutschen Amtsträgern, die noch kurzfristig an der Eröffnungsfeier am 4. Februar teilnehmen könnten, und hatte sich bislang nicht zu der Frage geäußert.
Nun sagte ein Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums t-online: "Weder Frau Bundesministerin der Verteidigung noch ein anderer Vertreter der Leitungsebene des Ministeriums beabsichtigt, zu den Olympischen Winterspielen 2022 zu reisen." Ein gutes Drittel der deutschen Athleten, die in Peking antreten, sind Sportsoldaten. Womöglich wird es statt eines Besuchs der Spiele nach Rückkehr der Sportler einen Empfang im Ministerium geben.
Warum dieser Eiertanz?
Lambrecht hätte wie Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Bundeskanzler Scholz sowie die offiziell für Sport zuständige Innenministerin Nancy Faeser (alle SPD) mit einem kurzfristigen Akkreditierungsprozess zum Festakt reisen können. Steinmeier und Faeser hatten bereits Ende des vergangenen Jahres erklärt, Olympia fernzubleiben. Die Innenministerin ließ es einen Sprecher so ausrichten: Sie habe "für sich selbst entschieden, schon aus Pandemiegründen nicht selbst nach Peking zu reisen".
Und Scholz? Warum dieser olympische Eiertanz des Bundeskanzlers?
Es gibt mehrere Gründe. Ein offiziell erklärter Boykott wäre in den Augen von Chinas Staatschef Xi Jinping und seiner KP ein Affront. Zumal Angela Merkel regelmäßig nach China reiste – und großes Interesse an dem Land hatte. In Peking registriert man deshalb haargenau, wie sich die Ampelkoalition äußert oder wie sie es bislang eben auch nicht tut. Jeder Satz zu Olympia ist höchst politisch. Da ist der ohnehin vorsichtige Bundeskanzler noch ein Stück zurückhaltender.
Grüne drängen, SPD bremst
Generell tut sich die neue Bundesregierung noch äußerst schwer, sich gegenüber China zu positionieren. Insbesondere die Grünen sowie Teile der FDP drängen darauf, deutlicher und häufiger schwere Menschenrechtsverletzungen anzusprechen, als dies die Große Koalition unter Angela Merkel tat. Scholz' SPD bremst da lieber, betont die wirtschaftlichen Verbindungen. Ähnlich wie in der aktuellen Russland-Krise.
Und dann sind da noch die lieben Verbündeten, denen man es auch nicht allen recht machen kann. Die USA waren Anfang Dezember vorgeprescht und hatten einen diplomatischen Boykott verkündet. Es mangelte ihnen nicht an Gründen: Die Unterdrückung der Volksgruppe der Uiguren in der Region Xinjiang ist mittlerweile so gut dokumentiert, dass US-Politiker gar von einem Genozid sprechen. China weist dies zurück.
Die Demokratiebewegung in Hongkong wurde zerschlagen. Und im Herbst machte auch noch der Fall der plötzlich verschwundenen chinesischen Tennisspielerin Peng Shuai weltweit Schlagzeilen.
Die lieben Verbündeten machen nicht mit
So kam die neue Bundesregierung ins Amt und versuchte zunächst, eine gemeinsame Position für Europa zu finden. Schnell wurde klar, dass etwa Frankreich und Italien kein Interesse an einem diplomatischen Boykott hatten. Einer der Gründe: Die beiden Länder werden die kommenden olympischen Wettbewerbe austragen.
Die Sommerspiele 2024 werden in Paris stattfinden, die Winterspiele 2026 in Mailand und Cortina d'Ampezzo. Die Gespräche im Kreis der EU führten also schnurstracks in eine Sackgasse.
Dann scherte Polens Staatspräsident Andrzej Duda aus und kündigte nicht nur eine Reise zur Eröffnungsfeier nach Peking an, sondern auch noch ein Treffen mit Staatschef Xi. Dänemark und die Niederlande wiederum verkündeten eigenhändig, sie wollten die Olympischen Spiele ebenfalls boykottieren.
"Rechnen nicht mehr mit deutschen Gästen"
Doch die Bundesregierung findet weiterhin keine öffentliche Linie, obwohl der Verweis auf die Omikron-Welle als Hinderungsgrund eine Absage ermöglicht, die nicht in einen offiziell ausgesprochenen diplomatischen Boykott münden würde.
Hinter vorgehaltener Hand geht man in Regierungskreisen längst davon aus, dass es einen faktischen Boykott geben wird, dass also der Bundeskanzler und die gesamte Bundesregierung den Olympischen Spielen fernbleiben.
Ein Sprecher des Deutschen Olympischen Sportbundes, der die Formalien regeln müsste, sagte t-online: "Nach heutigem Kenntnisstand rechnen wir nicht damit, dass wir Gäste aus der deutschen Politik bei den Olympischen Spielen akkreditieren werden."
- Eigene Recherche