Digitalisierung im Gesundheitswesen Corona-Expertenrat kritisiert Bundesregierung
Der Expertenrat der Bundesregierung hält kurzfristig keine Verschärfungen der Corona-Regeln für nötig. Sehr deutlich bemängelt der Rat dagegen die schlechte Datenlage und das fehlende Tempo in der Digitalisierung.
Die Mitglieder des Expertenrats der Bundesregierung gehen von einem weiteren Anstieg der Corona-Infektionen aus. Das geht aus einer Stellungnahme des Gremiums vor, die am vergangenen Samstag veröffentlicht wurde. Für die Belastung der Krankenhäuser entscheidend seien demnach ungeimpfte Erwachsene und über 50-Jährige. Bei Letzteren ist die Impflücke noch recht groß. Ein Problem: "Die genauen Hospitalisierungsraten oder die Intensivpflichtigkeit bei Infektionen mit der Omikron-Variante sind in diesen Gruppen noch nicht bekannt."
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Die Wissenschaftler prognostizieren zwar eine niedrigere Hospitalisierungsrate als bei der Delta-Variante. Weil aber die Fallzahlen so hoch sind, müsste sie um den Faktor 10 niedriger liegen als im vergangenen Winter, um die Krankenhäuser nicht zu überlasten. "Von einer derart starken Reduktion der Hospitalisierungsrate ist auf der Basis der aktuell verfügbaren Daten trotz Impfungen nicht auszugehen."
Bestehende Corona-Maßnahmen strikt umsetzen
"Unter den aktuell geltenden Kontaktbeschränkungen steigen die Inzidenzen weiter, und es ist anzunehmen, dass die medizinische Versorgung zumindest regional eingeschränkt sein wird", heißt es in dem Bericht. Die Fachleute raten, die bisher geltenden Maßnahmen fortzuführen und konsequent umzusetzen. "Wenn infolge eines weiteren Anstiegs der Inzidenzen kritische Marken, wie z.B. eine zu hohe Hospitalisierungsrate, erreicht werden, können weitergehende Maßnahmen zur Infektionskontrolle zukünftig notwendig werden", heißt es in dem Papier, das von den 19 Mitgliedern einstimmig angenommen wurde.
Man solle sich jetzt bereits auf dieses Szenario vorbereiten. "Sowohl Kontaktbeschränkungen als auch Booster-Impfungen sind notwendig, um die Dynamik der aktuellen Omikron-Welle zu bremsen", raten die Mitglieder des Gremiums.
Digitalisierung dringend voranbringen
In einer zweiten Stellungnahme äußerte das Gremium deutliche Kritik an der mangelnden Digitalisierung im Gesundheitswesen. Deutschland benötigt nach Ansicht des Rats eine umfassende Reform des Gesundheitswesens mit "Ausleitung, Auswertung und Veröffentlichung von anonymisierten Gesundheitsdaten" in Echtzeit. Die Einführung der elektronischen Patientenakte sollte mit höchster Priorität umgesetzt werden. Bereits 2021 ist ein Gutachten erstellt worden, in dem Empfehlungen für eine Umsetzung ausgesprochen wurden.
"Eine weitere Verzögerung der 2003 beschlossenen und gesetzlich verankerten elektronischen Patientenakte ist nicht mehr mit einem modernen Gesundheitswesen und Pandemiemanagement vereinbar", sagen die Fachleute. "Darüber hinaus stehen wichtige Versorgungsdaten aus dem deutschen Gesundheitswesen entweder gar nicht, unvollständig, oder nur mit erheblichem Zeitverzug für wissenschaftliche Auswertungen maschinenlesbar zur Verfügung." Überdies soll die Digitalisierung im Öffentlichen Gesundheitsdienst vorangebracht werden.
Zu den sofort umzusetzenden Maßnahmen gehören:
- Daten zu Krankenhausressourcen und -belegung sollten aus den Krankenhäusern an eine bereits mit der routinemäßigen Annahme von Krankenhausdaten betrauten Stelle übermittelt werden.
- Die Krankenhäuser müssen über ihr Controlling verpflichtet werden, neben ihren freien und belegten Ressourcen alle Aufnahmen oder Infektionen mit SARS-CoV-2 innerhalb der letzten 24 Stunden unter Angabe der Alterskategorie zu melden.
- Anonymisierte Daten der Krankenhausressourcen und -belegung insbesondere mit COVID-19 müssen tagesaktuell, maschinenlesbar und transparent zur Verfügung gestellt werden.
- Eine Echtzeitübersicht über alle verfügbaren Krankenhausbetten mit aktueller Belegung auch außerhalb der Intensivmedizin wird dringend benötigt.
- Die Pflegebesetzung in den Kliniken, die bereits routinemäßig übermittelt wird, sollte auch für wissenschaftliche Auswertungen zur Verfügung stehen.
Ministerpräsidenten wollen Regeln nicht verschärfen
Die Ministerpräsidentenkonferenz an diesem Montag will nach Angaben von Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) die bestehenden Corona-Maßnahmen trotz der hohen Infektionszahlen nicht verschärfen. "Wir haben bisher eine Omikron-Wand, wie wir sie in vielen anderen europäischen Ländern gesehen haben, vermeiden können. Das ist ein echter Erfolg", sagte Weil dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).
"Verschärfungen der Corona-Maßnahmen sind nicht in Sicht und das ist für den gegenwärtigen Stand eine gute Nachricht", sagte Weil auf die Frage nach seinen Erwartungen an die MPK. Der SPD-Politiker drängte aber auf die schnelle Einführung einer Impfpflicht, auch wenn sie für die Bekämpfung der Omikron-Welle nicht rechtzeitig komme.
Dem Expertenrat der Bundesregierung gehören Virologen, Behördenleiter und andere Fachleute an. Mitglieder sind unter anderem der Chefvirologe der Berliner Charité, Professor Dr. Christian Drosten, der Virologe Prof. Hendrik Streeck, Prof. Melanie Brinkmann und der Leiter des Robert Koch-Instituts, Lothar Wieler. Empfehlungen des Gremiums sind nicht verpflichtend für die Bundesregierung.
- 3. und 4. Stellungnahme des Expertenrates der Bundesregierung zu Covid-19