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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Corona-Talk im TV Schwesig weist Markus Lanz zurecht: "Sie stellen das echt falsch dar"
"Wo bleibt die von der Politik beschworene Apokalypse?", fragt Lanz. Sein Verdacht: Die Zahl der Covid-Intensivpatienten wird dramatischer dargestellt, als sie ist. Da verliert die Ministerpräsidentin die Geduld.
"Ich blicke nicht mehr durch", gab Markus Lanz selbst zu. Dieses Eingeständnis bezog sich am Dienstag in seiner Talkshow auf das Wirrwarr an unterschiedlichen Corona-Regeln in den Bundesländern. Aber zumindest Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) fand: So ganz hat der Moderator scheinbar auch den aktuellen Ernst der Lage nicht begriffen. "Das ist nicht richtig", korrigierte die zugeschaltete Landeschefin Lanz zunächst, als der in ihrem Bundesland krumme Machenschaften witterte. Als Lanz seinen Vorwurf dennoch ein ums andere Mal wiederholte, fuhr Schwesig dann auch ungefragt dazwischen und redete Klartext: "Herr Lanz, Entschuldigung, ich muss Ihnen widersprechen: Sie stellen das echt falsch dar."
Die Gäste
- Manuela Schwesig (SPD), Ministerpräsidentin Mecklenburg-Vorpommerns
- Johannes Nießen, Mitglied im Corona-Expertenrat der Bundesregierung
- Timo Ulrichs, Epidemiologe
- Kaja Klapsa, "Welt"-Journalistin
Anlass des Zwists war die Frage, wie die Belastung der Intensivstationen durch Covid-Patienten im Nordosten ausgewiesen wird. Das ist wichtig, denn davon hängt ab, welche Corona-Warnstufe im Land gilt. Mecklenburg-Vorpommern war laut dem NDR dazu übergegangen, nur noch die hundert für Covid-19-Fälle vorgesehenen Intensivbetten anstatt wie zuvor alle Intensivbetten als Maßstab heranzuziehen. Das hatte das Gericht moniert – und Lanz schien eine Täuschungsaktion zu wittern.
Schwesig rügt Lanz
Er attestierte Schwesig eine Niederlage vor Gericht und warf ihrer Landesregierung vor, die 100 Corona-Betten als 100 Prozent der Intensivkapazitäten dargestellt zu haben. "Das ist nicht richtig. Das ist auch keine Niederlage, Herr Lanz – im Gegenteil", widersprach die Sozialdemokratin. Das Gericht habe lediglich entschieden, dass auch die Gesamtlage auf den Intensivstationen ausgewiesen werden müsse. "Das machen wir jetzt. Das ändert aber an den Regeln im Land gar nichts. Wir waren jetzt ehrlich gesagt sogar froh über das Urteil, weil es ja bestätigt hat, dass es vor allem auch um die Intensivkapazitäten geht."
Der Moderator warf den Verantwortlichen vor, die Lage (mutwillig?) dramatischer darzustellen, als sie sei. "Wenn gesagt wird: 'Wir haben 80 Prozent der Intensivbetten im Land belegt', dann macht das den Leuten Angst", kritisierte Lanz. "Das klingt sehr dramatisch." Wenn "in Wahrheit" aber noch 500 weitere Intensivbetten zur Verfügung stünden, entstehe ein "schräges Bild". "Das ist ein Missverständnis, Herr Lanz", korrigierte ihn Schwesig erneut. "Die ganzen 600 Betten werden gebraucht. Die waren auch schon vorher da und wurden gebraucht. Wir dürfen in Deutschland nicht so tun, als ob Intensivmediziner und Pflegekräfte rumstehen mit leeren Betten."
Als der Moderator dann an einen anderen Gast gewandt seinen Vorwurf wiederholte, blieb die Schweriner Regierungschefin hartnäckig und wies Lanz erneut zurecht. Nicht umsonst seien vor Weihnachten andere wichtige Operationen, etwa bei Krebspatienten, verschoben worden. "Das zeigt doch, wie dramatisch die Situation war." Epidemiologe Timo Ulrichs stützte Schwesigs Darstellung, dass die Intensivstationen vor Weihnachten teilweise an ihre Grenzen gestoßen waren. Immer noch sei die Lage sehr angespannt, auch im "Zwischentief" vor der Omikron-Welle. Die Hospitalisierungsrate erhalte angesichts der neuen, äußerst ansteckenden Variante wieder eine neue Bedeutung und sei ein wichtiger Faktor, um die Gesamtlage zu beurteilen, unterstrich der Professor für internationale Not- und Katastrophenhilfe an der Akkon Hochschule Berlin.
Lanz: Wo bleibt der Weltuntergang?
Lanz aber blieb bei seiner Linie. "Warum muss man immer diesen alarmistischen Ton anschlagen?", fragte der Gastgeber. "Da gibt es sozusagen jeden Tag Apokalypse und möglicherweise gibt es gar keine Apokalypse. Das ist doch das Gefühl, das viele Leute haben." Ulrichs war sich nicht ganz sicher, wie schlimm die Lage für Lanz sein müsste, um den Titel "apokalyptisch" zu verdienen. Er verwies auf eine Prognose der Weltgesundheitsorganisation WHO, laut der sich bis März mehr als jeder zweite Europäer mit der Omikron-Variante angesteckt haben könnte. "Wir müssen uns schon Sorgen machen", sagte auch der Mediziner Johannes Nießen, Leiter des Gesundheitsamts in Köln.
"Welt"-Journalistin Kaja Klapsa pflichtete Lanz hingegen bei. Sie warnte die Politik, die Opposition gegen die Corona-Impfung in einem großen Teil der Bevölkerung zu unterschätzen. 12,5 Millionen Erwachsene seien weiterhin nicht immunisiert. Ihr Verdacht: Daran wird auch eine allgemeine Impfpflicht nicht viel ändern. Wegen der Probleme beim Aufbau eines Impfregisters könne es zunächst nur stichprobenartige Überprüfungen geben. Ob das bislang Ungeimpfte "so in Angst und Schrecken versetzen wird, wage ich zu bezweifeln". Klapsa rechnet aktuell damit, dass die Impfpflicht höchstens für Menschen ab 50 Jahren umgesetzt werden wird. "Aber Stand jetzt würde ich sagen: Sie kommt gar nicht."
Die Journalistin gab zu bedenken, dass eine allgemeine Impfpflicht zudem zu spät kommen werde, um gegen die Omikron-Welle noch etwas ausrichten zu können. Eine quasi prophylaktische Impfpflicht für möglicherweise kommende Varianten sei aus Sicht von Staatsrechtlern zudem heikel. "Aber die Frage ist: Wenn wir es nicht machen, was ist dann? Wie kommen wir dann durch die nächsten Saisons?", gab Ulrichs zu bedenken. Und sollte tatsächlich eine ganz neue, gefährliche Variante auftauchen, "müssen wir noch mal von vorne anfangen".
Am Ende gab es aber auch gute Nachrichten. Geboosterte Menschen sieht der Epidemiologe derzeit gut geschützt. "Eine vierte Impfung wäre jetzt sicherlich zu viel", sagte er mit Blick auf die breite Bevölkerung. Die würde nur Sinn ergeben, wenn es ein spezifisches Präparat gegen Omikron gebe. Nießen wertet die ansteckende, aber insgesamt weniger gefährliche Variante als mögliches Zeichen dafür, dass die Pandemie allmählich in eine "normale" Endemie übergeht: "Ich habe die große Hoffnung, dass wir keine weiteren griechischen Buchstaben mehr kennenlernen müssen."
- "Markus Lanz" vom 11. Januar 2022
- NDR-Bericht zum Urteil des Greifswalder Gerichts