Missbrauchsskandal Bericht: Kirchendokument belastet früheren Papst Benedikt
München/Essen (dpa) - Ein internes Dokument der katholischen Kirche belastet nach einem Bericht der Wochenzeitung "Die Zeit" den emeritierten Papst Benedikt XVI. In dem betreffenden Fall geht es um den Priester H. aus Gelsenkirchen, der vielfach minderjährige Jungen missbraucht haben soll.
1980 wechselte der Geistliche aus dem Bistum Essen in das Erzbistum München und Freising. An dessen Spitze stand damals Erzbischof Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt.
Die "Zeit" berichtet über ein Dekret, das 2016 in einem innerkirchlichen Verfahren vom Kirchengericht des Erzbistums München und Freising erstellt wurde. Darin heißt es demzufolge, die zuständigen Bischöfe und ihre Generalvikare (Stellvertreter) in München und Essen seien ihrer Verantwortung gegenüber Kindern und Jugendlichen nicht gerecht geworden. Ratzinger werde dabei explizit genannt: Obwohl er von der Vorgeschichte des mutmaßlichen Missbrauchspriesters Kenntnis gehabt habe, habe er ihn in seinem Bistum aufgenommen und eingesetzt.
Gutachten erwartet
Benedikts Privatsekretär Georg Gänswein bestritt dies in einer Stellungnahme. "Die Behauptung, er (Benedikt) hätte Kenntnis von der Vorgeschichte zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Aufnahme des Priesters H. gehabt, ist falsch", teilte Gänswein der "Zeit" mit.
In der übernächsten Woche (ab 17. Januar) soll in München ein mit Spannung erwartetes Gutachten zum Umgang des Erzbistums mit Missbrauchsvorwürfen vorgestellt werden. Es wurde von der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) erarbeitet. In Auftrag gegeben hat es der Münchner Kardinal Reinhard Marx. Das Gutachten untersucht die Jahre 1945 bis 2019 und umfasst damit auch die Amtszeit von Ratzinger, der das Erzbistum von 1977 bis 1982 führte, bevor ihn Papst Johannes Paul II. nach Rom berief.
Es ist schon länger bekannt, dass H. einer jener Fälle war, in denen ein Priester immer wieder aufs Neue beschuldigt, aber von seinen Vorgesetzten einfach weiterversetzt wurde. Nach dem "Zeit"-Bericht tat dies anfangs auch Kardinal Marx, der ihn 2008 in die Kurseelsorge nach Bad Tölz versetzt habe. Erst 2010 sei H. von Bischof Franz-Josef Overbeck aus Essen in den einstweiligen Ruhestand versetzt worden.
Priester H. nie entlassen
Wiederum zwei Jahre später habe Marx im Schulterschluss mit Overbeck empfohlen, H. auch aus dem Priesterstand zu entfernen, und zwar ohne kirchliches Strafverfahren. Marx' Begründung dafür sei gewesen: "Der Fall H. erregte weltweit Aufsehen in den Medien, da vermutet wurde, der damalige Erzbischof von München und Freising, heute Papst Benedikt XVI., habe zumindest Mitverantwortung für den Einsatz von H. Obwohl diese Vorwürfe entkräftet wurden, muss damit gerechnet werden, dass sie im Falle eines kirchlichen Strafverfahrens erneut aufgegriffen werden."
Zu der Entlassung aus dem Priesterstand sei es aber letztlich nicht gekommen. Das Münchner Kirchengericht habe dies in dem erwähnten Dekret von 2016 damit begründet, dass man H. nicht die alleinige Schuld zuschieben könne. Vielmehr seien die kirchlichen Autoritäten "zu jedem Zeitpunkt über die Erkrankung des Beklagten und die meisten seiner Vergehen informiert" gewesen. "Dennoch setzten sie H. wiederholt in Bereichen ein, in denen er Kinder- und Jugendarbeit zu leisten hatte." H. lebe heute wieder im Ruhrgebiet, berichtete die "Zeit".
Das Erzbistum München und Freising teilte zu dem Artikel mit, man bitte um Verständnis, dass man dem in Kürze erscheinenden Gutachten von Westpfahl Spilker Wastl nicht vorgreifen wolle: "Alle dem Ordinariat vorliegenden Akten auch zum Fall H. wurden WSW für die Erstellung des Gutachtens zur Verfügung gestellt, die Ergebnisse der Untersuchung durch WSW sind dem Erzbischöflichen Ordinariat nicht bekannt."