Impfregister, freie Impfstoffwahl Ethikrat empfiehlt allgemeine Impfpflicht unter Auflagen
Viele Politiker, darunter auch Kanzler Olaf Scholz, haben sich schon für eine allgemeine Impfpflicht ausgesprochen. Nun hat der Deutsche Ethikrat seine Einschätzung zu dem Thema abgegeben.
Der Deutsche Ethikrat befürwortet eine Ausweitung der Corona-Impfpflicht über die bestehende einrichtungsbezogene Impfpflicht hinaus. In einem 27-seitigen Papier, das t-online vorliegt, werden eine Reihe von ethischen und rechtlichen Argumenten und Bedingungen dafür dargelegt.
Eine ausgeweitete Impfpflicht müsse von einer Reihe von Maßnahmen flankiert werden, schreiben die Experten. Darunter:
- direkte Einladungen mit personalisierten Terminen
- ein datensicheres nationales Impfregister
- ein umfassendes Beratungsangebot und wertschätzende Kommunikation
- Freie Wahl des Impfstoffs soweit möglich und flächendeckend ausreichend Impfstellen
Von derzeit 24 Ratsmitgliedern haben demnach 20 der Ad-hoc-Empfehlung zugestimmt, vier haben sie abgelehnt. "Der Deutsche Ethikrat betont, dass hohe Impfquoten entscheidend sind, um in eine kontrollierte endemische Situation zu kommen", heißt es in der Empfehlung. Wer die Mitglieder des Ethikrats sind und wie das Gremium arbeitet, erfahren Sie hier.
"Die Impfstrategie hat viele Menschen nicht erreicht"
Erst Mitte Dezember hatte die Bundesregierung eine Impfpflicht für Personal in sensiblen Einrichtungen beschlossen. Angestellte in Pflegeheimen und Kliniken müssen dadurch zum 15. März Nachweise vorlegen, dass sie entweder als geimpft oder genesen gelten.
Im Bundestag soll offenbar Anfang kommenden Jahres ohne Fraktionsvorgaben über eine allgemeine Impfpflicht abgestimmt werden – viele Politiker haben sich mittlerweile dafür ausgesprochen, unter anderem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Bund und Länder hatten daher den Deutschen Ethikrat beauftragt, eine Einschätzung abzugeben.
"Die Impfstrategie hat viele Menschen nicht erreicht – und erreicht sie in Teilen noch immer nicht", schreibt der Ethikrat nun in seinem Papier. Das Gremium sei bislang bei einer gesetzlichen Impfpflicht mit rechtlichen Sanktionen deutlich zurückhaltender gewesen – das habe bis jetzt auch bei SARS-CoV-2 gegolten.
Die Faktenlage habe sich jedoch seit Beginn des Jahres verändert: Die neue Omikron-Variante und mögliche Entstehung weiterer Varianten, das Nachlassen des Impfschutzes mit der Zeit, die Wirksamkeit der Booster-Dosen, die Belastung der Krankenhäuser und die Entwicklung der Impfquoten spielten dabei unter anderem eine Rolle. "Trotz einer Impfquote von aktuell ca. 70 Prozent der Gesamtbevölkerung stößt das deutsche Gesundheitssystem derzeit vielerorts an seine Grenzen", ist in dem Papier zu lesen.
Impfpflicht-Debatte ist emotional aufgeladen
Angesichts allzu zugespitzter Debatten sei es dem Ethikrat wichtig, auf die Vielschichtigkeit des Themas hinzuweisen. Eine Impfpflicht sei stets eine "erhebliche Beeinträchtigung rechtlich und moralisch geschützter Güter", schreibt das Gremium an anderer Stelle. Selbstbestimmung über den eigenen Körper zu erlangen, gehöre zu den "zentralen Errungenschaften der Demokratie- und Freiheitsgeschichte". Es sei daher wichtig, neben einer gründlichen Abwägung von ethischen und rechtlichen Fragen auch Fragen der Umsetzung und mögliche gesellschaftliche Folgen mit in die Entscheidung einfließen zu lassen.
"Der Deutsche Ethikrat sieht eine grundsätzliche moralische Verpflichtung, durch eine Impfung sich und andere zu schützen", heißt es in einem der Punkte. "Eine allgemeine gesetzliche Impfpflicht darf hingegen nur dann zum Einsatz kommen, wenn die Bewältigung einer schweren Krise ohne diese Maßnahme absehbar nicht erfolgreich sein kann."
Schwere negative Folgen möglicher künftiger Pandemiewellen müssten durch die allgemeine Impfpflicht entweder abgeschwächt oder verhindert werden können: eine hohe Sterblichkeit, langfristige gesundheitliche Beeinträchtigungen signifikanter Bevölkerungsteile oder ein drohender Kollaps des Gesundheitssystems.
Meinungen gehen bei Ausgestaltung der Impfpflicht auseinander
Bei der konkreten Umsetzung gibt es jedoch im Ethikrat unterschiedliche Meinungen. "Auch wenn der Deutsche Ethikrat eine Ausweitung der gesetzlichen Impfpflicht auf wesentliche Teile der Bevölkerung mehrheitlich befürwortet, gehen die Meinungen bezüglich des Umfangs auseinander", ist in dem Papier zu lesen.
Sieben von 20 Mitgliedern halten es demnach für sinnvoll, die Impfpflicht auf besonders verletzliche Erwachsene zu beschränken, etwa Ältere oder Vorerkrankte. "Es ist ein ethisches Grundgebot zur Erreichung eines Ziels, das jeweils mildere effektive Mittel einzusetzen", heißt es in der Argumentation des Gremiums. Das Ziel, eine Überlastung des Gesundheitswesens zu vermeiden, könne mit einer solchen differenzierten Impfpflicht erfüllt werden.
13 der Mitglieder plädierten dagegen für eine allgemeine Impfpflicht, die alle Erwachsenen über 18 umfasst, um eine "nachhaltige, dauerhaft tragfähige und gerechte Beherrschung der Pandemie" zu erreichen.
- Ad-hoc-Empfehlung des Deutschen Ethikrats