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Zum journalistischen Leitbild von t-online."Ein falsches Signal" Nach Rationierung: Bundestag erhielt 10.000 Biontech-Dosen
Als Bürger kommt man derzeit nur mit Glück an eine Impfung mit dem Biontech-Vakzin. Der Bundestag hingegen boostert ausschließlich mit dem knappen Impfstoff. Ärztevertreter sind empört.
Lange Schlangen vor Impfzentren, kaum freie Impftermine, eine Impfstoffversorgung, die auf Kante genäht ist: Die Booster-Kampagne gerät kurz vor Weihnachten massiv ins Stocken. Der neue Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) warnte kürzlich vor einem Impfstoffmangel im ersten Quartal 2022, auch wenn er damit erst mal für Verwirrung sorgte, weil unklar blieb, wie viel am Ende wirklich fehlt.
Wie groß auch immer Lauterbachs Lücke im kommenden Januar sein wird – seine Ankündigung heizte die Sorgen von Ärzten und Impflingen an, dass vor allem der begehrte Biontech-Impfstoff noch knapper werden könnte. Denn schon jetzt klagen Hausarztpraxen über eine Biontech-Mangelversorgung, seit Lauterbachs Vorgänger Jens Spahn (CDU) Ende November die Lieferungen streng rationiert hatte. Über 30-Jährige bekommen derzeit häufig nur einen Impftermin mit dem Moderna-Vakzin, das in puncto Wirksamkeit und Sicherheit dem Biontech-Mittel zwar in nichts nachsteht, aber unter Akzeptanzproblemen leidet.
"Uns war es egal, was wir bekommen"
Eine Institution muss sich um solche Probleme nicht scheren: Der Bundestag hat sich frühzeitig mit Biontech-Impfstoff eingedeckt und boostert seine Mitarbeiter ausschließlich mit dem begehrten mRNA-Vakzin des Mainzer Biotechnologieunternehmens. Das ergab eine Anfrage von t-online an die Bundestagsverwaltung.
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Demnach habe man bereits Anfang Juli das Bundesgesundheitsministerium gebeten, die erforderliche Zahl an Impfdosen für die Auffrischungsimpfungen im Bundestag zu bestellen. Der zu impfende Personenkreis umfasse die Abgeordneten und ihre Mitarbeiter sowie die Angestellten der Verwaltung und der Fraktionen. Ein Sprecher betont auf telefonische Nachfrage, bei der Booster-Bestellung sei vonseiten der Bundestagsverwaltung "keine Festlegung hinsichtlich des Impfstoffs" erfolgt. "Uns war es egal, was wir bekommen."
10.000 Biontech-Dosen für den Bundestag
Und doch sorgte das Bundesgesundheitsministerium offenbar dafür, dass das Hohe Haus ausschließlich mit Biontech-Impfstoff beliefert wird. Ende Oktober machte die Bundeswehrkrankenhausapotheke Berlin der Parlamentsärztin des Bundestags ein Angebot über 10.000 Biontech-Dosen, so die Bundestagsverwaltung gegenüber t-online. Vier Wochen später traf die erste Teillieferung im Bundestag ein, Anfang Dezember begann die Impfaktion. Alles sei "in Absprache mit dem Bundesgesundheitsministerium" geschehen.
Auch die Bundeswehr bestätigt auf Anfrage, nur den Impfstoff zu liefern, der vom Ministerium bestellt wurde. "Das Bundesgesundheitsministerium steuert, wir sind nur Dienstleister", heißt es beim zuständigen Presse- und Informationszentrum des Sanitätsdienstes der Bundeswehr in Koblenz. Man würde sich nicht "anmaßen", selbst den Impfstoff festzulegen oder die Bestellung zu ändern, so ein Sprecher auf t-online-Anfrage.
Aufschrei in der Ärzteschaft
Beim Bundesgesundheitsministerium gibt man sich defensiv. Auf mehrfache telefonische und schriftliche Nachfrage äußert sich ein Sprecher, der schon unter Spahn im Presseteam arbeitete, ausweichend.
Auf die Frage, warum das Ministerium angesichts bekannter Versorgungslücken dem Bundestag gerade den knappen und begehrten Biontech-Impfstoff zugesteht, heißt es, es gebe keine "wie auch immer geartete Verfügung", die eine Impfung von Bundestagsabgeordneten ausschließlich mit Biontech vorsehe. Die Nachfrage, warum sein Ministerium dem Bundestag dann trotzdem ausschließlich Biontech für den Booster vermittelt habe, lässt der Sprecher unbeantwortet.
Denn der Zeitpunkt der Bundestags-Lieferung hinterlässt durchaus einen faden Beigeschmack: Eine Woche zuvor hatte Spahn die Begrenzung der Biontech-Lieferungen angekündigt. Am 19. November schrieb Spahns Staatssekretär Thomas Steffen an die Länder, dass künftig nur noch 30 Biontech-Dosen pro Impfarzt und Woche zur Verfügung stünden. Der Aufschrei in der Ärzteschaft wurde noch lauter, als Spahn seine Begründung hinterherschickte: Zunächst hieß es, man wolle mit der Begrenzung bald verfallende Moderna-Impfdosen retten. Wenig später legte er den eigentlichen Grund offen: die knappen Vorräte an Biontech-Impfstoff.
Spahn und die Seinen sind versorgt
Dass eine Woche nach Spahns Mangelerklärung die Bundeswehrkrankenhausapotheke Berlin 10.000 Dosen des Biontech-Impfstoffs an den Bundestag ausliefert, wirft ein zweifelhaftes Licht auf Spahns Endphase an der Spitze der deutschen Impfkampagne. Für die Bürger wird der begehrte Impfstoff rationiert, aber für sich und seine Parlamentskollegen hat Spahn ausreichend vorgesorgt?
Politisch hätte der CDU-Politiker ein Signal setzen können, wie damals Altkanzlerin Angela Merkel (CDU), die sich für ihre Erstimpfung das Astrazeneca-Vakzin spritzen ließ, das damals drohte zum Ladenhüter zu werden. Analog dazu hätte Spahn das Image des Moderna-Vakzins aufbessern können, indem er die höchste parlamentarische Vertretung des Landes mit ebenjenem Impfstoff beliefert.
Impflinge bevorzugen Biontech
Doch es kam anders. Stattdessen sorgt die Biontech-Limitierung bei Hausärzten und Patienten weiter für Verstimmungen. Es herrsche eine "massive Verärgerung" in den Arztpraxen, den "Eckpfeilern der Impfkampagne", so die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen auf Anfrage. "Für die kommenden Wochen hat das Bundesgesundheitsministerium gerade einmal 30 Dosen pro Impfarzt zugestanden. Das ist viel zu wenig, um den Bedarf zu decken."
Zwar hätten die Ärzte eine Bestelloption auf mehr Moderna-Impfstoff, doch "viele Patienten bevorzugen Biontech". Das Biontech-Privileg im Bundestag will der Verband nicht kommentieren. Fest stehe aber, dass Ärzte nun zusätzliche Aufklärungsarbeit leisten müssten, um das Vertrauen in den Moderna-Impfstoff zu erhöhen.
"Ein einziges Kommunikationsdesaster"
Klaus Heckemann, der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen, wird deutlicher: Die Biontech-Bevorzugung des Bundestags sende ein "falsches Signal", denn die Akzeptanzprobleme des Moderna-Impfstoffs seien bekannt. Eine Auffrischungsimpfung mit Moderna wäre hingegen eine "starke Botschaft" gewesen, die auch zu einer Entlastung in den Praxen hätte führen können.
Denn seit der Biontech-Rationierung verschärften sich die Konflikte um den knappen Impfstoff. Heckemann, der als Impfarzt gewissermaßen an der vordersten Front der Impfkampagne operiert, berichtet von einem einschlägigen Erlebnis in seiner Dresdner Praxis. "Ich hatte am vergangenen Wochenende einen 84-jährigen Patienten, dem ich nur den Moderna-Impfstoff anbieten konnte. Seine Antwort war nur: 'Den verfallenen Dreck nehm' ich nicht.' Was Spahn angerichtet hat, ist ein einziges Kommunikationsdesaster."
Er unterstelle den politischen Verantwortlichen jedoch keine böse Absicht: "Das ist Inkompetenz." Die Politik sei mittlerweile so weit von den Menschen entfernt, "ich bin entsetzt, wie man mit den niedergelassenen Ärzten umspringt." Auch gerade angekündigte Biontech-Nachlieferungen gingen ausschließlich an die Impfzentren, die Hausärzte hätten das Nachsehen. Doch das Bundesgesundheitsministerium gelte mittlerweile als "heilige Institution", die "unanfechtbar" sei. "Die Fehler müssen am Ende wir Ärzte ausbaden."
- Eigene Recherche