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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Im Geschäft mit Lukaschenko Die deutsche Party in Belarus geht weiter
Das Regime in Belarus greift zu immer ruchloseren Methoden gegen die eigene Bevölkerung. Doch deutsche Unternehmen setzen weiter auf Kooperation. Während sich die Krise zuspitzt, feiern sie in Minsker Countryclubs.
Werden Geschäfte gemacht, wird geschossen. Es ist der 16. Oktober 2021, Machthaber Alexander Lukaschenko eskaliert seit Monaten die bilaterale Konfrontation zwischen Belarus und der Europäischen Union, als eine damalige Mitarbeiterin eines großen deutschen Konzerns ein Video in den sozialen Medien veröffentlicht: Es zeigt die junge Frau in altrosa-farbenem Mantel und hohen rotbraunen Stiefeln. Im Kontrast dazu trägt sie Gehörschutz und Schrotflinte. Sie schießt auf Tontauben. "In solch einem informellen Umfeld treffen wir uns mit Händlern", schreibt sie dazu. Die Szene in Minsk ist kein Einzelfall.
Segeltrips und gutes Essen
Deutsche Unternehmen wie Siemens oder Henkel, Bosch oder Knauf und Mittelständler betreiben weiterhin Geschäfte in Belarus, wo Lukaschenko auf Demonstranten feuern ließ, um seine manipulierte Wahl zum Präsidenten durchzudrücken. Sie bewegen sich allerdings in einem Umfeld, das von der gesellschaftlichen Wirklichkeit des Landes und von Lukaschenkos Eskalation an der polnischen Grenze surreal entkoppelt zu sein scheint.
Während die Führung des Landes seine westlichen Nachbarn zu destabilisieren versucht und die Opposition einsperrt, feiern die Entsandten der Unternehmen in Countryclubs und Luxushotels. Mal erfreuen sie sich an klassischer Musik und gutem Essen, mal an Segeltrips auf dem Minsker Meer, dem größten Stausee des Landes, mal greifen sie zu Luftdruckgewehren oder scharfen Waffen, um in ungezwungener Atmosphäre am Schießstand die Handelsbeziehungen zu vertiefen.
Das Beispiel zeigt: Was sich zumindest Grüne und FDP in der neuen Bundesregierung vorgenommen haben, wird nicht einfach. Beide Parteien wünschen sich mehr Druck auf autoritäre Regime wie China oder Saudi-Arabien. Deutschland soll demnach nicht mehr aus Rücksicht auf die Wirtschaft allzu klaglos Menschenrechtsverletzungen hinnehmen. Das heißt: im Zweifel mehr Anstand und weniger Geschäft.
Doch das Vorhaben ist kompliziert – auch weil so viele deutsche Organisationen in die zwischenstaatlichen Beziehungen verwickelt sind. Wie in Belarus.
Gefördert wird das dortige Gebaren von offiziellen deutschen Stellen: der Auslandshandelskammer, der Deutschen Botschaft, der Konrad-Adenauer-Stiftung. Es sind Ausläufer einer langfristigen Strategie, die seit vielen Jahren auf gesellschaftlichen Wandel durch wirtschaftlichen Handel setzte, und die nun angesichts eines immer ruchloser agierenden Regimes in Belarus, das Flugzeuge entführt und Attentate im Ausland plant, die Bodenhaftung zu verlieren droht.
Sinnbildlich für diese Entwicklung könnte der von der Bundesregierung geförderte "Deutsch-Belarussische Wirtschaftsclub" (DBWC) sein: Der Verein nimmt für sich in Anspruch, seit vielen Jahren die Interessen deutscher Unternehmen in Belarus auf Regierungsebene zu vertreten und rühmt sich enger Beziehungen "zu allen zuständigen Ministerien", die dabei helfen sollen, die Rahmenbedingungen für ausländische Investoren zu verbessern. Zeiss, Commerzbank, BASF oder DB Schenker: Sie alle setzen auf diesen Dialog.
"Würde gerne mit Aussage von Putin abschließen"
Wie der aussieht, ließ der Leiter der Club-Repräsentanz in Minsk auf der Höhe der Proteste in einem am 12. Oktober 2020 veröffentlichten und wenige Tage zuvor geführten Interview durchblicken. An diesem Tag gab das belarussische Innenministerium bekannt, dass es den Einsatz von Schusswaffen gegen die Proteste freigegeben habe. Der DBWC-Vertreter Stephan Hoffmann war trotzdem zuversichtlich.
Natürlich sei die politische Situation nicht einfach. "Aber ich persönlich fühle mich hier sicher und habe keine Angst, das Land verlassen zu müssen." Global betrachtet sei seine Branche kaum von der politischen Krise betroffen. Er wünsche sich, dass die Gewalt nicht weiter eskaliere. "Ich würde gerne mit der Aussage von Wladimir Putin abschließen, dass jedes Volk selbst über seinen Weg entscheiden muss und dass sich das Ausland aus internen Konflikten heraushalten soll."
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Die Bezugnahme auf den russischen Präsidenten ist in der Gesamtschau des Vereins womöglich mehr als ein Zufall. Ausdrücklich setzt sich der Wirtschaftsclub für einen gemeinsamen Wirtschaftsraum vom russischen Wladiwostok bis ins portugiesische Lissabon ein – eine Idee, die Putin selbst vor mittlerweile elf Jahren in einem Gastbeitrag für die "Süddeutsche Zeitung" ins Spiel brachte. Seitdem unterstützte die Bundesregierung den Vorschlag, ungeachtet des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine, der Wahlbeeinflussungen und Auftragsmorde im Ausland.
Die deutsch-belarussische Wirtschaftsinitiative konnte sich lange auf die Unterstützung der bisherigen Regierungsparteien Union und SPD in Berlin verlassen, die im Koalitionsvertrag das Versprechen wirtschaftlicher Kooperation als Lockmittel für politische Liberalisierung verstanden. Noch im Mai dieses Jahres unterstrich das SPD-Wirtschaftsforum die Vision mit einer Podiumsdiskussion. Den neuen Koalitionspartnern Grüne und FDP kamen die Sozialdemokraten zuletzt allerdings entgegen: Der neue Koalitionsvertrag enthält die Formulierung des gemeinsamen Wirtschaftsraums nicht mehr.
"Symptomatisch für zum Teil widersprüchliche Strategie"
De facto sei die Idee bereits vorher vom Tisch gewesen, sagt Russland-Experte Stefan Meister von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik – anders als offenbar für Wirtschaftsvertreter. "Es gibt dafür weiterhin Rückhalt in SPD und Union, aber offizielle Politik der Bundesregierung ist die Idee schon länger nicht mehr." Stattdessen habe es seit der Proteste im Jahr 2020 eine grundlegende Veränderung in der Belarus-Politik gegeben. "Das Auswärtige Amt hat eine härtere Gangart eingeschlagen, in Rhetorik und Auftreten, aber auch hinsichtlich der Sanktionen." Das sei gegenüber dem Lukaschenko-Regime einfacher, da mit weniger Kosten verbunden, als gegenüber Russland.
Das Auftreten deutscher Wirtschaftsvertreter konterkariere bisweilen diese neuen Bemühungen. Das Interview des DBWC-Vertreters auf der Höhe der Proteste in Belarus sei dafür ein Beispiel. "Aussagen wie diese unterminieren deutsche Außenpolitik ein Stück weit. Das ist problematisch und symptomatisch für die zum Teil widersprüchliche Strategie", sagt Meister. Denn deutsche Wirtschaftsvereine etwa bildeten eine Art Parallelstruktur, die auch mit Unterstützung des Auswärtigen Amts legitime Kanäle zum Dialog offenhalte, stünden Sanktionen aufgrund eigener Interessen aber sehr kritisch gegenüber. Der "Wandel durch Handel" diene dabei auch als Ausrede.
"Die Annahme, durch Handel und wirtschaftliche Kooperation positive Veränderungen in autoritären Regimen zu bewirken, wird von Wirtschaftsvertretern natürlich gern angeführt, weil es ermöglicht, mit Diktaturen Geschäfte zu machen", sagt Meister. "Die Annahme ist aber empirisch und historisch widerlegt. Die Bundesregierung ist mit diesem außenpolitischen Ansatz gescheitert." Diese Erkenntnis sei noch nicht vollständig in der Politik angekommen.
"Die SPD beispielsweise klammert sich noch immer an die angeblich großen Erfolge der Ost-Politik unter Willy Brandt", sagt Meister. Den großen Wandel oder gar den Zusammenbruch der Sowjetunion habe sie aber eben nicht herbeigeführt. "Das zu behaupten, wäre historisch falsch." Heute benötige es einen ganzen "Instrumentenkasten" aus mehreren Maßnahmen – darunter neben Sanktionen und Dialogbereitschaft auch eine sicherheitspolitisch wirksame Abschreckung.
Ob die Wirtschaft beim Wandel in der deutschen Außenpolitik gegenüber Belarus mitzieht? Bislang ist davon wenig zu spüren. Bisher scheute sie den Konflikt, wie auch die "FAZ" konstatierte. Der deutsche Konzern Henkel kündigte an, keine weiteren Werbezeiten im belarussischen Staatsfernsehen zu buchen. Zuvor war Kritik laut geworden, das Unternehmen finanziere Lukaschenkos Propaganda. Die mit der Wirtschaft verflochtenen außenpolitischen Initiativen dauern aber unverändert an.
Der Deutsch-Belarussische Wirtschaftsclub teilte auf Anfrage von t-online mit, man sehe sich "gerade in diesen schwierigen Zeiten" als offene Plattform für Austausch und Dialog. "Uns sind Menschenrechte wichtig und wir geben unsere Bedenken weiter." Das Putin-Zitat halte man weiter für richtig. "Es sollten sich grundsätzlich alle ausländischen Player aller Himmelsrichtungen aus internen Konflikten heraushalten."
- Eigene Recherchen
- Russland-News: "Als deutscher Geschäftsmann in Minsk: 'Ich fühle mich hier sicher'"
- Deutsch-Belarussischer Wirtschaftsclub: Homepage
- Süddeutsche Zeitung: "Von Lissabon bis Wladiwostok"
- Frankfurter Allgemeine Zeitung: "Die deutsche Wirtschaft meidet den Konflikt mit Belarus"