Mord von Idar-Oberstein "AfD ist oberster Agent der Radikalisierung"
Ein offenbar radikalisierter Gegner der Corona-Politik tötet einen Kassierer: Nach
Blumen und Bilder erinnern vor der Tankstelle in Idar-Oberstein an die brutale Tat, die sich hier am Samstag abspielte: Der Kassierer ermahnte einen Mann, er solle beim Einkauf seine Maske tragen. Wutentbrannt stürmte dieser davon und kam wenig später mit einer Waffe zurück. Mit einem Schuss in den Kopf tötete er den erst 20 Jahre alten Angestellten.
Gegenüber der Polizei sagte der Mann, er lehne die Corona-Schutzmaßnahmen ab. In Deutschland ist nun eine Debatte entbrannt, in deren Zentrum die sogenannte Querdenker-Bewegung stehen und auch die AfD. Mehrere Innenpolitiker geben der rechtspopulistischen Partei eine Mitschuld an der Radikalisierung der Querdenker.
- Gefährliche Corona-Leugner: Diese radikalen Gruppen sind aus "Querdenken" hervorgegangen
Die AfD selbst weist das zurück. "Wir verurteilen diese schreckliche Tat und sprechen den Angehörigen unser Beileid aus", sagte Spitzenkandidat Tino Chrupalla und warf den Kritikern ein wahlpolitisches Interesse vor. Ob der Täter tatsächlich Verbindungen zur Querdenker-Bewegung habe, müsse aufgeklärt werden. Seine Partei werde sich aber "immer dagegen wehren, regierungskritische Proteste anhand solcher Taten zu kriminalisieren."
Parallele zu Mord an Walter Lübcke
Ganz anders sehen das Innenpolitiker von FDP und SPD: "Die AfD ist der oberste Agent der politischen Radikalisierung in Deutschland", sagte der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle, den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND, Donnerstagsausgaben). Der Täter aus Idar-Oberstein unterstütze die Partei "in den sozialen Medien", sagte Kuhle dem RND.
"Indem Rechtsextremisten während der Corona-Pandemie ihre wirren Diktatur-Vorwürfe verbreiteten, tragen sie eine Mitverantwortung für die Radikalisierung bestimmter Bevölkerungsgruppen, zu denen auch der Täter aus Idar-Oberstein gehört." Schon der Mörder des Kassler Regierungspräsidenten Walter Lübcke habe für die AfD Plakate aufgehängt und ihr Geld gespendet.
"AfD trägt zu einer immer stärkeren Polarisierung bei"
Auch die innenpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion, Ute Vogt, machte der AfD schwere Vorwürfe. "Die AfD hat seit ihrem Einzug in den Deutschen Bundestag erheblich dazu beigetragen, dass Hass und Hetze auf den Straßen und in den sozialen Medien enorm angestiegen sind", sagte Vogt dem RND. Die Partei habe "schnell das Potenzial erkannt und die Querdenker-Szene für sich genutzt".
Die Union äußerte sich etwas vorsichtiger: "Die Gründe für diese entsetzliche Tat allein bei der AfD zu suchen, ist zu einfach", sagte der innenpolitische Sprecher der Unionsfraktion, Mathias Middelberg, dem RND. "Aber natürlich trägt die AfD mit ihren gezielten Provokationen zu einer immer stärkeren Polarisierung unserer Gesellschaft bei". Das führe auch zu sinkenden Hemmschwellen.
Es müsse jetzt genau untersucht werden, was den Täter zu der Tat getrieben hat. "Sollten sich Verbindungen zur Querdenker-Szene ergeben, muss gegebenenfalls die Beobachtung dieser Bewegung verschärft werden", sagte Middelberg. Wer weiter gegen Corona-Maßnahmen protestieren möchte, solle sich klar von der Querdenker-Szene distanzieren, forderte Middelberg.
"Dem stellen wir uns entgegen"
Union-Kanzlerkandidat Armin Laschet hatte sich zuvor klar positioniert: "Den Hass, den die AfD in deutsche Parlamente getragen hat, den Hass, den sie im Deutschen Bundestag in jeder Sitzungswoche artikuliert - gegen Minderheiten, mit Ressentiments - dem stellen wir uns entgegen", sagte Laschet am Mittwochabend bei einer Wahlkampfveranstaltung im baden-württembergischen Rottenburg am Neckar (Kreis Tübingen). "Die AfD muss verschwinden aus deutschen Parlamenten."
Auch die "Querdenker" würden Hass in diesen Tagen im Internet verbreiten. "Hass im Netz folgt am Ende die böse Tat", mahnte Laschet. "Allen, die da hetzen, stellen wir uns entgegen. Wir dulden in unserem Land nicht Gewalt und Mord und das, was wir erlebt haben."
Auch Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer befürchtet eher eine Zunahme der Gewalt: „Wir müssen erleben, dass Tötungsfantasien, Revolutionsgelüste und quasi der vermeintlich legitime Widerstand gegen die Corona-Diktatur in den letzten Wochen und Monaten nicht nur im Netz, sondern teilweise auch in der analogen Welt immer weiter eskaliert sind, und ich glaube, hier ist es angezeigt, noch mal sehr deutlich zu warnen“, sagte Kramer im Deutschlandfunk.
Zeugen beobachteten Tat
Der 49-jährige Tatverdächtige wurde am Montag festgenommen und sitzt nun wegen dringenden Mordverdachts in Untersuchungshaft. Die Staatsanwaltschaft rechnet mit wochenlangen Ermittlungen. "Wir müssen uns jetzt erstmal selbst ein klares Bild machen", sagte Oberstaatsanwalt Kai Fuhrmann.
Dazu gehörten auch Untersuchungen über die Herkunft der Tatwaffe und den anderen Waffen, die bei dem Mann sichergestellt worden waren. Er habe sie illegal besessen. Zudem teilte die Staatsanwaltschaft am Mittwoch mit, dass Zeugen die Tat beobachtet hatten. Mehr Details gab sie bisher nicht bekannt.
- Nachrichtenagenturen AFP und dpa