Debatte über Corona-Maßnahmen Nachteile für Ungeimpfte? Justizministerin reagiert
Sollte es schärfere Corona-Maßnahmen speziell für Nicht-Geimpfte geben? Darüber diskutiert die Politik immer kontroverser. Nun schaltet sich mit Christine Lambrecht eine der zuständigen Ministerinnen ein.
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat ihre Ablehnung einer Corona-Impfpflicht bekräftigt, gewisse Nachteile für Ungeimpfte in der Zukunft aber nicht ausgeschlossen. "Es wird keine allgemeine Impfpflicht geben, sondern wir müssen dafür werben, dass ich mich mit dieser Impfung selbst und vor allen Dingen auch andere schütze", sagte Lambrecht im ZDF-"Morgenmagazin". Ihre Absage gelte auch für eine Impfpflicht bei einzelnen Berufsgruppen.
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"Ich glaube, wir sollten bei dem Verfahren bleiben, dass Geimpfte, Genesene und auch negativ Getestete Zugänge haben", sagte Lambrecht. "Wenn alle, die sich Impfen lassen können, dass dann trotzdem nicht machen, dann muss man auch vielleicht darüber nachdenken, ob die Testmöglichkeiten dann eben auf deren Kosten gehen und nicht mehr auf Kosten der Allgemeinheit."
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Dass beispielsweise ein Gastronom Nicht-Geimpfte nicht bewirtet, lasse das Grundgesetz zu, sagte Lambrecht. "Wir haben heute schon die Vertragsfreiheit. Und die Vertragsfreiheit lässt beispielsweise einem Gastronom selbstverständlich offen, ob er die Bewirtung in seinem Restaurant auf Geimpfte beispielsweise beschränkt."
Auf die Frage, ob eine Impfpflicht rechtlich möglich wäre, sagte die Justizministerin: "Ich vertrete da die Auffassung, dass das nicht möglich wäre. Das hat zum einen was damit zu tun, dass diese Impfung auch noch nicht so lange auf dem Markt ist. Und ich halte es auch nicht für geboten."
Unterstützung für Vorschlag aus dem Kanzleramt
Der Vorsitzende des Weltärztebundes, Frank Ulrich Montgomery, hält es für richtig, wenn Geimpfte in Deutschland mehr Freiheiten bekommen als Nicht-Geimpfte. "Es gibt keinen Grund, Geimpften und Immunen ihre Grundrechte weiter vorzuenthalten, nur weil ein paar ewige Skeptiker sich der Impfung entziehen", sagte Montgomery den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Damit stellte er sich hinter Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU), der am Wochenende Einschränkungen für Nicht-Geimpfte ins Spiel gebracht hatte. "Helge Braun hat völlig recht. Es geht ja nicht um Privilegien für Geimpfte, sondern um Grundrechtseinschränkungen", sagte Montgomery.
Scharfe Kritik übte der Weltärztepräsident an der Haltung der FDP. Wer wie die Liberalen eine Impflicht "durch die Hintertür" vermute und mehr Rechte für Geimpfte ablehne, bediene "einen primitiven Populismus" und verstehe "den Begriff der Freiheit nicht richtig".
Eine Impfung nutze nicht nur den Geimpften selbst, sondern der ganzen Gesellschaft, betonte Montgomery. "Nur durch Impfen können wir alle unsere Freiheiten wiedergewinnen." FDP-Vize Wolfgang Kubicki hatte Brauns Vorstoß zuvor als "Einführung der Impfpflicht durch die Hintertür" kritisiert. Zudem sei eine solche "Kategorisierung von Grundrechten in eine erste und eine zweite Klasse klar verfassungswidrig", sagte er den Funke-Zeitungen.
Braun hatte argumentiert, dass solange die Impfstoffe gegen die Delta-Variante so gut helfen, ein klassischer Lockdown nicht mehr nötig sei. Wenn aber Deutschland eine hohe vierte Welle bekäme, würde das nicht ohne Auswirkungen bleiben. Auf die Frage, ob das rechtlich zulässig wäre, antwortete CDU-Minister Braun mit einem "Ja". "Der Staat hat die Pflicht, die Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger zu schützen."
Lauterbach: Zutritt zu engen Räumen auf Geimpfte beschränken
Zuvor hatte auch SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach die Vorschläge von Braun unterstützt. "Wir müssen leider mit deutlich steigenden Fallzahlen rechnen, wenn die Menschen aus den Ferien zurückkommen und sich im Herbst wieder verstärkt in Innenräumen begegnen", sagte Lauterbach der "Süddeutschen Zeitung". Dann werde man "nicht mehr damit über die Runden kommen, die Getesteten den Geimpften und Genesenen gleichzustellen".
Die Zahl der falsch negativen Tests sei für ein solches Vorgehen zu hoch, sagte Lauterbach. Es werde "nichts anderes übrigbleiben, als den Zutritt zu Räumen, wo viele Leute eng zusammenkommen, auf Genesene und Geimpfte zu beschränken". Lauterbach warnte zudem davor, die Diskussion darüber aufzuschieben. "Sie muss jetzt geführt werden, das ist keine Debatte für die heiße Phase des Bundestagswahlkampfs", sagte er der "SZ".
Auch Grünen-Chef Robert Habeck zeigte sich offen. "In dem Moment, wo allen Menschen ein Impfangebot gemacht worden ist, sieht Solidarität so aus: Man muss sich nicht impfen lassen, aber kann nicht damit rechnen, dass alle anderen auf ihre Freiheit verzichten, weil man sich nicht hat impfen lassen", sagte er den Zeitungen der Funke Mediengruppe.
Die Konsequenz sei, dass Geimpfte und Genesene zukünftig "unter Umständen mehr Möglichkeiten und Zugänge haben können als Menschen, die sich gegen eine Impfung entschieden haben". Ausnahmen forderte Habeck für alle, die sich aus gesundheitlichen Gründen nicht impfen lassen können. Grundsätzlich müsse jedoch die Impfkampagne beschleunigt werden. So müssten etwa Sprach- und Informationsbarrieren abgebaut werden.
Baerbock schließt Einschränkungen für Ungeimpfte nicht aus
Auch die Kanzlerkandidatin der Grünen, Annalena Baerbock, schließt angesichts steigender Corona-Infektionszahlen Einschränkungen für Ungeimpfte nicht aus. Das Wichtigste sei zunächst, jedem Menschen ein Impfangebot zu machen, sagte sie am Montag beim Wahlkampfauftakt der Brandenburger Grünen für die Bundestagswahl in Michendorf.
"Und dann im nächsten Schritt, wenn das geleistet worden ist, darüber zu sprechen, dass in manchen Bereichen eben Leute, die geimpft sind, Dinge tun können und andere nicht", erklärte Baerbock.
Laschet will keinen Druck aufbauen
CDU-Parteichef Armin Laschet hält dagegen von dem Vorschlag nichts. Derzeit stehe im Vordergrund, dafür zu werben, dass sich möglichst viele impfen lassen. "Ich halte nichts von einer Impfpflicht und halte auch nichts davon, auf Menschen indirekt Druck zu machen, dass sie sich impfen lassen sollten", sagte Laschet im ZDF-Sommerinterview. Man müsse stattdessen mit Anreizen arbeiten.
In Nordrhein-Westfalen habe im Übrigen das Impftempo anders als in einigen anderen Bundesländern kaum nachgelassen, so Laschet. Allerdings schloss er nicht aus, dass man später neu nachdenken müsse: "Wenn wir dann im Herbst sehen, die Impfquote ist immer noch zu niedrig, muss man dann weiter nachdenken. Aber nicht jetzt."
Von der Linkspartei kam wegen Brauns Vorstoß Kritik: "Es muss Schluss sein mit wöchentlich neuen Ankündigungen aus dem Kanzleramt", sagte Fraktionschef Dietmar Bartsch den Funke Zeitungen. Für die Zeit ab September müssten "klare, nachvollziehbare, verfassungskonforme Regelungen" das Ziel sein. Dies gelte vor allem für die Sicherung des Präsenzunterrichts an den Schulen.
- Nachrichtenagentur dpa und AFP