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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Russland-Politik Deutschland spielt mit dem Feuer
Der große Eklat blieb beim Polen-Besuch von Außenminister Heiko Maas aus, doch die Konflikte bleiben. Die Fronten sind verhärtet, besonders in der Russland-Politik. Das bringt Deutschland in Erklärungsnot.
Die Streitthemen liegen schon lange auf dem Tisch, Bewegung gibt es trotzdem nicht. Die Erwartungen an den Besuch von Außenminister Heiko Maas in Polen am Donnerstag waren deshalb überschaubar. Immerhin: Eine verbale Eskalation, wie sie gelegentlich vor Wahlen in Polen zu beobachten ist, blieb aus. Maas und sein polnischer Amtskollege Zbigniew Rau betonen die enge Zusammenarbeit beider Länder, die in Zukunft noch intensiver werden solle.
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Trotzdem bleibt das Verhältnis zwischen beiden Ländern angespannt. So kritisiert Deutschland das Anti-LGBTQ-Gesetz in Ungarn scharf, Polen fordert Respekt vor den Entscheidungen des ungarischen Parlaments. Die polnische Regierung hätte gern Reparationen von Deutschland wegen der Nazi-Verbrechen im Zweiten Weltkrieg, die Bundesregierung lehnt das ab, der Prozess sei juristisch und politisch abgeschlossen.
Scharfe Kritik an Nord Stream 2
Doch das zentrale Streitthema ist momentan die deutsche Russland-Politik in Verbindung mit der deutsch-russischen Pipeline Nord Stream 2. Die fast fertiggestellte Gaspipeline sorgt vor allem in Polen, der Ukraine und im Baltikum für sicherheitspolitische Bedenken und die Bundesregierung scheint in der Frage isoliert innerhalb der Europäischen Union. Frankreichs Emmanuel Macron hatte zwar im Februar seinen Widerstand gegen das Projekt aufgegeben, das ist jedoch vielmehr als Zugeständnis gegenüber Deutschland zu werten. Zu einem Verteidiger von Nord Stream 2 wurde der französische Präsident auch danach nicht.
Polen wirft der Bundesregierung vor, sich mit dem Projekt abhängig vom russischen Präsident Wladimir Putin zumachen und lediglich nationale Interessen zu Lasten der Solidarität mit Polen und dem Baltikum zu verfolgen. Die Bundesregierung betont stets, dass die Entscheidung über die Pipeline eine Frage der eigenen Energiesouveränität sei. Aber dieser Grund reicht längst nicht mehr aus: Zu gering erscheint der Nutzen von Nord Stream 2, und im Angesicht der Klimakrise schlagen auch Klimaschützer Alarm.
Deshalb musste Deutschland mit einem Strategiewechsel auf die Kritik reagieren, auch um mögliche US-Sanktionen abzuwenden. diese sind zwar vorerst vom Tisch, doch auch der politische Druck auf US-Präsident Joe Biden in den USA wächst. Die Bundesregierung versucht deshalb, das Projekt mit der engeren wirtschaftlichen Einbindung Russlands zu begründen. Man wolle damit einen engeren Schulterschluss zwischen China und Russland verhindern, um nicht plötzlich wirtschaftlich und militärisch einer Übermacht gegenüberzustehen. Aber ob dieser Erklärungsversuch Sinn ergibt, ist fraglich.
"Das ist nicht nur falsch, sondern auch gefährlich"
So warnte Maas bei seinem Besuch in Polen davor, die wirtschaftlichen Beziehungen zu Russland abzubrechen. Wenn man gleichzeitig auch China isoliere, treibe man diese beiden Länder immer weiter zusammen und schaffe den größten Wirtschaftsraum weltweit, sagte der Bundesaußenminister nach einem Gespräch mit Rau. "Das ist nicht nur falsch, sondern das ist auch gefährlich – auch für unsere Sicherheitsinteressen in Europa. Und deshalb halten wir das nicht für die richtige Strategie."
Polen aber bleibt bei seiner kritischen Haltung. "Wir sind Gegner dieses Projektes und waren es von den Anfängen seiner Entstehung an", meinte Rau und ergänzte, auch der Anschluss der Ukraine an ein anderes Pipeline-Netz, das aber ebenfalls von russischer Gaszufuhr abhängig sei, sei keine Lösung. Polen sei dabei, seine Gaslieferungen zu diversifizieren. Aus Sicht Warschaus könnte eine solche Diversifizierung auch eine Lösung für die Ukraine sein, wenn diese zusätzlich mit Gas versorgt werde, das nicht aus Russland stamme.
Gefahr durch russisch-chinesisches Bündnis?
Angesichts dieser Sicherheitsbedenken der östlichen EU-Partner spielt Deutschland mit dem Feuer, weil sich die Bundesrepublik durch die Pipeline ein Stück weit Handlungsspielraum bei den Konflikten mit Russland in Osteuropa nimmt. Dass die deutsche Politik in dem Zusammenhang mit dem wachsenden Einfluss von China argumentiert, erscheint aus strategischer Sicht zunächst logisch. Auf Drängen der USA wird der Machtkampf mit Peking und eine Reaktion auf die chinesische Expansionspolitik zu einer der wichtigsten Fragen innerhalb der Nato und der G7.
Doch droht überhaupt ein enges Bündnis zwischen Russland und China? Ist die Furcht berechtigt?
Im Prinzip ist es zumindest im russischen Interesse, dass der Westen davor Angst hat. Der Kreml betreibt hier eine Art Pendelpolitik, eine mögliche Annäherung an China ist vor allem eines: Verhandlungsmasse in den Konflikten mit dem Westen.
Deshalb werden die Flirts zwischen Putin und dem chinesischen Machthaber Xi Jinping stets groß und öffentlichkeitswirksam inszeniert. So gratulierte der russische Präsident seinem chinesischen Amtskollegen Ende Juni zum hundertjährigen Bestehen der Kommunistischen Partei Chinas, welches in der Volksrepublik am 1. Juli gefeiert wird. In dem Videotelefonat nannten sich beide "liebe Freunde", kündigten eine Verlängerung des Nachbarschaftsvertrages und eine engere wirtschaftliche Zusammenarbeit an. Das ist jedoch eher ein großes Schauspiel.
Keine innige Freundschaft
Denn das Bündnis zwischen Moskau und Peking ist alles andere als gefestigt. Zwar versuchen beide Großmächte ihre autoritären Regime zu stabilisieren und geben sich Rückendeckung im UN-Sicherheitsrat, wenn es ihrer Auffassung nach um die Einmischung in ihre inneren Angelegenheiten geht.
Aber die Liste der kritischen Themen zwischen China und Russland ist lang:
- Russland würde niemals einen chinesischen Führungsanspruch akzeptieren. China sieht sich dagegen mittelfristig als Konkurrent der USA im Ringen um die Position der führenden Supermacht. Deswegen gibt es in den Beziehungen beider Länder, vor allem von russischer Seite, Vorsicht und Misstrauen.
- Peking ist über russische Waffenlieferungen an Vietnam und Indien verärgert. Die Länder gelten als Widersacher Chinas in der Region.
- Moskau sieht die chinesische Wirtschaftsmacht mit Sorge, da Peking auch in einigen ehemaligen Sowjetrepubliken Milliardeninvestitionen tätigt und sich somit Einfluss im russischen Einflussbereich sichert.
- China hat sich an US-Sanktionen gehalten, die vom ehemaligen Präsidenten Donald Trump verhängt wurden.
- Als russische Forscher einen Stamm des Coronavirus haben wollten, um einen Impfstoff zu entwickeln, verweigerte Peking die Hilfe.
- Auch in der Arktis liefern sich beide Länder mittlerweile einen kleinen Machtkampf mit Eisbrecherflotten.
Auf der anderen Seite wird das Handelsvolumen zwischen beiden Staaten mit der Zeit immer größer. Russland bezieht Technologie aus China, welche sie durch die Sanktionen momentan aus Europa nicht importieren können. Dagegen sieht Moskau in der energiehungrigen Volksrepublik einen wichtigen Absatzmarkt für seine Rohstoffe. Trotzdem wachsen diese Beziehungen nur langsam, noch überwiegt deutlich das Misstrauen.
Russlands Strategie geht auf
Deshalb erscheint die Angst vor dem russisch-chinesischen Bündnis, wie sie Außenminister Maas und auch der französische Präsident Emmanuel Macron momentan kommunizieren, nur bedingt berechtigt. Im Gegenteil: Russland profitiert von dieser Angst, die Strategie des Kremls geht auf.
Das erkennen auch Staaten in Osteuropa wie Polen, die sich von Russland bedroht fühlen. Auch hier gibt es Misstrauen in die friedlichen Absichten Russlands und in die Verträge, die Berlin beispielsweise mit Moskau aushandelt, um die Sicherheit der Ukraine zu garantieren. Außerdem erscheint eine Gefahr durch China vor allem für das Baltikum viel kryptischer, als die Bedrohung an den eigenen Grenzen. Die Töne zwischen Deutschland und Polen sind dieser Tage zwar versöhnlicher, aber die Konflikte bleiben.
- Mit Material der Nachrichtenagentur dpa
- Welt: Sie nennen sich "liebe Freund", doch beide sind zur Einsamkeit verdammt