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Zum journalistischen Leitbild von t-online.Freitickets und mehr? Kampagne stockt – So wollen Parteien die Impflust steigern
In anderen Ländern gibt es Impflotterien, Freikarten und Geschenke für jene, die sich gegen das Coronavirus impfen lassen. Wie wollen deutsche Parteien eine "Impfdelle" verhindern?
Sabine Dittmar ist in Sorge. Die SPD-Bundestagsabgeordnete, gesundheitspolitische Sprecherin ihrer Partei, arbeitet in einem Impfzentrum in ihrer Heimat Bad Kissingen mit. Dort erlebt sie, was zurzeit Schlagzeilen macht: Corona-Impfstoff ist genug vorhanden – doch immer mehr Menschen erscheinen nicht zur Impfung. "Die Impfmüdigkeit ist spürbar", sagt Dittmar im Gespräch mit t-online. "Zurzeit werden viele Termine abgesagt, der organisatorische Aufwand ist dadurch riesig."
Dittmar ist nicht die einzige, die spürt, wie der Impfturbo in Deutschland stockt. In manchen Impfzentren werden derzeit bis zu 40 Prozent der Impftermine abgesagt, wie der "Tagesspiegel" in einer Umfrage in mehreren Bundesländern ermittelte. Und auch Hausärzte warnen, dass bei ihnen die Zahl derer steigt, die einfach nicht kommen. "Teilweise dramatisch" – so beschreibt Wolfgang Kreischer, Vorsitzender des Hausärzteverbands Berlin-Brandenburg, die Situation im Gespräch mit t-online.
SPD will "Impfung to go" in den Impfzentren
Als Grund für die nun befürchtete "Impfdelle" wird derzeit vor allem die Urlaubszeit vermutet, keine wachsende Zahl von harten Impfskeptikern. Doch auch die Aufgabe, so viele wie möglich aus letzterer Gruppe von einer Impfung zu überzeugen, steht Deutschland noch bevor. Stellt sich die Frage, wie die Politik neue Anreize setzen will, um die einen trotz Auszeit im Ausland zur zweiten Spritze und Skeptiker überhaupt zur ersten zu bewegen?
SPD-Politikerin Dittmar plädiert zum jetzigen Stand der Impfkampagne für mehr Freiheit und Flexibilität für Impf-Interessierte. Für die Impfzentren schlägt sie "Impfungen to go" vor: "Dann kann einfach jeder kommen – ganz ohne vorherige Anmeldung oder Registrierung." Die gute Versorgungslage mit Impfstoff lasse das gegenwärtig vielerorts zu.
Sie fordert außerdem insgesamt eine stärkere Flexibilität bei der Terminvergabe: "Zweittermine sollten nicht mehr fix sondern nach individuellem Wunsch der Interessierten vergeben werden." Bei Impfstoffen wie Biontech solle dabei der empfohlene Zeitraum von drei bis sechs Wochen bis zur zweiten Spritze genutzt werden. Das bedeutet mehr Aufwand für Impfzentren und Ärzte – doch so ließen sich recht leicht viele von denen zurückgewinnen, die zurzeit lieber in Urlaub fahren als sich die schützende Spritze geben zu lassen, hofft Dittmar.
Erst Spritze, dann kostenlos auf die Achterbahn
Einen großen Schritt weiter will FDP-Politikerin Christine Aschenberg-Dugnus gehen. Die Gesundheitspolitikerin der Liberalen im Bundestag hält Anreizsysteme für "grundsätzlich sinnvoll", sollte die Impfbereitschaft abnehmen. "Gutscheine für den freien Eintritt in Freizeitparks und Museen sind eine gute Möglichkeit, um weitere Impfanreize zu setzen“, sagte sie t-online.
Ab zur Spritze, später dann kostenlos auf die Achterbahn? Die Kosten für den Staat wären hoch. Andere Länder aber lassen sich Anreizsysteme bereits einiges kosten. Griechenland hat gerade speziell für die junge Bevölkerung zwischen 18 und 25 Belohnungen ausgelobt: Wer eine Erstimpfung nachweist, dem wird ein Guthaben von 150 Euro auf sein Smartphone überwiesen.
Grüne: "Rate von schrillen Belohnungssystemen ab"
Die Grünen sind gegen solche Systeme. "Ich rate als Arzt ausdrücklich von schrillen Belohnungssystemen fürs Impfen ab", sagte Janosch Dahmen, gesundheitspolitischer Sprecher der Ökopartei, t-online. "Sie erwecken bei Menschen rasch den Eindruck: Ich soll nur überredet werden, die schwatzen mir was auf."
Als letzte Möglichkeit schließt auch Dahmen Anreizsysteme nicht gänzlich aus. Doch jetzt, wo noch unklar ist, wie sehr Organisatorisches und wie sehr Skepsis die Absager antreibt, sieht er die Gefahr, dass Impflotterien, Geldgeschenke und Gutscheine sogar abschrecken könnten – seriöse und überzeugende Aufklärungsarbeit würde von ihnen untergraben, befürchtet er.
Der Grünen-Politiker pocht stattdessen auf bessere, neue Aufklärungskampagnen – und kritisiert die bisherigen PR-Offerten der Bundesregierung scharf. Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung sei in der Pandemie "leider ein Totalausfall". Bisherige Kampagnen des Bundes konzentrierten sich stark auf reine Information oder arbeiteten mit dem Imperativ: "Ärmel hoch, lasst euch impfen". Das aber hole die meisten Menschen nicht ab. "Wir brauchen jetzt Kampagnen, die zielgruppengenau sind, gezielt auch Junge ansprechen und den richtigen und guten Wunsch nach Normalität adressieren."
Bisher werben für die Impfkampagne des Bundes Prominente wie Sepp Maier, Günther Jauch und Uschi Glas. Von einer Adressierung der jungen Zielgruppe kann also nicht die Rede sein. Talkshowmaster Jauch ist zudem noch gar nicht geimpft, für die Kamera posierte er lediglich mit einem Pflaster – was Jauch-Fans klar war, führte im Gesundheitsministerium in dieser Woche zu einem falschen Tweet, der gefundenes Fressen für Impfgegner und Verschwörungstheoretiker war.
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Gesundheitsminister Jens Spahn hat Besserung angekündigt. Eine neue Kampagne sei in Planung, die gezielt jene Gruppen ins Visier nehme, in denen die Zahl der Geimpften noch niedrig ist. Noch im Juli soll sie starten.
Für Spahns Team könnte zur Inspiration ein Blick ins Ausland lohnen. In anderen Ländern beweist man zumindest mehr Kreativität und Pathos bei der Impf-PR. Wien will für die junge Zielgruppe Partys veranstalten, auf denen zu Livemusik Spritzen gesetzt werden. Und Griechenland nennt seine Kampagne so schlicht wie treffend: "Operation Freiheit".
Millionen-Lotterie und Gratis-Joints: Wie andere Länder für die Impfung werben
- In manchen Regionen der USA ist die Impfskepsis stark ausgeprägt, mehrere Staaten werben inzwischen mit großen Impflotterien. In Ohio können Geimpfte eine Million, in Kalifornien 1,5 Millionen und in New York sogar fünf Millionen US-Dollar gewinnen.
- New Yorker Aktivisten verteilten im April kostenlose Joints an Corona-Geimpfte. Inzwischen erlauben mehrere Staaten in den USA Cannabis-Shops, Gratis-Joints als Belohnung für Impfungen zu vergeben, darunter die Staaten Washington und Arizona.
- US-Bundesstaat Maine vergibt an Bürger, die sich vor der Sommersaison haben impfen lassen, Tausende Jagd- und Fischereilizenzen sowie Freikarten zu Naturparks, Baseballspielen und Autorennen.
- In der indischen Stadt Rajkot erhielten bei einer Aktion der Goldschmiede-Branche Hunderte Frauen, die sich impfen ließen, goldene Nasenstecker. An Männer wurden Stabmixer verteilt.
- Wien will im Juli eine Reihe von Impfpartys für Jugendliche veranstalten, bei Musik soll geimpft werden. Die österreichische Hauptstadt vergibt außerdem seit Ende Juni "Eltern-Kind-Termine" – Jugendliche zwischen 12 und 18 können hier mit Vater und Mutter gemeinsam zum "Stich" kommen.
- Auch in Serbien ist die Impfskepsis groß. Der Staat lobte deswegen eine Prämie von 3.000 Dinar, umgerechnet gut 25 Euro, für jene aus, die sich bis Ende Mai impfen ließen.
- Gespräche mit Sabine Dittmar, Janosch Dahmen
- Anfrage an Christine Aschenberg-Dugnus
- Die Presse: "Eltern-Kind-Impfen" in Wien
- New York Times: Washington State allows for free marijuana with Covid-19 vaccine
- Homepage des US-Staats Maine: "Your Shot to get Outdoors"-Program
- India Today: Women given gold nose pins for taking Covid-19 jabs in Rajkot
- Süddeutsche Zeitung: Serbien lockt und bestraft