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Corona-Impfung verweigern: unvernünftig, unsozial, unethisch


Meinung
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Solidarität im Kampf gegen Corona
Impfung verweigern: unvernünftig, unsozial, unethisch

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

Aktualisiert am 31.12.2020Lesedauer: 5 Min.
Corona-Demo in Berlin: Über 130.000 Menschen in Deutschland wurden bereits gegen das Coronavirus geimpft – eine Impfpflicht gibt es nicht.Vergrößern des Bildes
Corona-Demo in Berlin: Über 130.000 Menschen in Deutschland wurden bereits gegen das Coronavirus geimpft – eine Impfpflicht gibt es nicht. (Quelle: Christian Behring/imago-images-bilder)
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Ob man sich gegen das Coronavirus impfen lässt, ist die Entscheidung eines jeden Einzelnen. Es gibt hierzulande keine Pflicht. Dennoch sollte sich jeder impfen lassen – aller Bedenken zum Trotz, findet Kolumnistin Lamya Kaddor.

Das unwohle Gefühl, das manche beim Gedanken an die neue Corona-Schutzimpfung befällt, ist völlig verständlich. Schon die Krankheit Covid-19 als Gefahr zu erkennen, fällt einem Teil der Bevölkerung, der bisher keine persönlichen Berührungspunkte damit hatte, nicht leicht. Andere nervt der Aufwand für eine Impfung: Impftermin organisieren, Impfpass suchen, sich zum Impfzentrum begeben …

Zugleich ist viel von Impfgegnern die Rede und von Umfragen zu sinkender Impfbereitschaft. Das nährt die Skepsis. Wenn Millionen Menschen sich nicht impfen lassen wollen, ist vielleicht doch etwas dran an den Vorbehalten. Die Entwicklung und die Freigabe der Vakzine ging ungewöhnlich schnell – teilweise getrieben von der Politik und den wirtschaftlichen Interessen der Pharmakonzerne. Neue Präparate können in der Tat mit Risiken verbunden sein. "Contergan" in den 1960er Jahren ist nur der bekannteste Arzneimittelskandal in Deutschland.

Bei Impfkampagnen in der Vergangenheit wurden fatale Fehler gemacht. Das Lübecker Impfunglück von 1930, der schlimmste Vorfall dieser Art hierzulande im 20. Jahrhundert, forderte über 70 Todesopfer. In anderen Teilen der Welt – vor allem in Afrika – haben hochgelobte Ärzte wie der Nobelpreisträger Robert Koch grausame Menschenversuche in der Kolonialzeit unternommen – vielfach mit tödlichen Folgen. Noch heute kommt es in Afrika zu Impfskandalen, für die sich wie 2012 im Tschad offenbar niemand verantwortlich zeigt.

Notwendige Skepsis oder irrationale Angst?

Skepsis ist notwendig. Sie kann helfen, Fehler aufzudecken. Seit gut einem Monat wird „Biontech/Pfizer“ nun gegen Corona verimpft: in den USA, in Kanada, Südamerika, in Teilen der arabischen Welt, in Europa und anderswo: Millionen Menschen haben das Vakzin bereits erhalten. Israel hält den Rekord. In nur neun Tagen wurden mehr als fünf Prozent der Gesamtbevölkerung geimpft.

Die Welt hat das Serum und seine möglichen Nebenwirkungen fest im Blick: Als erste Auffälligkeiten bei zwei Personen in Großbritannien und einer in den USA bekannt wurden, schickten die Medien Eilmeldungen raus. Es ging um schwere allergische Reaktionen, was nach Aussage von Mediziner*innen nicht unüblich ist. Gut eine Handvoll solcher Fälle hat es bislang gegeben. In Relation zur Menge der verabreichten Impfdosen stellt das einen geringen Wert dar.

Es ist wichtig, sich selbst zu vergegenwärtigen, warum man das Angebot einer Impfung nicht annehmen will. Sollte eine ideologische Gegnerschaft der Grund sein, wird das niemand argumentativ ändern können, das Gleiche gilt für irrationale Ängste als Ursache. Alle übrigen Bürgerinnen und Bürger sind offen für inhaltliche Argumente und die Vermittlung von Informationen.

Vertrauen muss sein

Am Ende ist ein demokratischer Staat nur mit einem gewissen Maß an Vertrauen in die Verantwortlichen zu machen, und im Fall von Corona-Impfungen gelangt man irgendwann an den Punkt, an dem die eigenen Sorgen hinter die fachlichen Einschätzungen von Expertinnen und Experten am Robert Koch-Institut, bei der Ständigen Impfkommission, dem Paul-Ehrlich-Institut, bei deren Pendants im Rest der Welt, bei der EMA, der WHO, bei Ethikkommissionen sowie bei unabhängigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler im In- und Ausland zurücktreten sollten.

Zu viele Fachleute raten unisono zu einer Impfung, einzelne Gegenstimmen können dies nicht aufwiegen; das ist ähnlich wie beim Thema menschengemachter Klimawandel. Noch nie in der Geschichte der Menschheit ist die Abgabe eines Präparats weltweit so akribisch beobachtet worden wie aktuell – mit allen modernen Mitteln der Überwachung, in Kenntnis der verbreiteten Skepsis sowie der Konkurrenz von Staaten und Pharmakonzernen zueinander. Sollte irgendjemand einen Fehler begehen, sei es bei Biontech/Pfizer, bei Behörden, in der Bundesregierung, der US-Regierung, in Russland, in China oder anderswo, würde es genügend Rivalen geben, die diese unmittelbar veröffentlichen und breittreten würden.

Gerade in Deutschland haben wir heute das große Glück, in einem Land zu leben, in dem Regierungen tatsächlich darum bemüht sind, ihre Kraft dem Wohle des Volkes zu widmen, seinen Nutzen zu mehren, Schaden von ihm zu wenden, das Grundgesetz und die Gesetze zu wahren. Wir sind Einwohnerinnen und Einwohner eines Staates, der seit 70 Jahren im Vergleich zu anderen überwiegend erfolgreich gelenkt wird. Das schützt uns wie im Contergan-Skandal zwar nicht vor allen Übeln, weshalb gesunde Skepsis und scharfe Kritik immer nötig bleiben, grundsätzlich aber haben Fortschritt und Handeln der Politik Deutschland stets zum Vorteil gereicht.

Hundertprozentige Sicherheit ist illusorisch

Hundertprozentige Sicherheit kann es nie geben. Jede Routineoperation im Krankenhaus kann schiefgehen. Dennoch werden wir uns in der Regel dafür entscheiden, wenn uns unsere Ärztinnen und Ärzte diesen Schritt empfehlen. Wir holen uns vielleicht noch eine zweite oder dritte Fachmeinung ein, aber dann legen wir uns unters Messer und vertrauen den Handelnden. Das ist das Ergebnis einer logischen Abschätzung der jeweiligen Konsequenzen.

Auf die gleiche Weise sollte man abwägen zwischen den möglichen Folgen einer Impfung und einer Covid-19-Erkrankung. Alle bisherigen Erkenntnisse belegen, die Wahrscheinlichkeit, Schaden durch eine Corona-Impfung zu nehmen, auf die gerade alle Welt mit Argusaugen starrt, ist kleiner als jene, durch Covid-19 geschädigt zu werden; allzumal die Spätfolgen einer Infizierung derzeit noch kaum erfasst sind, da die Forschungen zu „Long Covid“ gerade erst begonnen haben. Zudem kommt beim Coronavirus neben dem Risiko, selbst zu erkranken, die Gefahr hinzu, andere anzustecken: Wer infiziert ist, gefährdet definitiv den Rest der Gesellschaft.

Unvernünftig, unsozial, unethisch

Sich nicht impfen zu lassen, ist somit unvernünftig und unsozial und letztlich egoistisch. Denn wer sich hinstellt und sagt, ich lass erst andere das Serum testen, und wenn die es gut vertragen, überleg ich es mir vielleicht, betrachtet seine Mitmenschen als Versuchskaninchen. Das ist aus ethischer Sicht nicht unproblematisch.

Dennoch müssen Skeptikerinnen und Skeptiker nicht die ersten sein, die ins Impfzentrum rennen. Sie haben ja durchaus noch einige Wochen Zeit, um die Lage weiter zu prüfen. Erstens gibt es derzeit ohnehin nicht genug Impfdosen, zweitens zwingt die festgelegte Impf-Reihenfolge die meisten sowieso zum Warten.

Der Druck wird wachsen

Allerdings dürfte der Druck auf Impfunwillige in den nächsten Monaten steigen. Zum moralischen wird ein materieller Zugzwang hinzukommen. Die derzeit viel diskutierten Privilegien für Geimpfte lassen sich wohl kaum verhindern. Wer nach einer Impfung nachweislich nicht mehr ansteckend ist, dessen Grundrechte können höchstwahrscheinlich nicht mehr lange eingeschränkt werden. Einige deutsche Staatsrechtsexperten gehen jedenfalls davon aus.

Andere meinen ferner, dass private Unternehmen Corona-Impfungen durchaus zur Pflicht für ihre Kundinnen und Kunden machen könnten. Je mehr Menschen geimpft sind, desto größer wird die Wahrscheinlichkeit, dass dies so kommt. Ab dem Zeitpunkt, an dem eine Corona-Impfung für jeden möglich ist, würde auch der Faktor Diskriminierung nicht mehr greifen, denn der trifft primär auf Eigenschaften zu, die man nicht verändern kann wie Hautfarbe, Herkunft, Geschlecht, sexuelle Identität, religiöse Überzeugung, etc.

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Der Bundesgesundheitsminister Jens Spahn spielt bereits mit dem Gedanken an Konzert- oder Restaurantbesuche nur für Geimpfte. In der Tat kann das für die gebeutelte Branche ein wichtiger Schlüssel sein, zügiger wieder in einen Normalbetrieb zu kommen und Existenzen zu sichern.

Und abgesehen von der Nabelschau: Wir leben in einer globalisierten Welt. Die australische Fluglinie Qantas prüft schon Möglichkeiten, auf bestimmten Strecken nur noch Geimpfte zu befördern. Das könnte Schule machen; da mögen deutsche Unternehmen wie die Lufthansa oder die Bahn derzeit noch so lautstark widersprechen. Zudem sollte man über kurz oder lang damit rechnen, dass andere Staaten Impfnachweise für die Einreise verlangen – und daran werden deutsche Politiker*innen dann wenig ändern können.

Lamya Kaddor ist Deutsche mit syrischen Wurzeln. In ihrer Kolumne "Zwischentöne" analysiert die Islamwissenschaftlerin, Islamische Religionspädagogin und Publizistin, die Mitglied der Grünen ist, für t-online die Themen Islam und Migration. Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autorin wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

Verwendete Quellen
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