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Abschiebestopp: Warum Deutschland keine Straftäter nach Syrien abschieben sollte


Meinung
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Ende des Abschiebestopps
Warum Deutschland keine Straftäter nach Syrien abschieben sollte

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

10.12.2020Lesedauer: 5 Min.
Trümmer in Syrien: Das Bürgerkriegsland wird immer noch von Tod und Gewalt heimgesucht.Vergrößern des Bildes
Trümmer in Syrien: Das Bürgerkriegsland wird immer noch von Tod und Gewalt heimgesucht. (Quelle: INA Photo Agency/imago-images-bilder)
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Deutschland will den generellen Abschiebestopp nach Syrien nicht verlängern. Straftäter und Gefährder sollen in ihr Heimatland zurückgeschickt werden – doch auch wenn ihnen dort der Tod droht?

Es gibt eine Reihe von Gründen, warum Deutschland keine Syrerinnen und Syrer abschieben sollte, selbst wenn es Gefährderinnen und Gefährder sind oder sie es aufgrund ihrer schweren Verbrechen verdient hätten:

  • Weil Ausnahmen vom Abschiebestopp über kurz oder lang eine Normalisierung herbeiführen würden, die dann nicht mehr nur Straftäterinnen und Straftäter betrifft, was neues menschliches Leid hervorruft.
  • Weil unkoordiniert abgeschobene Straftäterinnen und Straftäter zwar vermutlich keine Verbrechen mehr in Deutschland begehen, aber in anderen Staaten. Das wäre eine Politik nach dem St.-Florians-Prinzip und für ein Land, das sich in rechtsstaatlichen und moralischen Belangen zu Recht für besser und fortschrittlicher als viele andere Länder dieser Welt hält, ein Ausdruck von Heuchelei.
  • Weil Abschiebungen die Kooperation mit dem syrischen Diktator Assad erfordern.
  • Weil das Streben nach Gerechtigkeit für demokratische Rechtsstaaten essenziell ist.
  • Weil das Grundgesetz allen Menschen, unabhängig von ihren Taten, den Schutz ihrer Menschenwürde garantiert.
  • Weil Deutschland die Einhaltung der Menschenrechte, die es in der internationalen Politik einfordert, auch selber wahren muss.
  • Weil im Kriegsland Syrien weiter gekämpft wird, und sogar das Auswärtige Amt selbst mit Blick auf das gesamte Staatsgebiet schreibt: "Täglich werden in Teilen des Landes Tote und Verletzte gemeldet" und nach wie vor seien Terrororganisationen wie der IS in der Lage, überall Anschläge zu verüben.
  • Weil Deutschland offiziell vor Reisen nach Syrien warnt – unter anderem mit den Hinweisen, Ausländerinnen und Ausländer wie syrische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger könnten Opfer gewaltbereiter Dschihadisten werden, und es sei bereits zu zahlreichen Entführungen gekommen.
  • Weil Deutschland nicht glaubhaft gegen die Todesstrafe eintreten und Menschen zugleich anderswo einer möglichen Tötung aussetzen kann.
  • Weil Deutschland niemanden einem Regime preisgibt, das Menschen brutal foltert.

Aus dem Bauch heraus würde ich Personen wie den Attentäter von Dresden, der nach bisherigem Kenntnisstand einen Mann aus homophoben und islamistischen Gründen tödlich und einen zweiten schwer verletzt hat, gern zurückführen lassen. Ich möchte solche Menschen nicht in unserer Gesellschaft wissen und ich habe an dieser Stelle bereits die Abschiebungen von Straftäterinnen und Straftätern in Krisengebiete verteidigt. Das sollte grundsätzlich kein Tabu sein. Bei den meisten Staaten dieser Erde sind Abschiebungen theoretisch kein Problem – Syrien jedoch gehört bisher nicht dazu.

Wer emotional aufgeladen ist, kann keine angemessenen Antworten geben

Das ist besonders schwer nachzuvollziehen, wenn man es mit extremistischen Straftaten sowie Gefährderinnen und Gefährdern zu tun hat. Die Begründungen dafür sind vielfach abstrakt. Die Abwägung zwischen dem Schutz unschuldiger Menschen und menschlicher Behandlung bestrafungswürdiger Verbrecherinnen und Verbrecher wirft moralphilosophisch komplexe Fragen auf. Die lassen sich nur mit persönlicher und innerlicher Distanz zufriedenstellend beantworten.

Wer emotional aufgeladen ist, kann darauf keine angemessenen Antworten geben, denn diese würden uns zurückführen zu archaischen Racheregelungen, die wir zum Glück überwunden haben. Sie würden Lynchjustiz und Selbstjustiz den Weg bereiten, und niemand wüsste, wann diese sich gegen uns selbst oder unsere Liebsten richtet.


Wer persönlich von Gewalt betroffen ist oder wessen geliebten Menschen Gewalt angetan wurde, ist schon gar nicht in der Lage, vernünftige Urteile zu fällen. Das Aburteilen von Menschen wurde aus guten Gründen in die Hände professioneller Richterinnen und Richter gelegt, die nach Recht und Gesetz und frei von Emotionen urteilen. Sexuelle Gewalt an Kindern wird oft mit massiven Gewaltfantasien kommentiert, die einen zusätzlich erschaudern lassen, während man zugleich weiß, insbesondere aus den USA, dass etwa Todesstrafen gar nicht abschreckend wirken. Der Oberste Richter im US-Bundesstaat Florida, Charles Harris, erklärte 2012: "Wenn die Todesstrafe nicht abschreckend wirkt, und das tut sie nicht, und wenn die Todesstrafe uns nicht mehr Sicherheit gibt, und das tut sie nicht, dann ist sie bloß kostspielige Rache."

Seehofer nährt falsche Hoffnungen

Demokratische Politikerinnen und Politiker sollten ähnlich wie die Gerichte nüchtern auf brutale Taten schauen. Jedenfalls sollten sie sie nicht reflexartig nutzen, um einfache Erklärungsmuster von Bürgerinnen und Bürgern zu reproduzieren. Das ist Populismus in Reinform, wie man ihn von der AfD kennt. Leider vermittelt Horst Seehofer ebenfalls diesen Eindruck, wenn er nach den islamistischen Attentaten in diesem Herbst erneut einen Vorstoß zur Abschiebung von Menschen nach Syrien platziert.

Darüber hinaus nährt der Bundesinnenminister damit falsche Hoffnungen: Der Teil der Bevölkerung, der sich wohl am meisten über die Abschiebung von Syrerinnen und Syrern freuen würde, ist der, der sowieso am liebsten keine Geflüchteten hier aufnehmen möchte. Aber die Zahl derjenigen, die im Falle einer Aufhebung des Abschiebungsstopps nach Syrien gehen müssten, ist vergleichsweise gering. Genau gesagt läge sie aktuell bei Null, denn Abschiebungen sind nicht nur rechtlich problematisch, sondern praktisch derzeit unmöglich. Deutschland hat keine diplomatischen Verbindungen nach Syrien, was zwingend nötig wäre, um deutsches Recht bei Abschiebungen einzuhalten. Das weiß Horst Seehofer selbstverständlich, trotzdem suggeriert er etwas anderes.

Was also tun?

Sollte es irgendwann so weit sein, dass Abschiebungen nach Syrien wieder möglich gemacht werden, zeigt der Blick auf Afghanistan, wo die Lage zum Teil mit Syrien vergleichbar ist, dass das nur wenige Menschen betreffen wird. Laut "Pro Asyl" wurden von Dezember 2016, dem Beginn der Sammelabschiebungen, bis März 2020 907 Afghaninnen und Afghanen außer Landes gebracht, doch allein von Januar bis März dieses Jahres stellten 2.626 Afghaninnen und Afghanen hier einen Asylantrag. Das Vorgehen ist also nicht nur umstritten, es bringt die "Asylkritikerinnen und Asylkritiker" in ihrem Wunsch nach Massenabschiebung kaum näher. Wenn sie diese Täuschung durchschauen, endet das in Frust, was sie weiter in die Arme von AfD & Co treibt. Daher ist das ein brandgefährliches Spiel.

Was also tun? Politik sollte Probleme lösen und nicht dem Reiz vermeintlich rascher Erfolge verfallen, indem sie niedere Instinkte bedient – gerade dann, wenn klar ist, am Ende winkt bloß ein Pyrrhussieg. Deutsche Außenpolitik muss mithelfen, die Lage in Syrien endlich zu regeln, dann können Syrerinnen und Syrer zurückkehren und andere abgeschoben werden. Zugleich darf jemand wie der Attentäter von Dresden nicht frei herumlaufen, was das Thema Abschiebehaft aufwirft.

Einen freiheitlich demokratischen Rechtsstaat gibt es nicht umsonst

Im Juli entschied der Europäische Gerichtshof, dass islamistische Gefährder grundsätzlich vor ihrer Abschiebung in normalen Gefängnissen untergebracht werden können. Nordrhein-Westfalens stellvertretender Ministerpräsident, Joachim Stamp (FDP), erklärte schon im Januar 2019, es gebe sehr wohl die Möglichkeit, dass man für besonders gefährliche Personen Sonderregelungen schaffen könne, was zu prüfen sei. Na dann los! Gefährderinnen und Gefährder, die sich nicht abschieben lassen, müssen aus dem Verkehr gezogen oder engmaschig überwacht und das Personal in den Sicherheitsbehörden dafür aufgestockt werden.

Natürlich kostet das "unser" Steuergeld. Einen freiheitlich demokratischen Rechtsstaat gibt es nun mal nicht umsonst. Er kostet Geld und Anstrengung. Aber wenn er funktioniert, profitieren wir am Ende des Tages alle davon.

Lamya Kaddor ist Deutsche mit syrischen Wurzeln. In ihrer Kolumne "Zwischentöne" analysiert die Islamwissenschaftlerin, Islamische Religionspädagogin und Publizistin, die Mitglied der Grünen ist, für t-online die Themen Islam und Migration. Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autorin wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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