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Deutsche Politik – Giffey, Caffier, Müller: Wo Jäger zu Gejagten werden


Meinung
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Giffey, Caffier und Müller
Wenn Jäger zu Gejagten werden

  • Lamya Kaddor
MeinungEine Kolumne von Lamya Kaddor

19.11.2020Lesedauer: 6 Min.
Lorenz Caffier: Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister kaufte offenbar ein Jagdgewehr aus dem Umfeld einer rechtsextremen Gruppe – wenig später trat er von seinen Ämtern zurück.Vergrößern des Bildes
Lorenz Caffier: Mecklenburg-Vorpommerns Innenminister kaufte offenbar ein Jagdgewehr aus dem Umfeld einer rechtsextremen Gruppe – wenig später trat er von seinen Ämtern zurück. (Quelle: Karina Hessland/imago-images-bilder)
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Mehrere prominente Politiker haben sich in den vergangenen Tagen und Wochen erhebliche Fehltritte geleistet. Dennoch darf man sie nicht an den Pranger stellen.

Was Donald Trump uns in extenso und in toto vorlebt, lässt sich im Kleineren in Deutschland beobachten, wie gleich mehrere Beispiele dieser Tage zeigen: Uns fehlt eine vernünftige Fehlerkultur, und in die dadurch entstandene Lücke drängt eine beängstigende Jagdkultur.

Caffier verkündete Rücktritt

Dass sich das im übertragenen wie im wörtlichen Sinn beim mecklenburg-vorpommerischen Innenminister Lorenz Caffier widerspiegelt, ist wohl eine tragikomische Pointe dieser Beobachtung: Der passionierte Jäger wurde zum Gejagten von Politik und Medien. Am Ende muss Lorenz Caffier die Waffen strecken und seinen Rücktritt verkünden. Vorangegangen aber war eben jene mangelnde Fehlerkultur.

Ein Innenminister, der eine Jagdwaffe aus dem Umfeld einer rechtsextremen Gruppe kauft, begeht zweifelsohne einen Fehler, selbst wenn er das, wie er beteuert, unwissentlich tat, und er denkt, das wäre alles nicht so schlimm. Man stelle sich zum besseren Verständnis vor, der Vorsitzende eines Islamverbands wäre bei einem lizensierten Waffenhändler einkaufen gegangen, der im Kontakt mit islamistischen Gruppierungen steht. Der Mann wäre vermutlich wegen Terrorverdachts längst inhaftiert.

Caffier weist Frage von Journalistin vehement zurück

Doch statt einen solchen Vorgang von sich aus offen zu thematisieren, begeht Lorenz Caffier den nächsten Fehler und weist die Frage einer Journalistin danach mit aufdringlicher Überheblichkeit zurück und erklärt den Kauf empört zur Privatsache, zu der er selbstverständlich keine Stellung nehmen werde. Wenn er die Waffe in einem x-beliebigen Jagdgeschäft gekauft hätte, mag man ihm recht geben, aber im Zusammenhang mit laufenden Ermittlungen zum "Nordkreuz"-Netzwerk sicher nicht. Hier kommt das einer Verharmlosung rechtsextremistischer Strukturen gleich.

Gäbe es in Deutschland eine angemessenere Fehlerkultur, hätte Lorenz Caffier vielleicht nicht erst in seinem Rücktrittsschreiben klargestellt, dass sein Umgang mit dem Waffenkauf ein Fehler gewesen sei. So aber hatte er vermutlich Angst vor der inzwischen berüchtigten Jagdkultur, die sich in Deutschland entwickelt hat. Menschen, die Fehler machen, wird diskursiv so lange nachgestellt, bis sie erlegt sind. Sie sollen aus der Öffentlichkeit verschwinden und niemanden mehr mit ihrer Anwesenheit reizen. Man hatte die Hoffnung, der Fall des Altbundespräsidenten Christian Wulff hätte alle Beteiligten hier eines Besseren belehrt.

In einem idealen Zustand könnten Politikerinnen und Politiker glaubwürdig zu ihren Fehlern stehen und Besserung geloben, und in minderschweren Fällen wäre die Öffentlichkeit in der Lage, diese Fehler zu verzeihen. Vielleicht würde der Fall der Bundesfamilienministerin Franziska Giffey dann auch etwas anders verlaufen. Ihr wird vorgeworfen, in ihrer Dissertation plagiiert zu haben. Aber: "Es existieren viel gravierendere Fälle als der von Giffey", räumte der Juraprofessor an der Humboldt-Universität Berlin und Plagiatejäger Gerhard Dannemann ein.

Franziska Giffey ist also keine "Schwerkriminelle", aber sie hat offenkundig Fehler bei der Erarbeitung ihrer Doktorarbeit gemacht und bei anderen abgeschrieben. Darüber sind schon viele andere gestürzt. Ebenso problematisch ist der Fehler, auf den der jüngst verstorbene Politikwissenschaftler Peter Grottian in der "Süddeutschen Zeitung" aufmerksam gemacht hatte: "Giffey beschäftigt sich in ihrer Arbeit mit der Beteiligung der Zivilgesellschaft an der EU-Politik am Beispiel von Berlin-Neukölln. Als damalige Europabeauftragte von Neukölln schrieb sie damit direkt und indirekt über sich selbst." Grottian arbeitete als Professor am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin, an dem Franziska Giffey promoviert hatte.

Stellungnahme der Ministerin klingt unglaubwürdig

Da kommt der Verdacht auf, der SPD-Politikerin ging es mit ihrer Promotion nie um Wissenschaft und Bildung, sondern nur um die schnelle Ermöglichung der zwei Buchstaben inklusive Punkt vor ihrem Namen, die ihre eigene Person aufwerten sollten. Es klingt deshalb unglaubwürdig und nach einem weiteren Fehler, wenn sie in ihrer Stellungnahme betont: "Wer ich bin und was ich kann, ist nicht abhängig von diesem Titel. Was mich als Mensch ausmacht, liegt nicht in diesem akademischen Grad begründet." Mehr zur Stellungnahme der Ministerin lesen Sie hier.

Als authentisch versucht sich auch Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) darzustellen. Doch Bundestagsabgeordnete der Opposition beklagen nun, er nehme sie als Fachpolitiker aus Platzgründen nie mit auf seine Auslandsreisen, während er laut "Bild am Sonntag" im Regierungsflieger gleich mehrfach Platz für seine Ehefrau geschaffen und seine Privilegien als Minister angeblich kostspielig und über Gebühr ausgenutzt hat. Gleichzeitig bemüht sich die Bundesregierung, Gerd Müller einen gut dotierten Anschluss-Job bei der UNO zu beschaffen, da er 2021 aus der Politik ausscheiden will. Das klingt nach Allüren und persönlichem Profitstreben. Das passt nicht zum Image eines Politikers, der den Blick auf die Ärmsten der Armen in der Welt richten soll.

Scheinbar wurden auch hier Fehler begangen, doch der Minister weist die Anwürfe in seiner ersten Reaktion gleich als "völlig absurd" zurück. Eine Nummer kleiner in der Wortwahl geht es eben nicht.

Schlagzeile: "Schamlos-Minister"

Ob die erhobenen Kritikpunkte jedoch das Anprangern unter Schlagzeilen wie "Der Schamlos-Minister" oder "völlig abgehoben" rechtfertigen, darf bezweifelt werden. In jedem Fall sind diese Artikel eine Einladung an andere Medien, die Treibjagd auf einen Politiker zu eröffnen, dem in der Vergangenheit für seine Arbeit über die Parteigrenzen hinweg Respekt gezollt wurde und den nicht wenige selbst im linken Politikspektrum für den vernünftigsten und fähigsten CSU-Minister im Bundeskabinett halten – wobei vielleicht genau das, ähnlich wie bei Markus Söder, womöglich der Antrieb für manche ist, das Halali über Gerd Müller erschallen zu lassen.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer indes, der etwa durch seine Maut-Politik echten Schaden angerichtet hat, hält sich seit Monaten schadlos im Amt. An ihm prallt alles ab.

Wer Angst hat, will Fehler vertuschen

Mangelnde Fehlerkultur und Jagdtrieb gehen Hand in Hand. Das eine hängt mit dem anderen wechselseitig zusammen. Wer Angst hat, Fehler einzugestehen, tut alles, damit sie nicht ans Licht kommen, und weist jeglichen Hauch von Zweifel mit brüsker Geste von sich. Das reizt wiederum die inzwischen vielfach Social-Media-getriebene Öffentlichkeit, die nachhakt und von der Angelegenheit nicht mehr ablässt, was weitere Fehler in der Krisenkommunikation des Bedrängten oder der Bedrängten provoziert. Um hier eine Verbesserung zu erreichen, sollte das Land eine vernünftige Fehlerkultur etablieren und sein Jagdfieber zähmen.

Politikerinnen und Politiker sind auch nur Menschen. Viele bemühen sich redlich um die Themen, die ihnen am Herzen liegen, und für die sie gewählt wurden. Vor Fehlern, Dummheiten oder falschen Einschätzungen ist niemand gefeit. Zu Recht werden höhere Ansprüche an Politikerinnen und Politiker gestellt, aber nicht jeder Fehler rechtfertigt es, Personen zum Rücktritt zu zwingen, öffentlich zu zerstören und in den Staub zu treten. So gehen auch fähige Kräfte verloren. Lorenz Caffier klagt: "Meine Familie litt und leidet", Franziska Giffey sagt: Ich will auch "weiteren Schaden von meiner Familie" abwenden. Solche Facetten sollte man bei aller notwendigen Kritik mit bedenken. Menschlichkeit darf uns in einem demokratischen Staat nicht gleichgültig sein, jedenfalls nicht, wenn wir menschlichen Umgang fördern wollen.

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Gesellschaft darf sich nicht auf der Nase rumtanzen lassen

Zugleich darf sich eine demokratische Gesellschaft gerade von jenen, die sie belügen und betrügen und nur auf ihren eigenen Profit aus sind, nicht auf der Nase herumtanzen lassen. Dort, wo Fehler die Arbeit so beeinträchtigen oder behindern, dass sie nicht mehr überzeugend geleistet werden kann, ist Hartnäckigkeit durchaus gefordert – andernfalls wäre Hans-Georg Maaßen wohl immer noch Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

Die Renitenz mancher ist der Schlüsselreiz, der Jagdinstinkte auch angemessen auszulösen vermag. Manchmal sind Rücktritte der einzig mögliche Schritt, den man noch gehen kann. Sonst kommen wir irgendwann in trumpistische Sphären, wie wir sie gerade in den USA erleben, wo sämtliche demokratischen Werte mit Füßen getreten werden.

An manchen Stellen im politischen Diskurs wäre Nachsicht geboten, an anderen Stellen deutliches Insistieren. Das muss von Fall zu abgewogen werden. Dabei ist die Wahl der argumentativen Waffen entscheidend. Mit Kanonen auf Wichtel zu schießen, ist ebenso inadäquat, wie Drachen mit Wattebäuschchen zu bewerfen.

Lamya Kaddor ist Deutsche mit syrischen Wurzeln. In ihrer Kolumne "Zwischentöne" analysiert die Islamwissenschaftlerin, Islamische Religionspädagogin und Publizistin, die Mitglied der Grünen ist, für t-online die Themen Islam und Migration. Die im Gastbeitrag geäußerten Ansichten geben die Meinung der Autorin wieder und entsprechen nicht notwendigerweise denen der t-online-Redaktion.

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