Presse über NRW-Wahl "Vorgeschmack auf Bundestagswahl – na dann gute Nacht!"
Union und Grüne freuen sich, die SPD leckt ihre Wunden: Die NRW-Wahl galt auch als politischer Corona-Stimmungstest. So blickt die deutsche Presse auf das Bundesland.
Die Kommunalwahl in NRW war der letzte politische Stimmungstest in diesem Jahr – und das inmitten der Corona-Krise: Die CDU freut sich sogar über leichte Verluste, wohl wissend, dass es den Koalitionspartner SPD mal wieder schwer getroffen hat. Die Grünen behaupten sich als neue Volkspartei, die Anti-Merkel und Anti-Corona-Partei AfD hatte hingegen kaum eine Chance. Am Tag nach dem Urnengang gibt es also eine Menge zu besprechen. Und so beschäftigten die Folgen der NRW-Wahl die Presse weit über die Grenzen des Bundeslandes hinaus.
Ostfriesen-Zeitung (Leer): "Es zeigt sich, dass die beiden großen Parteien, die überall in den Rathäusern sitzen, an Zustimmung verloren haben. Das wäre an sich nichts Neues, hätten wir nicht seit vielen Monaten mit dem Coronavirus zu tun, das von CDU und SPD bislang relativ gut im Zaum gehalten wird. Eigentlich, so schien es vielen Analysten, Beobachtern, Wahlforschern etc. pp., hätten die Protagonisten dafür doch belohnt werden müssen. Gut möglich, dass es nun auch bei weiteren Voten anders kommt. Was bedeutet das für die Rathäuser? Ganz dringlich sollte doch bitte einmal darüber nachgedacht werden, längst nicht nur die Corona-Politik transparenter zu gestalten und vor allem auch besser zu erklären. Und das fängt bei einem offenen Umgang mit Presse und Bürgern erst an."
Kölner Stadt-Anzeiger: "Die CDU kann ihre Position bei leichten Verlusten behaupten. Kein neuer Gegenwind für Ministerpräsident Armin Laschet also, eher sogar leichter Rückenwind. Im internen Machtkampf um die CDU-Spitze kann er sich weiterhin – anders als Friedrich Merz oder Norbert Röttgen – als Regierungschef und Wahlgewinner profilieren. Der SPD hingegen ist es nicht gelungen, ihren Abwärtstrend zu stoppen. Von einem 'Olaf Scholz-Effekt' ist in NRW so gut wie nichts zu spüren. Ein dramatisches Signal."
Neue Osnabrücker Zeitung: "Freuen darf sich Ministerpräsident Armin Laschet: Seine CDU behauptet klar ihre Position als wichtigste Kraft. Im Mai noch als Corona-Leichtfuß kritisiert, kann Laschet den Wahlausgang jetzt als Nachweis seiner (zurückgewonnenen) Führungsqualitäten interpretieren. Er geht durchaus gestärkt ins Rennen um CDU-Vorsitz und Kanzlerkandidatur. Für die Grünen-Chefs Robert Habeck und Annalena Baerbock wirken die Ergebnisse euphorisierend. Auch wenn die Ökopartei an Rhein und Ruhr vom Jugend-Effekt profitierte, weil kommunal schon ab 16 gewählt werden darf. Und die SPD? Droht ihrem neuen Kanzlerkandidaten Olaf Scholz ein ähnliches Schicksal wie seinem Vorgänger Schulz? Statt neuer Hoffnung zeigte sich in NRW eine regelrechte Anti-SPD-Stimmung."
Weser Kurier (Bremen): "Dass die SPD bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen Federn lassen würde, kam nicht überraschend. Schon die Wahl des neuen Führungsduos hatte deutlich dokumentiert, wie weit sich die Funktionäre von ihrer Wählerbasis entfernt haben. Wer dann noch mitten im – von Stahl und Kohle geprägten – Ruhrgebiet mit dem Thema Klimaschutz plakatiert, der macht einen exzellenten Wahlkampf – für die Grünen. Die SPD hat sich ihr historisch schlechtes Wahlergebnis redlich verdient. Solange es die Partei nicht versteht, endlich wieder die Interessen ihrer traditionellen Wählerschichten zu vertreten, wird der Niedergang andauern."
Aachener Zeitung: "In der Corona-Krise bedeuteten die Kommunalwahlen eine besondere Herausforderung. Sie wurde, soviel kann man wohl jetzt schon sagen, gut bewältigt. (...) Für den potenziellen CDU-Vorsitzenden und Unionskanzlerkandidaten Armin Laschet war es ein guter Sonntag. Er darf das Abschneiden der CDU als Zustimmung zu seinem Corona-Krisenmanagement werten. Im Rennen um höhere Ämter bedeutet das für Laschet Rückenwind. (...) Die Politik hat gut daran getan, an dem ursprünglichen Wahltermin festzuhalten. (...) Voraussichtlicher Wahltermin für die NRW-Landtagswahl ist im Mai 2022. Zuvor wird noch der Bundestag gewählt. Bleibt zu hoffen, dass dann wieder alles seinen normalen Gang geht. Falls nicht: gewählt wird trotzdem. Das ist eine wichtige Lehre aus dieser Kommunalwahl."
t-online (Berlin): Die Wahl in NRW bestätigt den bundespolitischen Langzeittrend. Die Grünen können sich als neue Volkspartei festsetzen. Und die SPD droht, diesen Status zu verlieren. In einer mehr als 70 Jahre alten Bundesrepublik ist es per se nicht dramatisch, wenn sich langfristig etwas verschiebt. Doch eine zentrale Frage tut sich auf: Wer ist nach der SPD eigentlich die Stimme "der kleinen Leute"? Die einen lassen sich an der Wahlurne noch von der SPD vertreten, die anderen von der Linken, wieder andere von der AfD, und natürlich wollen auch die Union und die Grünen noch ein paar "kleine Leute" vertreten. Im Ergebnis: Die Sozialdemokratie als Institution hat ausgedient. Mehr dazu lesen Sie hier.
Frankenpost (Hof): "Einmal mehr machen sich die Pluspunkte der Exekutive bemerkbar, die die SPD trotz großer Koalition im Bund für sich nicht auszuspielen weiß. Sie muss in NRW starke Verluste hinnehmen. Ein Effekt durch den früh gekürten Kanzlerkandidaten Olaf Scholz zeichnet sich nicht ab. Von Rückenwind für seine Genossinnen und Genossen ist rein gar nichts zu spüren. Und das in einem Bundesland, in dem die Roten jahrzehntelang den Ton angaben. Wenn das schon ein Vorgeschmack aufs Abschneiden der SPD bei der Bundestagswahl sein soll – na dann gute Nacht!"
Hessische Allgemeine Zeitung (Kassel): "14 Millionen Wahlberechtigte gibt es in NRW. Das sind ungefähr so viele wie in allen fünf ostdeutschen Bundesländern, mehr als in manchem EU-Staat. Sie haben die Ambitionen von Ministerpräsident Armin Laschet auf den CDU-Vorsitz und auch auf die Kanzlerschaft gestärkt. Denn auch wenn die CDU gegenüber der Kommunalwahl von 2014 insgesamt leicht verlor, so hat sie die Wahl doch klar gewonnen. Dass zugleich die Grünen starke Zuwächse erzielten, ist ein frischer Rückenwind für schwarz-grüne Ambitionen auch im Bund. Genau dafür steht Laschet. Die starken Stimmenverluste der SPD in ihrem einstigen Kernland bestätigen den schwarz-grünen Trend. Sie illustrieren aber auch einen dramatischen Vertrauensverlust der Wähler gegenüber der SPD. Dass SPD-Chef Norbert Walter-Borjans in NRW mal Finanzmister war, ist vergessen, hat zumindest nicht geholfen."
Volksstimme (Magdeburg): "Die Tendenz für Schwarz und für Grün stabilisiert sich. Auch Kommunalwahlen spiegeln in gewissem Maße den Bundestrend. Und besonders schmerzhaft ist es für die SPD, dass dieser Trend sich auch in ihrer einstigen Hochburg so deutlich negativ abzeichnet. Nirgendwo gibt es mehr Sozialdemokraten in den Ortsvereinen. Nirgendwo gab es so viele Stammwähler seit Generationen. Die Wahl von Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zu Bundesvorsitzenden durch eine frustrierte linke Basis hat geschadet. Der Linksruck, der durch die schnelle Nominierung von Olaf Scholz wieder relativiert wurde, hat nicht geholfen. Die Grünen in NRW profitieren, die Linken verlieren kaum. Die SPD wird 20-Prozent-Partei in ihrem Stammland. Woher sollen die Wähler im kommenden Jahr kommen, die Olaf Scholz zum Kanzler mit rot-rot-grüner Mehrheit machen sollen? Armin Laschets Bewerbung um den Vorsitz der CDU wird diese Wahl keine Flügel verleihen, aber sie hält ihn im Rennen."
- Nachrichtenagentur dpa