RKI führt neue Berechnungsmethode ein Corona-Ansteckungsrate fällt wieder unter kritischen Wert
Mehrere Tage lang lag die Reproduktionszahl über dem Wert von eins. Jetzt liegt sie erstmals darunter. Das Robert-Koch-Institut hatte schon zuvor eine Entwarnung gegeben – und eine neue Kennzahl angekündigt.
In Deutschland ist die Virus-Ansteckungsrate nach Angaben des Robert-Koch-Instituts (RKI) wieder unter den kritischen Wert von eins gesunken. Das RKI schätzt in seinem aktuellen Lagebericht die Zahl "R" auf 0,94. Das bedeutet, dass zehn Infizierte neun bis zehn weitere Personen anstecken.
Das RKI hatte zunächst immer wieder betont, um die Pandemie abflauen zu lassen, müsse die Reproduktionszahl langfristig unter 1 liegen. Der R-Wert bildet jeweils das Infektionsgeschehen etwa eineinhalb Wochen zuvor ab.Noch am Montag (1,07), Sonntag (1,13) und am Samstag (1,1) wurde die Reproduktionsrate (R) auf über 1 geschätzt. Bei solch einem Wert würden die Fallzahlen wieder steigen.
RKI: Neuinfektionen nähern sich einem Plateau
Am Dienstag jedoch hatte das RKI den Wiederanstieg über die letzten Tage eher zurückhaltend bewertet. Sie könne auch künftig um 1 herum schwanken, der Verlauf müsse beobachtet werden, sagte RKI-Vizepräsident Lars Schaade in Berlin. Ursache sei, dass sich die Zahl täglicher Neuinfektionen kaum mehr verringere und sich einem Plateau nähere. Es sei daher umso wichtiger, die Hygieneregeln weiter einzuhalten. "Das Virus ist nicht weg", betonte Schaade. Die Gefährdung sei aber deutlich geringer als noch vor vier Wochen.
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Inzwischen beeinflussten einzelne große Ausbrüche wie zuletzt in Schlachthöfen den Wert stärker als bei insgesamt höheren Infektionszahlen, erklärte Schaade. "Wir können abschätzen, dass diese jüngsten Ausbrüche die Reproduktionszahl angehoben haben." Seien die Ausbrüche unter Kontrolle, könne der R-Wert wieder sinken. Dauerhaft solle der R-Wert nicht deutlich über 1 bleiben, sonst nähmen die Fallzahlen zu. Bei Werten von zum Beispiel 1,2 oder 1,3 über längere Zeit müsse man sehr genau hinschauen und sich über das Gegensteuern Gedanken machen, sagte Schaade.
Neue Berechnungsmethode, um Schwankungen auszugleichen
Das RKI will künftig zusätzlich einen sogenannten geglätteten R-Wert mitteilen, bei dem Schwankungen besser ausgeglichen würden. Dies sei besser geeignet, um längerfristige Trends abzubilden. "In der vergangenen Woche lag dieser stabile R-Wert an keinem Tag über 1", betonte Schaade.
In der vergangenen Woche seien dem RKI zwischen 700 und 1.300 neue Corona-Infektionen pro Tag übermittelt worden, am Montag dann knapp 1.000 Fälle. "Die Zahlen bleiben also in etwa vergleichbar mit den Zahlen der letzten Woche." Geringere Werte an Wochenenden gelten etwa wegen Meldeverzugs durch die Gesundheitsämter und geschlossener Arztpraxen als üblich.
R-Wert nur einer von mehreren wichtigen Parametern
Wie Schaade ausführte, muss es keinen Widerspruch darstellen, wenn die Tendenz der aktuell berichteten Neuinfektionen sinkend ist, die Reproduktionszahl, kurz R-Wert, gleichzeitig aber etwas steigt. Der R-Wert bilde jeweils das Infektionsgeschehen etwa eineinhalb Wochen zuvor ab: der am Montag gemeldete Wert von 1,07 zum Beispiel die Situation in der Zeit vom 28. April bis 3. Mai. Das bedeutet, dass ein Infizierter im Mittel etwas mehr als eine andere Person ansteckt.
Die Neuerkrankungen der vergangenen drei Tage würden in die Schätzung nicht einberechnet, da es dabei erfahrungsgemäß noch Nachmeldungen und somit starke Schwankungen gebe. Der R-Wert sei auch nur einer von mehreren Parametern in der Beobachtung der Epidemie, bekräftigte Schaade.
Das Testverhalten beeinflusse den R-Wert nur bei abrupten Veränderungen, sagte Schaade. In der Kalenderwoche 18 seien etwa 330.000 Corona-Tests bundesweit durchgeführt worden, der Anteil der positiven Ergebnisse sei dabei weiter gesunken, auf nun etwa 4,5 Prozent. Dies deute auf das gewünschte sensitive Testen hin.
Schaade: Dunkelziffer nicht außer Acht lassen
Der RKI-Vizechef erneuerte seinen Appell an die Bevölkerung: "Helfen Sie mit, das Virus auch weiter in Schach zu halten." Es gelte unter anderem, weiter so weit wie möglich zu Hause zu bleiben, Kontakte zu beschränken und Abstand zu anderen Menschen zu halten.
Trotz der aktuell geringen Neuinfektionszahlen in manchen Regionen dürfe man die Dunkelziffer unerkannter Fälle nicht außer Acht lassen, gab Schaade zu bedenken. Auch diese wenigen Infizierten könnten das Geschehen wieder aufflackern lassen, wenn man sich nicht an die Regeln halte und zum Beispiel enge Kontakte auf einer Party habe.
Das sind die neuesten Zahlen:
Bundesweit sind bis Dienstagabend (Stand: 23 Uhr) über 173.034 Infektionen mit dem Coronavirus registriert worden. Mindestens 7.718 mit dem Erreger Sars-CoV-2 Infizierte sind den Angaben zufolge bislang bundesweit gestorben. Das geht aus einer Auswertung der Zahlen der Johns-Hopkins-Universität hervor. Den Schätzungen der US-Forscher zufolge haben in Deutschland rund 147.200 Menschen die Infektion überstanden. Wie für andere Länder rechnen Experten aber auch in Deutschland mit einer hohen Dunkelziffer nicht erfasster Fälle.
Das sind die Bundesländer mit den meisten Fällen
Besonders hohe Zahlen registrierter Infektionen haben den Statistiken der Bundesländer zufolge Bayern mit mehr als 44.900 nachgewiesenen Fällen und mindestens 2.202 Toten, Nordrhein-Westfalen mit mehr als 35.300 Fällen und mindestens 1.455 Toten sowie Baden-Württemberg mit mehr als 33.400 bestätigten Fällen und mindestens 1.596 Toten. Die Uhrzeit, wann ein neuer Tagesstand gemeldet wird, variiert sowohl von Bundesland zu Bundesland als auch unter Umständen von Tag zu Tag.
Gerechnet auf 100.000 Einwohner verzeichnet Bayern mit einem Wert von 343,6 die meisten Infektionen. Im Bundesschnitt waren es 205,8. Allerdings ist die Anzahl der erfolgten Tests pro 100.000 Einwohner in den Bundesländern unterschiedlich hoch.
Was genau sagt der Wert eigentlich aus und wie wird er berechnet? t-online.de erklärt hier ausführlich die Bedeutung der Reproduktionszahl.
- Nachrichtenagenturen dpa und Reuters
- Aktueller Lagebericht des RKI vom 12.5.